Mein Tsunami

Mein Mann Andreas Dammertz und ich sind seit zehn Tagen in Flitterwochen auf den Malediven, auf der Insel Digufinolu. Die Insel ist schoen, 400 Meter lang und 60 Meter breit. Es gibt hier kleine Bungalows sowie ein Haus mit zwei Stockwerken. Neben der Insel Digufinolu gibt es zwei weitere Inseln, die ueber einen Steg erreichbar sind. Unser Urlaub endet am 27.12.2004.

Am 26.12.2004 stehen wir um sechs Uhr in der Frueh auf. Wir haben beide unruhig geschlafen. Er meint, das Bett haette gewackelt, da ich mit den Beinen gewibbelt haette. Ich sage zu Ihm, wir muessen die Koffer packen. Obwohl wir erst am naechsten Tag abreisen, sage ich das schon jetzt. Nach dem Packen gehen wir zum Fruehstueckssalon, der 100 Meter von unserem Bungalow entfernt ist. Um 8 Uhr 30 sind nur ein paar Gaeste im Salon. Unser persoenlicher Kellner Labib sagt, es haette ein Erdbeben gegeben.

Der Salon hat grosse Fensterscheiben mit wunderschoenem Blick auf die Lagune. Auf einmal zerbrechen die Fenster und es gibt mehrere explosionsartige Geraeusche im Raum. Und Wasser fliesst in den Raum. Ich sage zu meinem Mann, wir muessen hier weg. Das Wasser wird staerker und schneller und steht schon bis zu den Knien. Die massiven Moebelstuecke im Raum bewegen sich.

Auf einmal erkennen wir die Gefahr und alle im Raum beginnen zu rennen. Wir halten uns fest an der Hand und kaempfen uns gegen die Schwerkraft des Wassers zu einer Tuer. Jemand haelt die Tuer auf. Aus dem Frueckstuecksalon herausgeflossen, sehen wir Menschen mit dem Wasser treiben – alle in dieselbe Richtung. Das Wasser steht nun bis zum Bauch und steigt. Das Wasser reisst uns nach vorne. Alle sind in Panik. Das Wasser reisst alle in dieselbe Richtung.

Leute schreien und weinen. Wir wissen alle nicht, was los ist. Wir sind irritiert und unter Schock. Das Wasser geht nun bis kurz unter die Schultern. Wir halten uns beide ganz fest an der Hand, so dass wir nicht weggerissen werden. Wir treiben bestaendig auf das Ende der Insel zu. Es gibt einen kuenstlichen Huegel auf der Insel, an dem wir vorbeitreiben. Das Wasser steigt immer noch.

Unser Kellner Labib ist schon in Sicherheit auf dem Huegel. Er reicht uns seine Hand und zieht uns hinauf. Wir sehen, wie Menschen vorbei treiben. Auf einmal ist die Flutwelle weg. Der Sandboden ist fast wieder trocken und die Sonne scheint. Wir entscheiden uns in die Bungalows zu gehen – hoffentlich sind unsere Sachen noch da.

Auf dem Weg sehen wir die Katastrophe: Schlamm, Dreck, Glasscherben, tote Fische und entwurzelte Pflanzen. Kleidungsstuecke liegen am Strand verteilt. Die Bungalows sind beschaedigt, fenster weggerissen und Tueren eingedrueckt oder herausgerissen. Wir kommen zu unserer Huette. Die Tuer ist eingeschlagen und wir schaffen es nicht, sie zu oeffnen. Zwei Einheimische helfen. Wir bekommen die Tuer auf und sehen unsere Koffer. Alles ist noch da. Gluecklicherwiese hatten wir schon gepackt.

Wir gehen mit den Koffern raus. In diesem Moment kommt die naechste Flutwelle. Alles geht jetzt schnell. Mein Mann wirft unsere Koffer auf das Dach der Huette. Ich gerate in Panik. Die Einheimischen steigen auf die Palmen. Sie reichen uns ihre Haende und ziehen uns hoch. Das Wasser zieht unter uns vorbei, waehrend wir auf Aesten stehen. Ich kriege einen Heulkrampf. Ich will nicht sterben und spuere pure Angst. Ich spuere, dass es um Leben und Tod geht und schaue meinen Mann an, sein Gesicht ist bleich und seine Augen verraten grosse Angst.

