Unerzählte Geschichten: Moscheen, Geheimdienste und die Rolle der Performancekunst

Was bedeutet Öffentlichkeit heute? Das war eine wichtige Frage für das Performance-Festival “Public Art Munich”. Hier wurden demokratische Grundwerte wie Meinungsfreiheit und Gemeinwohl mit einem politischen Verständnis von zeitgenössischer Kunst verbunden. Die Berliner Gazette-Autorin und Kunstkritikerin Julia Gwendolyn Schneider war in München unterwegs und hat sich Arbeiten angeschaut, die die unerzählten Geschichten von Münchner Moscheen genauso wiedergeben, wie die von Geheimdiensten in der Stadt. Eine Erkundung.

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„PAM 2018 setzt auf eine Kunst, die das Spiel verändern will, indem sie herrschende Denk- und Handlungsroutinen in Frage stellt,“ erklärt die Pressemitteilung. „Spiel“ ist dabei eine Referenz auf den Titel „Game Changers“, das Motto unter dem Joanna Warsza die zweite Ausgabe von Public Art Munich (PAM) kuratiert hat. Das Festival begleitete die Stadt München von Ende April bis Ende Juli mit einer Serie performativer Auftragsarbeiten in 20 Kapiteln. Jedes Wochenende ereignete sich eine neue Intervention im Münchner Stadtraum an bekannten und entlegenen Orten. Es landeten keine Kunstobjekte im öffentlichen Raum, vielmehr gab es an ausgewählten Stationen der Stadt Projekte zu sehen bei denen Subjekte und Ereignisse im Vordergrund standen.

Den theoretischen Mittelpunkt von Public Art Munich bildete die Öffentlichkeit, wobei Öffentlichkeit als ein politisches Forum im Vorfeld institutionalisierter politischer Prozesse verstanden wird. Warsza gestaltete PAM 2018 vor dem Hintergrund einer Stadt, die sich zwischen extremen politischen Kontrasten bewegt, wie die Ausrufung der Bayerischen Räterepublik 1919 und die Nazivergangenheit, das Willkommenheißen von Geflüchteten 2015 und die aktuelle Verschärfung der bayrischen Polizeigesetzen. Das Konzept von Paradigmenwechsel inspirierte das gesamte Programm, das danach fragte, auf welche Art wir selbst an Veränderungen teilnehmen. „Die Frage ist nicht, ob wir Teil der Veränderungen unserer Zeit sein wollen, sondern wie wir uns darin positionieren. Was soll bleiben? Was soll sich ändern?“, so die Kuratorin in dem Begleitbuch zum Festival.

Eine Moschee und ihre unerzählte Geschichte

Eine Herangehensweise von Public Art Munich lag darin, mit Hilfe der Kunst Schichten in der Stadtgeschichte freizulegen, deren Vorhandensein zuvor nicht adressiert worden war, oder gar unbekannt zu sein schien. Aus diesem Ansatz heraus begegnet Cana Bilir-Meier der Freimann-Moschee, eine sehr bedeutende Moschee in München, deren etabliertes Narrativ „aus westlich populärwissenschaftlicher Perspektive von einer Strategie der CIA während des Kalten Krieges spricht: Diese wollte den Islam antikommunistisch politisieren und den Einfluss der Sowjetunion in der muslimischen Welt zurückdrängen“, so der Begleitbuchtext.

Auch Gürsoy Doğtaş, Kurator von PAMs Diskursprogramm, weist in seiner Einführung zu Bilir-Meiers Projekt auf diesen Teil der Geschichte hin. Für ihn liegt darin ein entscheidender Augenblick, um zu verstehen warum die Gründung dieser Moschee nach dem Zweiten Weltkrieg (1967) sowohl für die deutsche wie auch für die amerikanische Seite so wichtig gewesen sei. Der Plan ging hingegen nicht auf. Es folgte der zweite Teil der Geschichte in dem die Moschee heutzutage unter anderem von Autoren wie Ian Johnson und Stefan Meining neben der CIA, mit islamischem Fundamentalismus in Zusammenhang gebracht wird.

Auch Bilir-Meier stieß bei ihren Recherchen auf die komplizierten, schwierigen Geschichten, die die Moschee umgeben, wovon die besagten Bücher zeugen. Die Künstlerin wollte die Brisanz dieser Zusammenhänge, aber nicht vor dem religiösen, weltpolitischen Hintergrund aufarbeiten, sie wählte eine andere Perspektive. „Das Projekt „Grundstein“ (2018) ist eine Recherchearbeit, die unterschiedliche Erzählstränge aufnimmt und das migrantisch situierte Wissen, die migrantischen Geschichten, Positionen und Perspektiven sichtbar machen will.“ (Bilir-Meier, Publikation zur Arbeit „Grundstein“)

Es ist die Geschichte eines türkischen Architektenpaars, das in den 1950er Jahren, kurz vor dem „Gastarbeiter-Anwerbeabkommen“, nach München zog, es ist auch die Geschichte der Architektur der Moschee, wobei Osman Edip Gürel und Necla Güre viele Bauprojekte in München realisiert haben – sie haben Schulen, Theater, Sakralbauten und Häuser gebaut – aber in der Geschichte der Münchner Architektur wurden sie bislang nicht gewürdigt. Nun soll das Stadtmuseum das Archiv der Familie erhalten.

