„Offshore Leaks“ als Modell für Komplizenschaft im internationalen Investigativ-Journalismus

Das Projekt „Offshore Leaks“ ist eines der größten und komplexesten in der Geschichte des grenzübergreifenden und investigativen Journalismus. Ziel des Projekts ist, der Öffentlichkeit einen Blick in die Offshore-Welt zu ermöglichen, der vorher nicht möglich war. Dabei arbeiten 86 Journalisten aus 46 Ländern zusammen, um etwa 2,5 Millionen Dateien aus zehn Offshore-Ballungszentren auszuwerten. Auch eine kulturelle Herausforderung! Der Investigativ-Journalist Stefan Candea zeigt, wie die Arbeit am „Offshore Leaks“-Projekt funktioniert und warum es ein Modell für die Zukunft des internationalen investigativen Journalismus ist.

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Ich habe die Daten für das Projekt „Offshore-Leaks“ das erste Mal 2012 in Gerard Ryles Büro in Washington, D.C. zu Gesicht bekommen. Und ich war sofort begeistert. Wie ein Süchtiger beschäftigte ich mich danach mit Suchanfragen: ich führte sie parallel auf zwei Computern durch, während im Hintergrund verschiedene Datenbanken liefen, um die Relevanz meiner Funde zu überprüfen. Ich verließ das Büro und suchte im Hotelzimmer weiter, dann auf dem Weg zu Flughafen, im Flugzeug, und zu Hause.

Suchen kann zu einer Sucht werden

Ich bin immer noch süchtig. Täglich starte ich Suchanfragen nach Namen in der Datensammlung, besonders wenn ich einen Artikel lese, der eine neue wichtige Person oder Firma erwähnt, die sich im Ausland verstecken könnte.

Die Verfügbarkeit von Email-Daten für über 10 Jahre und Datenbanken zu den wirklichen Gewinnern von Offshore-Machenschaften verführte mich dazu alle VIPs in meinem Land und meiner Region zu überprüfen und daraufhin die üblichen Verdächtigen abzufragen, über die ich berichtet hatte. Am Ende testete ich willkürlich Ideen, Theorien und News, die mir in die Hände fielen. Es ist wie ein faszinierendes Spiel, bei dem man die Fliege an der Wand in all den vielen geheimen Auslandsbüros ist.

Dann wird es enttäuschend. Abgesehen von ein paar VIPs gibt es hunderte und tausende von Namen, die einem überhaupt nichts sagen. Die geheimen Firmen, die man in vielen Fällen findet, tauchen nirgendwo erneut auf. Weiterzukommen erfordert eine tiefgehende Suche in den Email-Korrespondenzen von Firmen und das Verknüpfen von relevanten Zusammenhängen und Events. Es ist ein quälend langsamer Prozess. Aber dann setzt der Suchtfaktor wieder ein, wenn sich nach und nach die einzelnen Punkte verbinden lassen und das große Bild zum Vorschein kommt.

Von ich zu wir: Wie das Projekt zu einem grenzübergreifenden Team-Spiel wurde

Damit diese Arbeit nicht mehr nur von einzelnen Akteuren wie mir geleistet wird, muss sich etwas ändern. Die Zeit ist reif für eine grenzüberschreitende Verknüpfung von investigativen Journalisten zu einem globalen Netzwerk für den Austausch von Informationen und die Vorbereitung von Publikationen. Und in dieser Hinsicht ist auch schon etwas passiert: Sechs Monate nach meiner ersten Begegnung mit den oben beschriebenen Daten saßen Duncan Campbell aus dem Vereinten Königreich, Sebastian Mondial aus Deutschland, Roman Schelynow aus Russland, zwei meiner Kollegen und ich in unserem kleinen Büro in Bukarest.

Der kommunistische Beton war unter der Augustsonne so heiß geworden, dass die Computer kurz vor dem Abstürzen waren. Wir verbrachten ein langes Wochenende mit intensiver Arbeit an den Daten und diskutierten darüber, welche Geschichten wir aus den Daten ziehen und veröffentlichen könnten. Letztendlich wurde „Secrecy for Sale“, ein Projekt des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ), grenzübergreifend: 86 Journalisten aus 46 Ländern arbeiteten zusammen daran, etwa 2,5 Millionen Dateien aus zehn Offshore-Ballungszentren auszuwerten, die das ICIJ von einer anonymen Quelle erhalten hatte.