Noch nie habe ich so eine Todesangst gespuert, wie in diesem Moment – wir sind dem Wasser ausgeliefert. Man kann nicht entkommen – ueberall ist Wasser. Erst jetzt verstehe ich, was >Insel< wirklich heisst. Das Wasser passiert. Es gehen nur Sekunden vorbei und die Flut ist nicht mehr zu sehen. Nach dieser Flutwelle ahnten wir, das weitere folgen wuerden. Wir rennen mit den Koffern so schnell wir koennen zu dem einen Haus mit zwei Stockwerken. Dorthin sind viele gefluechtet. Wir finden Unterschlupf bei Gaesten aus der Schweiz, die ihr Zimmer im zweiten Stock mit uns teilen. Die Gaeste sitzen dicht beieinander: Kinder, Frauen, Maenner. Viele sind verzweifelt. Manche haben Wunden. Alle reden durcheinander und wollen aus der Katastrophe weg - was ist passiert? Kommen mehr Wellen? Einige Maenner wollen nachsehen, ob jemand etwas weiss, auch mein Mann ist dabei. Ich sage zu ihm: >Bitte bleib bei mir: wer weiss, was wird.< Sie wollen nach den Ausweisen im Safe schauen. In diesem Moment kommt die dritte Flutwelle, diesmal von der anderen Seite. Wir schauen vom Balkon aus zu, wie das Wasser vorbeirast. Alle schreien. Nach ein paar Minuten kommt auch noch eine vierte Welle. Jetzt ist es klar: Das waren die Echowellen. Danach gehen die Maenner runter. Ich will mit, wie auch die anderen Frauen. Aber sie bitten uns, hier zu warten. Ich bete zu Gott, das ihnen allen nichts passiert. Wir warten in grosser Angst auf sie. Endlich kommen die Maenner zurueck und berichten uns ueber die grossen Schaeden auf der ganzen Insel. Die Stromversorgung, die Funkverbindung: alles ist zusammengebrochen. Der Steg zu den anderen Inseln ist weggerissen. Wir wissen nicht, wie es den anderen geht. Die beiden kleineren Inseln haben unsere Insel gesschuezt. Die anderen Inseln liegen in der Richtung, aus der die ersten Wellen kamen. Viele Safes sind komplett druchnaesst worden. Unsere Ausweise waren noch trocken, weil sie in einem Safe weit oben waren. Dann kommt der Manager der Insel und versucht uns zu beruhigen, obgleich er selbst in Panik ist. Er erklaert uns, das wir gleich morgen frueh evakuiert werden. Sie machen uns Sandwiches und geben uns zu trinken. Das beruhigt uns. Wir haben keinen Kontakt zur Aussenwelt. Alle wollen nach Hause. Aber die Evakuierung ist erst morgen. Es wird Abend und alle sind beunruhigt. Die Nacht kommt und wir wissen nicht, ob weitere Wellen kommen. Ich versuche zu schlafen, aber meine Angst ist zu gross. Ich hoere das laute Schlagen der aufgebrachten See. Wir sind froh, das wir im zweiten Stock schlafen. Die anderen schlafen am Strand. Endlich: der Sonnenaufgang. Alle sind wach. Wir bekommen Tee und Brot. Es ist zehn Uhr morgens und wir werden endlich nach Male zum Flughafen abgeholt. Am Fughafen herrscht Chaos. Tausende warten auf einen Rueckflug. Wir warten 15 Stunden am Flughafen, bis uns ein Flieger nach Frankfurt mitnimmt. Diese Erlebnis ist so tief in mir drin. Ich habe vier Jahre gebraucht, bis ich meine Erlebnisse kuenstlerisch aufarbeiten konnte. Ich hatte vor der Katastrophe wunderschoene Aufnahem von der Insel gemacht. Ich habe dieses Videomaterial mit der Erzaehlung zu dem schrecklichen Erlebnis kombiniert. Diese Arbeit wurde dann letztes Jahr im Kunstverein zu der Ausstellung >water please< uraufgefuehrt. [Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes ist Kuenstlerin und lebt in Berlin und Stuttgart.]

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