Privat-familiär versus offiziell

Bilir-Meier hat die beiden Töchter des Paares – Zerender Gürel und Hürdem Gürel-Riethmüller – interviewt. Am 26. Mai konnte man ihren Erinnerungen und Überlegungen zum Lebenswerk ihrer Eltern über einen Audio-Guide folgen und währenddessen die Moschee besichtigen. An jenem Tag wurde auch der Grundstein zurückgebracht und, mehr als 50 Jahre nachdem die Moschee gebaut worden war, feierlich eingeweiht. Den Grundstein hatte Cana Bilir-Meier bei ihrer Recherche zufälligerweise gefunden: Zerender Gürel, die ältere Tochter, hatten den fast 30 Kilo schweren Marmorstein über all die Jahre behütet, nachdem der Vater bereits im Alter von 59 Jahren verstorben war.

Gürel ist nicht genau bekannt, warum die Platte von ihrem Vater nach Haus gebracht worden war, aber sie geht davon aus, dass der Stein zum Zeitpunkt der Grundsteinlegung, als die Moschee noch ein Rohbau war, nicht auf der Baustelle verbleiben konnte, da die Gefahr bestand, dass er sonst verschwunden wäre. Ihr Vater nahm den Stein in Obhut. Dann gab es aus Geldmangel bis 1972 eine lange Baupause und am Ende „erbte“ die Tochter den Stein.

Bilir-Meier, die ihre Vorgehensweise bewusst sehr persönlich gestaltet und mit ihrem privat-familiärer Ansatz dominante Repräsentationen unterwandert, ließ auch ihre Mutter Zühal Bilir-Meier, eine Kindertherapeutin, die seit den 1980er Jahren unter anderem in Moscheegemeinden in München Bildungsarbeit für muslimische Frauen geleitet hat, mit einem Text über Montessori-Kindererziehung zu Wort kommen. Bilir-Meiers künstlerisches Werk ist durch die persönliche Geschichte ihrer Mutter geprägt, die seit 30 Jahren in der türkischen Gemeinde Münchens als Sozialpädagogin arbeitet. Der Text von ihrer Mutter betrifft nicht nur die Kindererziehung, er geht für Bilir-Meier um Erziehung im Allgemeinen. Etwas, das uns alle angehe, egal, ob wir Kinder haben, oder nicht.

Neben den erzählerischen Audio-Guides, gab es auch die Möglichkeit, in eine Sound-Komposition von Aylin Aykan einzutauchen und damit die Moschee zu begehen. Als Grundlage hat Aykan ein Sehnsuchtslied verwendet, dass die Melancholie des Wanderns zwischen zwei Welten ausdrückt, ein Gefühl, dass eng mit ihrer persönlichen Migrationsgeschichte verbunden ist. Bilir-Meier versteht jede Geschichte, jeden Ansatz dem sie Gehör verschafft hat, auch als ein Porträt der jeweiligen Person. So hat sie nicht nur neue Perspektiven auf die Freimann-Moschee eröffnet, sondern auch vier Frauenporträts geschaffen. Es sei aber, wie sie selbst anmerkt, natürlich auch ihr Blick und somit auch ein Porträt von ihr.

Geheimdienste und Geflüchtete

Auch in der Kunst von Franz Wanner geht es um alternative Narrative, dabei aber weniger um Fragen der Repräsentation, als um eingeschriebene Ideologien und deren Sichtbarmachung und Infragestellung. Ein wesentlicher Ausgangspunkt für seine Recherchen ist die Feststellung, dass „selbst in mehrheitlich als demokratisch empfundenen Gesellschaften Bereiche existieren, in denen der Staat rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setzt.“ (Über Wanners Projekt „Die Befragung“ im PAM-Begleitbuch) Für Wanner ist diese Problematik, die auch Deutschland betrifft, eng mit der Tatsache verknüpft, dass der deutsche Geheimdienst älter als die Bundesrepublik Deutschland sei.

1946 wurde unter US-amerikanischer Kontrolle die „Organisation Gehlen“ gegründet, drei Jahre bevor die BRD entstand. Diese Organisation, deren Nähe zu ehemaligen Nationalsozialisten bekannt ist, wurde später als der neue Geheimdienst der BRD übernommen und 1956 in Bundesnachrichtendienst umbenannt. Für Wanner ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass dieser nicht-demokratische, rechtsfreie Untergrund bis heute ein Bestandteil des Staates sei von dem auch wir ein Teil sind. Er merkt an, dass wir es in diesem Fall mit einem Bestandteil zu tun haben könnten, der nicht dazu beitragen würde, dass es transparent und menschlich zugehen würde, der aber zugleich nicht öffentlich kontrollierbar sei.

