Ich wurde gefragt, ob mir unter dem Stichwort >Disneyfizierung des Ghettos< zur virtualisierten und virtualisierenden Pop-Rap-Community >Nellyville< etwas einfaellt.
Nellyville. Hmm. Benannt nach dem Rapper Nelly, der aus dem amerikanischen Midwest kommt, beinahe Profibasketballer geworden waere, 2000 sein Solo-Debut >Country Grammar< veroeffentlicht hat und mit dem aktuellen >Nellyville< zugleich einen selbstbewussten, verschoben pc-tauglichen Popkosmos mitgeliefert hat: >Imagine blocks and blocks of no cocaine, blocks with no gunplay. Ain`t nobody shot, so ain`t no news that day.< Just Say No inna Black American Style? Dann klappt`s auch mit der Hugh Hefner Mansion, wie im Video vorgetraeumt? >Think that`s cool? 40 acres and a mule? Fuck that! Nellyville – 40 acres and a pool<. [Nelly >Nellyville< auf >Nellyville<]. Das fuehrt zu Fanplueschtieren im Goldketten-Champagner-Pelz auf der Fansite. Das ist die Deko. Mein Freund David, neulich zu Besuch in Berlin, hat >Nellyville< jedenfalls zielsicher im CD-Haufen geortet und fast trotzig mein Wochenende damit bespielt. Es bounced, sagt er. Ich mache mir derweil Gedanken zu Spaces, zu verkaufstauglichen Utopien, die von der Musikindustrie geliefert werden; David findet darin zynischen Spass. Mein erster Gedanke war ja eigentlich, dass die >Disneyfizierung des Ghettos< entweder Yesterday‘s News oder schwierig zu fassen ist. >Girgio Agamben<, sagt wiederum mein Freund Paul, >formt aus Geschichten Geschichte – als fiktionale Erleuchtungstheorie der abendlaendischen Biopolitik.< Disneyfizierung der Philosophie? Ein Disneyland im mittleren Osten, so der Hilf-Dir-Selbst-Guru Deepak Chopra in der National Post vom 11.03., wuerde der Region auch einen dauerhaften Frieden bescheren. Die Hip-Hop-Diva Queen Latifah ist fuer die Rolle eines modernen Cinderella Films im Pro-Basketball-Millieu >Just Wright< vorgesehen, meldete vor ein paar Wochen prlevine.com. Ein schwarzer Soldat wirft [Tag 3?] im Irak eine Bombe in ein friendly tent. Cesar, der Bruder meines Freundes Abner und Teilnehmer des zweiten Golfkrieges, wusste zu berichten, dass er als gebuertiger New Yorker dort das erste Mal Rassismus in Auflauer Reinform erleben musste. Aus Michael Moores [>Roger & Me<, >Bowling For Columbine<] acceptance speech bei den diesjaehrigen Oscars: >We live in the time where we have fictitious election results that elect a fictitious president.< Meine Position ist verwirrt: Vermutlich weiss nicht jeder, dass sich das Black Community Profil in den letzten zwei Jahren - zumindest im HipHop- sowieso schwer in Richtung patriotische, amerkanisch-fiktionale Ueberlebenstheorie gebogen hat. >We stand united – we will not tolerate terrorism<, war der Titel der Email, die ich von der Kuenstleragentur Toffee Management aus Philadelphia am 14.09.2001 bekam u.a. vertritt Toffee Ursula Rucker, die als Poetrice folgende Lyrics verfasst hat: >Philadelphia child/ piled high…with visions of his-story / rhythms of ghetto’s glory / Richard Allen, 52 storey buildings,/ Elfreths Alley, liberty-bell rings, / sewer smells and belly swells / class trips to Independence Hall / evoke questions like… / Where do I fit in all – of this?< Aus HipHop ist ein internationaler Ur-Dialekt geworden, den die Welt ohne Beschwerde schluckt. Dass HipHop den Marketingwert des gut angerichteten, leicht Verdaulichen kennt, halte ich fuer selbstverstaendlich. Wenn da wirklich ein Zweit-Ort-Geschwuer aus dem Ghetto erwachsen ist, dann muss ich wohl weiter mit Freunden reden, um es zu begreifen. Und Nellyville? Auf der offiziellen Seite nelly.net kann man lesen: >Nellyville< ist kein Ort, hat keine Zeit oder vorgegebene Richtung. >Nellyville< erzaehlt von Nellys Realitaet - es geht darum, Moeglichkeiten zu schaffen und Traeume wahr werden lassen... Ja, ja, genau. Realitaet hat mehr mit HipHop zu tun als Nelly und HipHop hat im besten Fall mehr mit Realitaeten zu tun als Online-Kolumnen. Und Mitleid mit Merchandise Kaeufern hatte ich noch nie.