Molloch der Mikro-Zonen

Ausser zweier langer USA-Aufenthalte habe ich die meiste Zeit meines Lebens in Istanbul verbracht, dort, wo ich geboren wurde. Bei meinem ersten Aufenthalt in den USA absolvierte ich in den 1980er Jahren ein Kunstgeschichtsstudium. Als ich 1993 erneut in die USA ging, hatte ich als Chefkurator und Direktor der 3. Biennale in Istanbul gearbeitet und kam als der Gruendungsdirektor des Museumszentrums fuer kuratorische Studien ans Bard College in New York. 1997 verliess ich die Staaten wieder und traeumte davon in meiner Heimatstadt Istanbul eine Kunstinstitution aufzubauen.

Der Traum wurde wahr: Ich gruendete die >Platform Garanti Contemporary Art Center< und > Proje4L – Istanbul Museum of Contemporary Art< und arbeite als Direktor dieser beiden Einrichtungen. Als beide groesser wurden, blieb ich lediglich der Direktor von >Platform<, waehrend ein Direktorenteam das >Proje4L< zu leiten begann, bis das Museum >Proje4L< ungluecklicherweise schliessen musste, da die Finanzierung nicht mehr abgesichert war. Im naechsten Jahr werde ich vor allem mit den Vorbereitungen fuer die 9.Istanbul Biennale beschaeftigt sein, die ich zusammen mit Charles Esche kuratiere. Ende Oktober organisiere ich aber auch zwei Ausstellungen in Berlin: bei Sparwasser HQ und in der ifa-Galerie. Meine Arbeit wird vor allem mit der Modellierung von Institutionen in Verbindungen gebracht, aber ich schreibe und denke auch viel ueber den Zustand der visuellen Kultur nach. Die Kunstszene in Istanbul ist etwas sehr Eigenes und ich halte sie fuer unvergleichbar mit den Szenen, die in anderen europaeischen Staedten zu finden sind. Lange Zeit hatte die Stadt nichts zu bieten, ausser ein paar lokale Kuenstler und von Kuenstlern organisierte Ausstellungen. Durch die Gruendung der Istanbul Biennale gibt es eine Gruppe von Kuenstlern, die sich nun in der internationalen Kunstszene bewegen und sich in Europa etabliert haben. Es wurde lange Zeit als eine Schwierigkeit angesehen, in Istanbul Gegenwartskunst zu finden. Darauf waren die Institutionen naemlich unvorbereitet und es gab wenig Uebereinstimmungen ueber Verhandlungen zwischen Kuenstlern, Institutionen und Publikum. Der Kuenstler galt als selbstgestyltes, respektloses Waisenkind, das von den Einschraenkungen des kulturellen Establishments ausgenommen war, ohne ihre Marktorientierung und ihre erstickenden Argumente auf das Recht zur Repraesentation. Ausser der zurueckhaltenden Unterstuetzung durch die Istanbul Biennale, gab es sehr wenig Rückhalt für Kuenstler. Moeglichkeiten ergaben sich meist durch gelegentliche Projekte im Ausland; Das Zuhause war eine Art Diaspora. Deswegen gruendeten sich Mikro-Communities, in denen es offene Gespraeche und von Zeit zu Zeit selbstorganisierte Events gab. In den letzen Jahren haben sich die Dinge in Istanbul veraendert. Verspaetung erzeugt Geschwindigkeit, so dass es nun neue, noch zerbrechliche Institutionen und wundervolle Kuenstler gibt. Waehrend viele Dinge sich ohne Zweifel geaendert haben, und das nicht nur in dieser Stadt, sondern auch an vielen anderen Orten weltweit, bleiben doch viele Fragen ungestellt. Die derzeitige oekonomische Krise hat private Foerderer und Stipendienanwaerter dazu gebracht, sich auf verantwortliche und ertragreiche Projekte zu konzentrieren. Das Ende der Unterstuetzung einer populistischen Praxis hat durchaus einen positiven Effekt auf die visuelle Kultur der Gegenwart: es gibt einen Rueckgang dessen, was man als Branding kultureller Initiativen entlang korporativer Identitaeten bezeichnen koennte, darueber hinaus ist der Abbau eines Marktplatzes absehbar, der von mittelmaessigen Sammlern und Medien dominiert wird. Urspruenglich ausgeschlossen, wird die Gegenwartskunst nun langsam ein Partner in der lokalen Kunstoekonomie. In den letzen drei Jahren gruendeten sich einen Reihe von Institutionen, die mehr oder weniger internationale Programme verfolgten, aber keine konnte sich ueber laengere Zeit halten. Gleichzeitig gibt es einige Warnsignale fuer die heutige Kunstpraxis. Aus einer Phase in den 1980er Jahren als Galerien mehr und mehr zu Banken gehoerten, bis hin zu den von Banken betriebenen kulturellen Zentren der 1990er Jahre, sind wir nun in einer Phase angelangt, in der Museen und Kulturinstitutionen von Banken und anderen privaten Initiativen gebaut werden. Waehrend es lobenswert ist, dass kommerzielle Unternehmen dabei behilflich sind, den Mangel an oeffentlichen Geldern zu kompensieren, wurde so auch die Existenz unabhaengiger Programme erschwert oder weggelassen, und eine all zu grosse Mediengier erzeugt. Wie zirkuliert ueberhaupt Kunst in einer Stadt mit mehr als 10 Millionen Einwohnern? Istanbul setzt sich aus Mikro-Zonen zusammen, die durch Klasse, Kultur und Zugangsmoeglichkeiten voneinander getrennt sind. Es gibt von der Seite der Kunstraeume und Institutionen kaum etwas, dass den Umfang so einer Megalopolis widerspiegeln koennte. Noch mehr Besorgnis erregt dabei der derzeitige Trend derer, die sich schon in einer eingegrenzten Szene befinden und jetzt noch lokaler werden: nicht nur mental, sondern auch geografisch. Innerhalb dieser Zentralisierung verlagern fast alle Kunstraeume ihre Aktivitaeten auf ein ganz bestimmtes Gebiet - in der Tat auf eine einzige Strasse. Waehrend sich aus dieser Ballung eine dynamische Situation fuer die Kunstszene ergibt, wird die Mehrheit der Bevoelkerung Istanbuls vollstaendig davon ausgeschlossen. Es sieht so aus, als wenn wir neben allen Unterschieden akzeptieren muessen, dass die gegenwaertige visuelle Kultur innerhalb einer internationalen Syntax operiert, die durch Lokales abgewandelt wird. Auch wenn die Kunst, die von hier kommt, in mancher Hinsicht nicht sichtbar davon zeugt, ist sie doch in ihrer Struktur und Konstruktion von Bedeutungen voller Kontingenzen. Nur die Zeit wird zeigen, ob sich das kleine Wunder von Istanbul neben den halboeffentlichen Diskussionen und waehrend der Tage der Biennale auch in den Alltag transportieren laesst.

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