Um sich mit der Thematik rechtsfreier Unterströmungen auseinanderzusetzen und die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen, hat Wanner für Public Art Munich ein situatives Performancestück entwickelt bei dem in einem 15-Minuten-Loop je zwei ZuschauerInnen auf zwei SchauspielerInnen trafen und beide Seiten aktiv an dem Stück mitwirkten. „Die Befragung“ (2018) von Wanner spielte eine Schulungssituation des BND nach, in der der Künstler sowohl die entmenschlichende Rhetorik als auch Grenzüberschreitungen geheimdienstlicher Arbeit erkennbar werden ließ. Die interaktive Performance basierte auf dem Befragungssystem des deutschen Geheimdienstes gegenüber Geflüchteten.

Wenn Geflüchtete nach Deutschland kommen, nehme das Bundesamt für Migration die persönlichen Daten auf und gebe sie an den Bundesnachrichtendienst weiter, der nach bestimmten Kriterien Menschen auswähle, die er zur Befragung bestelle. Für die Geflüchteten erscheine die Befragung als Teil eines ohnehin schwer durchschaubaren Behördenakts im Asylverfahren und sei praktisch nicht als Geheimdienstintervention erkennbar. Selbst wenn Zweifel aufkommen sollten, liege es außerhalb der Realität in der sich die Geflüchteten befinden, Zweifel anzunehmen und zu fragen: „Moment mal, bist du überhaupt ein echter Beamter?“ Mittlerweile hat der BND diese Art der Befragung unter öffentlichem Druck zwar offiziell eingestellt, es wird aber davon ausgegangen, dass solche Szenarien weiterhin, etwa in Wanners Heimatstadt München, stattfinden.

Kampf im Geheimen

Die zwei SchauspielerInnen spielten bei „Der Befragung“ MitarbeiterInnen des BND, während die beiden ZuschauerInnen, in die Rolle von Lehrlingen schlüpften, die als neue Geheimdienstler in der „Hauptstelle für Befragungswesen“ – die Bezeichnung für jenen Ort an dem die geheimdienstlichen Befragungen ehemals stattgefunden haben – eingewiesen werden. Bewusst wählt Wanner keine Eins zu Eins-Übertragung. Er möchte eine Narration finden, die in der Lage ist, die diffuse Repression und internalisierte Logik, die in solch einer Befragungssituation am Werk ist, zur Sprache zu bringen.

Im Zuge von PAM hatte Wanner auch damit begonnen sich mit geheimen Dienststellen des BND zu beschäftigen. Neben den Zentralen in München-Pullach und Berlin betreibt der Bundesnachrichtendienst weltweit ca. 200 solcher inoffizieller Einrichtungen, viele davon in Bayern und eine größere Anzahl befinden sich in München. Bereits im Februar 2018 veröffentlichte er Informationen seiner künstlerischen Recherchearbeit in einem Radiobeitrag im Bayrischen Rundfunk.

Während der Künstler im Gespräch mit Joana Ortmann versuchte seine Entdeckungen in einen politisch-gesellschaftlichen Kontext einzuordnen – unter anderem kam heraus, dass der BND in einem der Glockentürme der Münchner Frauenkirche einen geheimdienstlichen Sendeturm eingerichtet hat – nutzten große Teil der Presse Wanners Information um eine spektakuläre Meldung zu erzeugen. Für Wanner wäre es hingegen viel wichtiger zu fragen, was es für die Gesellschaft bedeutet, dass der Geheimdienst dieses Wahrzeichen Münchens unerkannt nutzt, um dort über eine lange Zeit eine geheime Kommunikation zu pflegen. Ist eine Institution, die im Geheimen das „Staatswohl“ verteidigt wirklich erstrebenswert? Das wäre eine der Fragen, die Wanner dazu führt Aspekte der gegenwärtigen Realitätsproduktion genauer unter die Lupe zu nehmen.

Anm. d. Red.: Am 27. Juli gibt es ab 17 Uhr vor dem Neuen Rathaus München das große Finale des Public Art Munich Festivals mit der Arbeit “Staatsorchester” von Ari Benjamin Meyers. Er lädt Münchner StraßenmusikerInnen ein, sich zu einem gemeinsamen Spiel zusammenzufinden und ein temporäres, informelles Ensemble zu bilden. Das Bild oben zeigt einen Ausschnitt aus Cana Bilir-Meiers Arbeit “Grundstein”, es wurde von Michael Pfitzner und Paul Valentin aufgenommen.

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