Not In Our Name, Marke Hamburg!

[Ein Manifest von Ted Gaier, Melissa Logan, Rocko Schamoni, Peter Lohmeyer, Tino Hanekamp und Christoph Twickel für die Not in Our Name, Marke Hamburg-Initiative]

Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Oekonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Staedte prosperieren, in denen sich die >kreative Klasse< wohlfuehlt. >Cities without gays and rock bands are losing the economic development race<, schreibt Florida. Viele europaeische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet fuer diese >kreative Klasse< zu werden.

Fuer Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu gefuehrt, dass sich die staedtische Politik immer mehr einer >Image City< unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der >pulsierenden Metropole<, die >ein anregendes Umfeld und beste Chancen fuer Kulturschaffende aller Couleur< bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafuer, dass dieses Bild als >Marke Hamburg< in die Medien eingespeist wird. Sie ueberschwemmt die Republik mit Broschueren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Kuenstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das >markenstaerkende Funktion< uebernehmen soll. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hoert auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht fuer bloed verkaufen. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, ueber diese Stadt in Marketing- Kategorien zu sprechen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als >bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil< zu >positionieren<, noch denken wir bei Hamburg an >Wasser, Weltoffenheit, Internationalitaet<, oder was euch sonst noch an >Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg< einfaellt. Wir denken an andere Sachen. An ueber eine Million leerstehender Bueroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst mit Premium-Glaszaehnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt, kaum mehr Wohnungen unter10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den naechsten zehn Jahren halbieren wird. Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen, weil Hartz IV und eine staedtische Wohnungsvergabepolitik dafuer sorgen. Wir glauben: Eure >wachsende Stadt< ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Poebel die Mietskasernen außerhalb. Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug fuer die >Marke Hamburg<. Nicht dass ihr uns freundlich gebeten haettet. Im Gegenteil: uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren sinkenden kulturpolitischen Foerdermittel fuer freie kuenstlerische Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große Bergstraße, siehe die Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen bildende Kuenstler den Foerdertoepfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskraeftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich fuer selbstverstaendlich, kulturelle Ressourcen >bewusst fuer die Stadtentwicklung< und >fuer das Stadt-Image< einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil ihr die die ueblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse garnicht mehr abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll kann man in St. Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen Arbeiterstadtteilen, dann >Szenevierteln<, werden binnen kuerzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping Kiez, auf dem Franchising-Gastronomie und Ketten wie H&M die Amuesierhorde abmelken. Die Hamburgische Kulturpolitik ist laengst integraler Bestandteil eurer Eventisierungs- Strategie. Dreissig Millionen Euro gingen an das Militaria-Museum eines reaktionaeren Sammlerfuersten . ueber vierzig Prozent der Ausgaben fuer Kultur entfallen derzeit auf die >Elbphilharmonie<. Damit wird die Kulturbehoerde zur Geisel eines 500-Millionen-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxurioese Spielstaette fuer Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wuenschen uebrig laesst: Da laesst die Stadt ein >Leuchtturmprojekt< bauen, das dem Geldadel ein Fuenf-Sterne-Hotel und 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat und dem gemeinen Volk eine zugige Aussichtsplattform uebrig laesst. Was fuer ein Wahrzeichen! Uns macht es die >wachsende Stadt< indessen zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenraeume zu finden, oder Clubs und Spielstaetten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den >pulsierenden Szenen< steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit staedtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehoerde ueberlaesst. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu verdichten, einem Gruenstreifen ein Grundstueck abzuringen oder eine Luecke zu schließen ist, wirft die Finanzbehoerde die >Sahnelagen< auf den Immobilienmarkt – zum Hoechstgebot und mit einem Minimum an Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose Investoren-City in Stahl und Beton. Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die kleine-geile-Laeden –Betreiber und ein-anderes-Lebensgefuehl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur >Stadt der Tiefgaragen< (Sueddeutsche Zeitung). Wir sollen fuer Ambiente sorgen, fuer die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfaehig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des staedtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvoegel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker habt ihr bemerkt, dass das zum Problem fuer euer Vorhaben wird. Doch eure Loesungsvorschlaege bewegen sich tragischer Weise kein Jota außerhalb der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache etwa kuendigt an >die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch Staerkung ihrer Wettbewerbsfaehigkeit zu erschließen<. Eine >Kreativagentur< soll zukuenftig u.a. >Anlaufstelle fuer die Vermittlung von Immobilienangeboten< sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als >kuenstlerischer Nachwuchs< einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um >temporaere Nutzung von Leerstaenden< ersuchen. Dafuer gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn >die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz fuer den Kreativstandort Hamburg< gegeben sind. Unmissverstaendlicher kann man nicht klarstellen, was >Kreativitaet< hier zu sein hat: Naemlich ein profit center fuer die >wachsende Stadt<. Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen naemlich keine von Quartiersentwicklern strategisch platzierte >Kreativimmobilien< und >Kreativhoefe<. Wir kommen aus besetzten Haeusern, aus muffigen Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und in leerstehenden Kaufhaeusern. Unsere Ateliers lagen in aufgegebenen Verwaltungsgebaeuden, und wir zogen den unsanierten dem sanierten Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhaengiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage >Wie wollen wir leben?< nicht auf Stadtentwicklungs- Workshops diskutieren. Fuer uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiraeumen zu tun, mit Gegenentwuerfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik. Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Staedten heute auch eine Frage von Territorialkaempfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch fuer die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der >Wachsenden Stadt< gehoeren. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den Besetzern des Gaengeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den Initiativen gegen die Zerstoerung der Gruenstreifen am Isebek- Kanal und entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St. Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich der Stadt der Investoren entgegenstellen.

4 Kommentare zu “Not In Our Name, Marke Hamburg!

  1. Sind wir nicht alle irgendwie Autor? Mein Name ist Legion und ich bin viele und so?
    Nein, natürlich nicht. Ist klargestellt. Vielen Dank!

  2. Amen Leute, mir ist auch schon vor ‘ner Weile aufgefallen, dass jedesmal, wenn ich nach “good ol’ HH” gefahren bin, sich das Ganze eher in die falsche Richtung entwickelt. Besonders deutlich in Hinsicht auf den Verfall des Gängeviertels und die (meiner Meinung nach äußerst notwendige) Besetzung durch die Künstlerszene. Echte Wahrzeichen werden so lange vernachlässigt, bis sie keiner mehr haben will, oder keiner mehr dran denkt und dann flugs für seelenlose Neubauten abgerissen. Quo vadis geliebte Heimatstadt?

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