Nan Goldin zu Gast in Berlin: “Ich fotografiere alle, damit sie lebendig bleiben.”

Mit 17 habe ich ihre Kunst für mich entdeckt, 2009 auf ein kurzes Intermezzo wiedergetroffen und nun habe ich sie zum ersten Mal live erlebt: Nan Goldin. Die Künstlerin und Fotografin, die ihr Leben und ihre Freunde in Bildern festhält, damit sie “für immer lebendig bleiben”. Mit “Berlin Work” gibt sie bisher unveröffentlichte Bilder für das Publikum frei und zeigt Szenen aus dem Berliner Underground der letzten 30 Jahre.

Paris 2006. Auf Kursfahrt mit meinem Französisch-Leistungskurs sonderte ich mich vom Rest der Gruppe ab, um das Centre George Pompidou zu besuchen, das unter anderem das Musée National d’Art Moderne beherbergt. Neben unzähligen kleineren Ausstellungen wurde zu dieser Zeit auch eine mit dem Namen Le Movement des Images gezeigt. Im Nachhinein erscheint es mir, als musste ich unzählige Stufen steigen, Rolltreppen fahren und Pfeilen folgen, bis ich in einen kleinen Raum mit Vorhang gelangte, der komplett abgedunkelt war.

Der Projektor klickte im Sekundentakt und warf Bilder an die Wand, die schöner kaum sein konnten. Es waren Fotos von Paaren, wie sie sich in ihrem zu Hause bewegten, nackt, im Bett, beim Sex und unter der Dusche. Die, die da auf der Leinwand zu sehen waren, zeigten, wie es ihnen ging, ohne nur ein Wort zu sagen. Im Hintergrund lief ein Song von Björk, der die Stimmung der Bilder perfekt untermalte.

Endlich berührte mich Kunst

Ich sah mir die Slideshow fünf Mal hintereinander an und verbrachte in diesem Raum mindestens eine Stunde. Auf dem kleinen weißen Schild vor dem Raum stand: Nan Goldin: Heartbeat. Seitdem musste ich immer wieder an diese Bilder denken. Ich interessierte mich schon immer für Kunst, hatte aber bis dato hauptsächlich Ausstellungen mit Gemälden gesehen. Das war das erste Mal, dass mich Kunst wirklich berührte.

Im letzten Jahr feierte ich ein Wiedersehen mit Nan, und mit “Heartbeat”. In der c/o Gallerie wurden unter dem Titel Poste Restante mehrere ihrer Slideshows und Grids gezeigt. Grids, das sind große Bildtableaus, zusammengesetzt aus mehreren kleineren Fotos. Und wieder saß ich gebannt in diesem kleinen dunklen Raum, um die Gesichter, die ich mir damals in Paris versucht hatte, einzuprägen, wiederzusehen.

Mit “Berlin Work” kehrt sie zurück

Jetzt ist Nan Goldin wieder in Berlin und zeigt Bilder ihrer “Familie” (so nennt die US-Amerikanerin ihren Freundeskreis) aus ihrer Berliner Zeit. Eigentlich Bilder, die tief vergraben und für die Fotografin fast vergessen waren. Nan Goldin zog mit 14 Jahren von zu Hause aus um auf eine “alternative Hippieschule” zu gehen. In Boston absolvierte sie ein Fotografiestudium, zog dann gemeinsam mit Freunden nach New York, wo sie merkte, dass sie eigentlich keine Fotografin sondern Künstlerin ist.

Am Samstag sah ich Nan Goldin das erste Mal live. Zur Eröffnung der Ausstellung Nan Goldin. Berlin Work war sie eingeladen zu einem Künstlergespräch mit Joachim Sartorius, Intendant der Berliner Festspiele. Er leitete das Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), mit dessen Stipendium Goldin Anfang der 1990er nach Berlin kam. Hier verlebte sie ihre glücklichste Zeit.

Im Publikum sitzen die Kinder von damals

Zu einem dieser wenigen Auftritte Goldins in Berlin waren hunderte von Menschen gekommen, viele junge Leute. Die Schlange vor der Tür reichte bis zur Bordsteinkante und noch den Fußweg entlang und viele kamen gar nicht mehr rein. Das zeigt, dass Goldins Bilder von Drag-Queens, AIDS-Kranken, Liebhabern und Kindern eine ganz besondere Anziehungskraft ausstrahlen, die nicht nur ich in Paris damals fühlte, als ich ihren Namen noch nicht kannte und nicht wusste, wie bekannt sie ist. Im Publikum sitzen Menschen, die sie damals fotografierte und mit denen sie noch immer befreundet ist.

Diese Anziehungskraft rührt aus dem tiefen Vertrauen, das die Fotografierten der Künstlerin und somit auch dem fremden Betrachter entgegen bringen. Als Kulissen für die Gesichter, die auf Nans Bildern Geschichten erzählen, dienen Bars mit kargen Steinwänden und Wohnungen in besetzten Häusern. Die Bilder sind historische Zeugnisse. Sie zeigen Menschen, die an AIDS gestorben sind und Kinder, die heute erwachsen sind. An diesem Samstag sitzen sie in der ersten Reihe.

Anm. d. Red.: “Nan Goldin. Berlin Work” ist noch bis zum 28. März 2011 in der Berlinischen Galerie zu sehen.

7 Kommentare zu “Nan Goldin zu Gast in Berlin: “Ich fotografiere alle, damit sie lebendig bleiben.”

  1. Hallo, mir gefällt die persönliche Herangehensweise des Texts. Das passt gut zu der beschriebenen Kunst. Ich verstehe eine Sache nicht, du sagst, dass Goldin irgendwann gemerkt habe, dass sie Künstlerin und keine Fotografin sei. Können Fotografen denn keine Künstler sein?

  2. Klart, es gibt warscheinlich sogar schrecklich viele Fotografen die man nicht als Künstler bezeichnen würde. Man denke da nur an die armen Leute die Ausweisfotos schiessen oder Paparazzi …

  3. @Johanna Ich denke Nan Goldin meint nicht, dass das eine das andere ausschließt, dennoch ist es, wie Marcel richtig sagt, schon ein gewisser Weg, den man gehen muss, um vom Fotografen, der eine Technik beherrscht und diese zum Broterwerb nutzt, zum Künstler zu werden. Für Nan war dieser Prozess eine entscheidende Erkenntnis: Sie kann mehr als nur Fotos knipsen, sie kann andere mit ihrer Arbeit berühren, Emotionen auslösen. Ihre Bilder nahmen plötzlich eine andere Funktion ein. So würde ich ihre Aussage interpretieren.

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