Mythos E-Mail

E-Mail als Diskurs: Krystian Woznicki spricht in der taz per E-Mail ueber die E-Mail, Paul Ferdinand Siegerts Dissertation “Die Geschichte der E-Mail” erscheint bei transcript.

Musste man vor zehn Jahren noch Verwandten die Bedeutung des Klammeraffen auf der Tastatur erklaeren, weist die E-Mail heute eine gemeingueltige Epochalitaet auf, die eine Geschichtsschreibung nicht nur begruendet, sondern nach ihr verlangt. Dabei ist die Arbeit der Biographen juengerer Technikentwicklungen nicht neu – zu gern werden die Legenden von Loetkolben und Garagen erzaehlt. Doch es sind zumeist Menschen-zentrierte Anekdoten, die zum Besten gegeben werden.

Auf eben diese Anekdoten verzichtet Siegerts Arbeit und mag damit auf den ersten Blick enttaeuschen: Das Buch ist >trocken<. Doch dieser Lektuere-Schock muss ueberwunden werden, um den eigentlich Fokus zu verstehen: Siegert arbeitet ausgehend von der Frage nach einer Geschichte der E-Mail ein halbes Jahrhundert Technikgeschichte auf und legt materielle und immaterielle technische Artefakte sehr nah am eigentlichen Objekt frei. Diese soziologische Objekt-Konzentration steht erklaertermassen in der Schule Bruno Latours, dessen Akteur-Netzwerk-Theorie Objekten wie Subjekten die Rolle eines Akteurs zuweist. Was bedeutet dies fuer das vorliegende Werk? Auf 360 Seiten steigt Siegert tief in die technische Materie ein, berichtet von Dingen wie Netzwerktopologien, Time-Sharing-Systemen, dem ARPANET, E-Mail-Headern, Datenpaketen und den technischen Unterschieden diverser Spam-Filter-Mechanismen. Das ist keine leichte Kost und setzt die Bereitschaft des Lesers voraus, eine schwer verdauliche Detailtiefe zu akzeptieren. Doch eben diese Detailtiefe ist nicht Schwaeche sondern Staerke des Buches, das seine Argumentation nicht auf Anekdoten, sondern der Ausarbeitung des technischen Dispositivs >E-Mail< baut. Zugleich scheint diese technische Argumentation den kulturtheoretischen Anspruch des Buches zu konterkarieren. Zwar werden Texte von Foucault, McLuhan und Kittler aufgegriffen, jedoch erscheint dies eher hastig abgearbeitete intellektuelle Beigabe, als essentielles Substrat der Arbeit zu sein. Doch dieses Manko ist hinnehmbar, wenn man Siegerts Werk vor allem als eines betrachtet: Als Technik-Archaeologie. Einzig offene Frage: Ist die E-Mail wirklich ein Massenmedium, wie es der Untertitel des Buches [>Erfolg und Krise eines Massenmediums<] behauptet? Eigentlich nicht – da war man sich bereits im letzten Jahrtausend sicher.

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