Multimediales Publizieren im Netz

Was passiert mit dem Autor, wenn er ins Datenmeer springt? Die Web-Publizistin Christiane Zintzen hat darüber einiges zu erzählen. Sie betreibt das multimediale Blog in|ad|ae|qu|at und kann auf vielfältige Erfahrungen zurückblicken. Der Name ihres Projekts in|ad|ae|qu|at ruehrt aus der ersten, etwa drei Monate waehrenden Beta- Phase des Experiments Weblog her: Am Anfang stand die Suche nach Titel beziehungsweise nach einem Domainnamen, welcher die oesterreichische Laenderkennung “.at” produktiv integriert. Allerdings resultierten aus dem urspruenglichen Umlaut von inadaequ.at derartig verzerrte URL- Darstellungen, dass sie sich fuer die auch rhythmisch geeignetere “ae”- Form entschieden, welche ueberdies ermoeglichte, die Trennstriche [= als symbolisches Äquivalent von Bruchlinien] einzufuegen.

Die Umlagerung von der oesterreichisch-spezifischen Domain auf das neutralere “.org” lag uns insofern am Herzen, weil die Betreiberin des Weblogs zeit ihres Lebens nie in einem Staat gelebt hat, in welchem sie etwa auch wahlberechtigt gewesen waere.

Von daher begruessen wir die Moeglichkeit, per Domainkennung “.org” den “nationalen Stempel” einer Webpublikation zu umgehen. Die Bezeichnung in|ad|ae|qu|at repraesentiert eine grundsaetzlich skeptische Haltung gegenueber Mainstreams aller Art. Wie wohl seit dem 18. Lebensjahr parallel zum Studium in Print und Radio fuer “hochkulturelle” Medien arbeitend, liefen “gegenkulturelle” Projekte [Fanzine, Off- Theater, Independent- Musikproduktion] stets nebenher. Die Erfahrung, stets zwischen allen Stuehlen zu sitzen zu kommen, ist dem Projekt in|ad|ae|qu|at eingeschrieben: Das geringe symbolische Kapital, welches einem transdisziplinaeren Unterfangen jenseits der starren Kategorien von Literatur | Popkultur | Netzmusik | Kunst | Fotografie etc. konzediert wird, nehmen wir dabei bewusst in Kauf. Im Gegenteil unterlaufen wir solcherart bestehende Konkurrenzverhaeltnisse der einzelnen Sparten.

Wenn gleichwohl die >ecriture< im Mittelpunkt des taeglichen Publizierens steht, so wird das Blog in keiner Weise als persoenliches Journal gefuehrt, sondern orientiert sich >thematisch< an Literatur und deren >Betrieb<, an Medienbeobachtung und nicht zuletzt an den konkreten Texten anderer Autorinnen und Autoren. Demnach waere in|ad|ae|qu|at eher als Literaturzeitschrift im Netz aufzufassen, mit dem Unterschied freilich, dass die Moeglichkeiten des Zusammenfuehrens verschiedener Medien [Video, Audio, Fotografie und Grafik] weit ueber den Horizont gedruckter Magazine hinausreichen. Fuer den Salon Litteraire spreche ich gezielt AutorInnen oder bildende KuenstlerInnen an, Werke auf in|ad|ae|qu|at zu publizieren.

Auf diese Weise waechst Sonntag fuer Sonntag eine multimediale Anthologie heran. Da von Seiten einiger Kuenstler auch Interesse an essayistischen Formaten ventiliert wurde, entstand der espace d’essays, welcher Gastbeitraege und einige meiner eigenen kulturpublizistischen Arbeiten versammelt. Nicht zuletzt sei die in loser Folge gesendete Rubrik tableau de texte genannt, wo Neuerscheinungen in kommentierten Vorabdrucken praesentiert werden.

Wiewohl bei der >Anbahnung< von Gasttexten keine geringe redaktionelle Arbeit anfaellt, versteht sich in|ad|ae|qu|at nicht als hierarchisch mit Materialien umspringende Redaktion, sondern geniesst das Privileg und die Lust des Moeglichmachens. Alle drei Formate ergeben sich logisch aus den vitalen Kontakten, welche aus zehn Jahren experimenteller Radioarbeit mit Kuenstlern [ORF- Reihe Literatur als Radiokunst] ebenso resultieren wie aus der vorangegangenen, tagtaeglichen Zusammenarbeit mit Schriftstellerinnen und Schriftstellerin in einem Wiener Literaturhaus. Beides hat mich [anders als die Literaturkritik traditioneller Ausrichtung fuer NZZ und LITERATUREN] zu einer ergebnisorientierten Haltung hinsichtlich der Praesentation, Editierung und Inszenierung von literarischen Texten gefuehrt. Dabei geht es mitnichten um eventuelle Befindlichkeiten und | oder Meinungen der Beihelfer, sondern alleine darum, das betreffende Werk | die betreffenden Schoepfer bestmoeglich zur Wirkung zu bringen.