Vergangenen Frühling füllten die „Secrecy for Sale“-Geschichten dann die Titelblätter von Zeitungen auf der ganzen Welt. Die Untersuchung wurde mehr als 20.000 Mal von anderen Medienorganisationen zitiert. Auf einer Reise von Bukarest nach Dublin Anfang April letzten Jahres fand ich in jeder Zeitung und Zeitschrift, die ich in die Hand nahm, Informationen über das Ergebnis des Projekts und schrieb in Zusammenarbeit mit dem Konsortium verschiedene Artikel. Auf meinem Telefon und in meinem Email-Postfach erhielt ich laufend Anfragen für neue Partnerschaften mit Massenmedien in Europa.

Wie im Stromnetz: Journalisten schließen sich zusammen

Eine traditionelle Nachrichtenorganisation hätte solch eine globale Untersuchung nicht durchführen können – aus mehreren Gründen: es fehlt ihnen an einer gemeinsamen Vision, es mangelt an den Ressourcen für eine tiefgehende Untersuchung und in manchen Fällen ist das Problem auch Korruption. Verkrüppelte Nachrichtenräume haben bereits vor einiger Zeit professionelle Journalisten verjagt und damit für die Bildung von unabhängigen investigativen Gruppen gesorgt. Journalisten mit herausragenden Recherchefähigkeiten haben außerhalb der althergebrachten Medien ein Zuhause gefunden und sich meist in NonProfit-Organisationen über Ländergrenzen hinweg zusammengeschlossen.

Das Rumänische Zentrum für Investigativen Journalismus (RZIJ) wurde im Jahr 2001 gegründet. Zu dieser Zeit gab es nur etwa vier ähnliche Unterfangen, drei davon in den USA und eins auf den Philippinen. Inzwischen gibt es fast 100 solcher Zentren auf der Welt. Diese Journalisten waren Wegbereiter für eine neue Form der informellen Verbundenheit – vernetzte investigative Zellen, die wie ein Stromnetz aufgebaut sind und sich gegenseitig mit Informationen, Ressourcen und Publikationspartnern versorgen. Die Kapazität dieses journalistischen Stromnetzes haben wir durch das „Secrecy for Sale“-Projekt auf die Probe gestellt und auf einer globalen Ebene ausprobiert.

Nicht jedem liegt diese Art der Zusammenarbeit. Sie verlangt Respekt, Vertrauen, Führungswillen und ein hohes Ausmaß an Planung und Kommunikation. Ich bin mir sicher, es gab verschiedene Gründe, warum unser großes investigatives Netzwerk nicht alle glücklich gemacht hat. Deshalb kann es manchmal sinnvoll sein innerhalb des Netzwerks oder über verschiedene Netzwerke kleinere Zellen zu bilden.

Doch auch wenn sich die in den Netzwerken organisierten Journalisten aus den Festananstellungen der Massenmedien losgesagt haben, spielen diese nach wie vor eine wichtige Rolle. Sie sind der Verstärker. Massenmedien sind von Zeit zu Zeit ganz froh über qualitativ hochwertige Inhalte, die sie von unabhängigen investigativen Zentren erhalten. Und diese Zentren sind bereit ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung zu stellen, weil die Geschichten ansonsten nur eine kleine Leserschaft erreichen würden. Diese Zusammenarbeit wird immer häufiger und im Falle von „Secret for Sale“ hatte sie globale Auswirkungen. In Osteuropa veröffentlichen wir immer noch Artikel dazu, Monate nach dem offiziellen Start im April.

Gemeinsam etwas auf die Beine stellen: So hat es bei „Secrecy for Sale“ geklappt

Meine Arbeit mit „Secrecy for Sale“ begann während einer Konferenz des Globalen Investigativen Journalistischen Netzwerks in Kiew Ende 2011, als das Konsortium RZIJ bat als berichtender Verteiler vor allem für Osteuropa zu arbeiten. Unsere Rolle in Europa war nicht nur, unsere eigenen Untersuchungen anzustellen, sondern auch Informationen mit 28 Reportern aus Ländern der Region wie Moldawien, Weißrussland, Ungarn, der Ukraine und Türkei, zu teilen. Ganz ohne finanzielles Budget organisierte das RZIJ eine Art dezentralisierte Auslandsredaktion für das postkommunistische Europa.