Da >Text im Netz< – sei dies nun ein recherchierter Artikel oder ein literarisches Werk – allgemein als frei verfuegbares Material angesehen wird, werden spezifische Publikationsorte und -daten ebenso marginal wahrgenommen wie die Autorschaft selbst. Um einer solchen Perzeption entgegen zu wirken, ist es dem Projekt in|ad|ae|qu|at darum zu tun, die Persoenlichkeiten der beitragenden Autorinnen und Autoren durch die Anlage individueller Autorenseiten zu hervorzuheben. Die Ratio dabei war zunaechst, den betreffenden Kuenstlern statt eines pekuniaeren Honorars [welches bei oesterreichischen Literaturzeitschriften eher unueblich ist] quasi als konkrete >Gegenleistung< je eine eigene AutorInnenseite zu gestalten. Diese wird – abgesehen von einigen formalen Vorgaben – strikt nach den Angaben der Kuenstler gestaltet und laufend aufdatiert. Damit sind fuer einige der in|ad|ae|qu|at- AutorInnen veritable Referenzseiten entstanden, auf welche diese gerne in anderen Kontexten verweisen. Die permanenten Updates hinsichtlich Publikationen, Ausstellungen etc. liefern teils die Literaturschaffenden selbst, werden teils von uns anhand der Verlagsvorschauen ergaenzt. Grosso modo garantieren diese >lebendigen< Seiten auch einen ueber den Einzelbeitrag hinausgehenden vitalen und bleibenden Kontakt zu | mit den AutorInnen. An diesem Punkt laesst sich den weniger netz- affinen Schriftstellern vielleicht sogar eher kommunizieren, dass in|ad|ae|qu|at nicht einfach – wie es umgangssprachlich heisst – >nur Texte ins Netz stellt<, sondern diese pflegt und mit einer Reihe normierter Metadaten versieht. Ingesamt wurden 34 solcher Autorenseiten erstellt und 77 Ausgaben des >Salon Litteraire< publiziert – zusammen mit den bio- bibliographischen Seiten schon so etwas wie ein Baustein zu einem kleinen Lexikon aktueller Literatur. Meine Arbeit besteht in der taeglichen Fortschrift des Weblogs, im Moeglichmachen des Netz- Publizierens von Autorinnen und Autoren, in sorglicher Wartung der biographischen Seiten sowie der Dokumentationen. All dies waere ohne ein konsequentes Indexieren hinfaellig, da erst die Beschlagwortung [Metadaten] eine gute Auffindbarkeit der Materialien im Netz zu gewaehrleisten vermag. Es gilt mithin, die einzelne Webpublikation [etwa der Einzeltext eines >Salon Litteraire<] nicht >nur< in Form einer URL auszuweisen, sondern fuer jeden einzelnen Text- Ton- Bild- Beitrag einen persistenten >Unique Identidfier< zu generieren. Dieser bleibt unabhaengig vom momentanen Speicherort [URL] auf Dauer dem betreffenden Werk zugeordnet und ist Element einer internationalen Datenbank. Vermittels Anmeldung bei der Stiftung >International DOI- Foundation< ist es moeglich, jeden >Beitrag< mit einem [der ISBN- Nummer im Buchwesen vergleichbaren] dauerhaften Zifferncode [DOI = >Digital Object Identiffier<] international zu registrieren – ein Standard, auf welchen sich kuerzlich der >Boersenverein des Deutschen Buchhandels< und die Europaeischen Bibliotheken geeinigt haben. Das System der >Digital Objekt Identifier< wurde bislang nur von grossen Verlagskonzernen wie Springer oder massgeblichen wissenschaftlichen Periodika [>nature<] genutzt und bildet ein international anerkanntes Regelwerk fuer Zitatbezuege und Rechtevokabular . Im praktischen Umgang mit den Datenfeldern und Nomenklaturen von DOI hat sich zunaechst gezeigt, dass die Auslegung und Behandlung trotz offenem Basiskonzept gaenzlich auf die Beduerfnisse von traditionellen Grossverlagen und deren gedruckten Publikationen zugeschnitten war. Das System DOI wurde zum Normieren von Firmendatenbanken und zur eventuellen Zweitverwertung als >Digitaler Download< erst nach der Druckstufe genutzt.

Demgemaess stand auch kein Datenbank- Client fuer die individuelle Nutzung und keine praktikable Eingabemaske fuer die Standardvariablen aus den Metadaten-Woerterbuechern zu Verfuegung. in|ad|ae|qu|at konnte hier im direkten Dialog mit dem Registrar >MEDRA< wesentliche Klarstellungen herbeifuehren, die nun auch anderen >Non- Profit< Projekten sowie einzelnen Autorinnen und Autoren dienlich sein koennen:

– Programmierung eines Datenbank-Client fuer das System DOI sowie kostenfreie Bereitstellung

– Hoehere Gewichtung des Namens von Autor und Autorin im Gegensatz zum Namen des >Verlags< bei der visuellen Repraesentation der DOI- Abfragen
– Änderung der deutschen Übersetzung des englischen >Work< vom deutschen >Buch< in das deutsche Wort >Werk< in der offiziellen DOI- Nomenklatur im Sinne einer Öffnung in Richtung allgemeiner Web- Formate
– Umdefinition bisher ausschliesslich fuer Druckwerke genutzter Begriffe auf die Blog- Semantik: Statische Beitraege werden als >Monographic Product< registriert, Blog- Beitraege und Autorenseiten als >Serial Article Version< Autoren – Buchstaben als >Serial Issue Version<, Basis-Seiten als >Serial Title Version< Wesentlich fuer die semantische Vernetzung im Web und die Auffindbarkeit mittels Suchmaschinen sind auch die fuer jeden Artikel und jedes Werk einzeln zugefuegten >tags< [>Schlagwoerter<]. 6.858 unterschiedliche Begriffe sind ueber 19.048 Relationen mit den Artikeln und Werken verknuepft , diese muehevolle Kleinarbeit wird durch einen hohen Stellenwert bei den Google- Suchabfragen und einem respektablen >Pagerank< von 5 belohnt . Nur wenige werbefreie deutschsprachige Web- Projekte im Spezialbereich Kunst und Kultur erreichen diesen Status bei Google. in|ad|ae|qu|at ist bislang das einzige deutschsprachige Mikromedium, welches sich der Indexierungsmethode und der Copyright- Registrierung per DOI bedient. in|ad|ae|qu|at versteht das Publizieren im Web nicht etwa als Sekundaeres, Abgeleitetes, sondern als distinkte Kunstform und Wertschoepfung mit selbstaendigem Werkcharakter. Hier gilt es noch viele Missverstaendnisse auszuraeumen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Dass Letztere nicht durch langwierige Theorie, sondern durch konkretes Ins- Werk- Setzen zu leisten ist, moegen die 700 Einzeleintraege, 285 statischen Seiten und 6.858 differenten Schlagwoertern belegen. Aus dem Dargelegten geht hervor, dass in|ad|ae|qu|at >Publizieren im Netz< zunaechst auf das Moeglichmachen von Kunstwerken anderer Kunst- und Kulturschaffender versteht: Somit kann in|ad|ae|qu|at je nach Bedarf als Publikationsort, als Galerie oder auch als akustischer Auffuehrungsraum in Erscheinung treten. Wichtig ist mir, zu betonen, dass dieser [derzeit von etwa 20.000 Absolute Unique Visitors | Monat aufgesuchte] Raum in gutem Kontakt zu den Institutionen, jedoch ausserhalb der Universitaeten, Verlage und sonstiger Literaturinstitutionen agiert. >Publizieren im Netz< bedeutet demnach zunaechst die Freiheit der Wahl, kurzfristig mit Verlagen, Literaturveranstaltern etc, zusammen zu arbeiten, dies doch stets nach Massgabe des praktisch Notwendigen. Hinzu kommt die stetige Reflexion ueber >Literatur im Netz< und deren technische Moeglichkeiten sowohl intern [mit meinem Administrator Karl Petermichl verbinden mich lange Jahre der Radiokunst- Produktion sowie das auf Optimierung des Mediums >Weblog< zielende Interesse] als auch extern durch die Einbindung in das Netzwerk >Literarische Weblogs<, litblogs.net. Da ich seit November 2008 zusammen mit Hartmut Abendschein litblogs.net herausgeben darf, haben sich Dialog und Diskussion auch in dieser Richtung aeussert produktiv intensiviert.