Mit jedem internationalen, länderübergreifenden Projekt lerne ich das Gleiche: Es gibt zu wenige Wachhunde unter den Reportern. Man richtet sich an die Leute, mit denen man in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet hat und deren Arbeit und ethische Vorstellungen man als solide einschätzt. Wenn man mit so vielen Journalisten aus verschiedenen Ländern arbeitet, ist es unabdingbar sicherzustellen, dass jeder die Kontaktdaten des anderen im Netzwerk hat. Denn ein Netzwerk besitzt man nicht, man ist Teil davon.

Das erste Problem, vor dem wir standen, war der Umgang mit 200 Gigabytes an unstrukturierten Daten. Das Konsortium stellte uns hochwertige Data-Mining-Software zur Verfügung, die von der australischen Firma NUIX gesponsert wurde. Anfangs fand ich die Software wenig hilfreich. Mein alter Computer konnte mit der Größe der Daten nicht umgehen und ist fast täglich abgestürzt. Ich war gezwungen ein besseres Modell zu kaufen. Ich wusste, andere hatten dieselben Probleme wie ich. Wie sollten wir dieses Problem angehen?

Eine zusätzliche Komplikation war die geheime Natur des Projekts und die Notwendigkeit Daten für den Austausch zu minimieren, um Quellen zu schützen. Zu Beginn kommunizierten wir mithilfe von verschlüsselten Emails, aber wir mussten schnell feststellen, dass dadurch die Gruppenkommunikation eher behindert als verbessert wurde. Die Lösung kam letztendlich durch das sichere Onlineforum, das Sebastian Mondial in Deutschland zur Verfügung stellte.

Damit ein Projekt wie „Secrecy for Sale“ erfolgreich ist, müssen Tools für das sichere Teilen von Daten vorbereitet und getestet werden. Ein beschränkter Zugang zu den Daten führt zu einem Flaschenhals, der den Rechercheprozess zum Stillstand bringen kann. Mit einem direkten Datenzugriff und Suchmöglichkeiten wird die Effizienz des Netzwerks gesteigert. Das ist eine Lektion, die ich gerne früher gelernt hätte.

Lernen, mit verschiedenen Journalismus-Kulturen umzugehen

Wir agierten als wären wir Teil eines virtuellen Newsrooms aber wir hatten keine der Vorzüge von einem echten Newsroom. Aus verschiedenen Gründen erledigte das RZIJ die meisten Recherchen für die Gruppe. Das war Ende 2012 vorbei, als ein Online-Recherche-Tool von Duncan Campbell, dem Datenmanager des Projekts, eingeführt wurde.

Während des gesamten Prozesses hatte Kommunikation eine Schlüsselfunktion. Aber sie hat auch viel Zeit gefressen, die wir mit der Suche nach spannenden Geschichten hätten verbringen können. Es blieb auch die Frage, welche Geschichten wir weiter verfolgen wollten. Was Nachrichtenwert in Russland hat, unterscheidet sich stark von den Nachrichten in den USA. Wir kämpften mit vielen verschiedenen journalistischen Kulturen bei der Entscheidung darüber, was wichtig war und was nicht. Dabei haben wir gelernt, niemandem eine Erzählweise aufzudrängen. Wenn der Journalist vor Ort es anders sieht als wir, dann geht er einen anderen Weg. Bei der Arbeit über Ländergrenzen hinaus muss man auch sprachliche Grenzen beachten. Vertrauen in lokales Wissen ist wichtig, darauf kann man aufbauen und muss dann geduldig sein.

Datensammlungen wie die des ICIJ sind Schatzkisten randvoll mit Informationen für Journalisten in Osteuropa, wo der Zugang zu Informationen im besten Falle schwierig ist. Diese bisher nicht vorgekommene Zusammenarbeit zeigte auch, dass es eine Notwendigkeit gibt für professionelle Chefredakteure und neue editorische Plattformen. An beidem mangelt es in den meisten Teilen Osteuropas. In diesen Ländern bieten bestehende Medien keinen Platz für solche Geschichten. Deshalb hat das RZIJ ein englischsprachiges Onlinemagazin gegründet für die Region um das Schwarze Meer, das ein Ort für die Watchdogs im Journalismus sein soll.

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Anm. d. Red.: Stefan Candea war einer von rund 50 internationalen Gästen der COMPLICITY-Konferenz der Berliner Gazette. Hier hielt er gemeinsam mit dem Daten-Journalisten Sebastian Mondial einen Vortrag über das „Offshore-Leaks“-Projekt – oben im Video-Player in der Live-Aufzeichnung zu sehen. Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc.) findet sich hier: berlinergazette.de/complicity. Das Foto oben stammt von gato-gato-gato und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

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