Was mein eigenes Schreiben im Netz anbelangt, diente es zunaechst als notwendige Form , sich aus den journalistischen Routinen und dem staendigen Imperativ der Zeilenkuerzung [Zeitung] sowie des Minutensparens [Radio] >freizuschreiben<: Es galt , formal wieder zu spontanen Saetzen und melodischen Boegen zu finden , welche nicht den Formaten der institutionellen Medien entsprechen . Auch thematisch gestalte ich jene Themen und formuliere vor allem jene Skeptizismen aus, die von Auftraggebern ueblicherweise nicht erwuenscht sind. Gleichwohl, und das ist im Zusammenhang mit der Umfrage zur >Autorschaft< nicht zu unterschlagen, war ich zu keiner Zeit eine >literarische< Autorin im ueblichen Sinn. Meine >Echtwelt<- Autorschaft hat sich bislang auf kulturwissenschaftliche Zusammenhaenge sowie auf [ oft assoziative ] Essays zu ausgewaehlten KuenstlerInnen erstreckt. Speziell im letztgenannten Zusammenhang hat sich wohl auch so etwas wie ein >Stil< herausgebildet, welcher – Frucht langwieriger Vorarbeiten – sich dem Gegenstand des jeweiligen Themas aufs aeusserste anzuschmiegen sucht. Die Frage, ins Imaginaere zu schreiben, stellt sich fuer mich insofern nicht, als ich – speziell im Zusammenhang mit meiner eigenen Fotografie – ein kaum auszuschoepfendes Themenreservoir vorfinde. Die Spur des Wahrgenommenen und dessen Reflexion benoetigt weder eine Variante des >Tagebuchs< noch einer Fiktionalisierung. >Schreiben im Netz< waere demnach ein Reflexionsraum, welcher ins Offene vorstoesst, ohne deshalb >Geschichten erzaehlen< zu muessen oder das einzelne Wort auf die poetische Goldwaage zu legen. Aus dieser Grundeinstellung und aus einem dialektischen Problembewusstsein geht hervor, dass [m]ein Schreiben stets nur ein versionaeres, unvollendetes sein kann. Aus diesem Grund ist auch das >WER SPRICHT?< von sekundaerem Interesse. Zwar steht mein Klarname im Impressum und sind die Artikel mit >czz< gekennzeichnet, doch zielt mein Impetus eher darauf, die Person der Schreibenden moeglichst hintan zu halten. Dass nach 20 Jahren institutionellen Publizierens der Eigenname moeglicherweise eine Marke, laengst jedoch nicht mehr >Identitaet< darstellt, mag nachvollziehbar sein. Weshalb dieser Name im Text eben so gut vermieden werden kann, wie er gleichzeitig der URL von in|ad|ae|qu|at [http://www.zintzen.org/] unabloesbar eingeschrieben ist. Derartig befreit vom narzisstischen Ich des Autorennamens, zielen meine Texte nach Massgabe des Moeglichen prinzipiell auf die Vermeidung des Wortes >ICH<. Ersetzt durch ein leicht diffuses >wir<, spricht der Text aus der Perspektive wechselnder imaginaerer Gemeinschaften, dialogischer Kontinuen sowie unausgewiesener Wahlverwandtschaften. Da das >ICH< m. E. sowieso im Stil und in der Denkfigur aufgehoben ist, braucht es kein Text- >ICH< und keinen Autorennamen. Der Autor sei als Funktion der Schrift anzusehen und als Vollzugsinstanz sprachlichen Eigensinns. Insofern bastle ich sehr wohl an einer Art Avatar, welcher allerdings >in|ad|ae|qu|at< heisst und sich als >WIR< formuliert. Bei Gelegenheit wird diskret an der Fiktion gearbeitet , in|ad|ae|qu|at sei ein nicht naeher ausgewiesenes Kollektiv diverser Schreiber , Setzer und Maschinisten … Eine Linie , welche wohl von den wenigsten LeserInnen wahrgenommen wird , was – Stichwort >Versionalitaet< – nicht weiter von Belang ist . P. S. Da eben im metaphorischen Sinn von >Avataren< die Rede war, komme ich nicht umhin, einen solchen im strikten Sinne des Wortes – als stellvertretende Materialisierung – vorzustellen. Die Schriftstellerin und Kuenstlerin Gundi Feyrer hat, inspiriert von den Eindruecken und Vorstellungen bei der Lektuere des Weblogs, einen veritablen figuerlichen >Avatar in|ad|ae|qu|at< geschaffen: Eine etwa 20 cm hohe Tonfigur, deren Bild ich diesem Text abschliessend beifuege.

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