Mehrsprachig in einsprachigen Gesellschaften

Derzeit lebe ich in einem komfortablen Backsteinhaus in einer kleinen Stadt an der Atlantikkueste Floridas. Hier ist natuerlich das Internet die beste Quelle fuer deutschsprachiges Material. Zugang zu anderen Medien ist weitaus schwieriger. Es gibt kein Geschaeft, in dem man deutsche Zeitungen oder Buecher kaufen kann – sogar der so genannte >internationale< Flughafen hat keine auslaendischen Zeitungen vorraetig. Deutsche Filme sind hier nur aeusserst selten im Kino zu sehen, allerdings sind die groesseren, kommerzielleren Produktionen in der lokalen Videothek ausleihbar. Wenn man also nach einem Film mit Franka Potente sucht, wird man fuendig. Die Nachrichten der Deutschen Welle werden im oeffentlichen Lokalfernsehprogramm gleich nach denen der BBC gesendet. Jedoch ist die Sendung nicht auf Deutsch, da es hier ausreichend Zuschauer gibt, die zwar kein Deutsch sprechen, aber dennoch an deutschen Themen und Angelegenheiten interessiert sind.

Meinen ersten Kontakt mit der deutschen Sprache hatte ich in den fruehen 1990er Jahren, als ich mit meiner Band durch Europa tourte. Wir spielten unzaehlige Mal in Deutschland, der Schweiz und Oesterreich, wodurch ich viele Varianten des Deutschen zu hoeren bekam. Nachdem ich soviel Zeit in deutschsprachigen Laendern verbracht hatte, war ich regelrecht frustriert, weil es mir nicht gelang eine richtige Konversation zu fuehren oder einfache Situationen wie Einkaufen ohne Probleme zu erledigen. Also begann ich zwischen den Touren am Goethe-Institut in San Francisco Deutschunterricht zu nehmen. Spaeter, nachdem ich einen Deutschen geheiratet hatte und nach Deutschland gezogen war, intensivierte ich mein Deutschstudium ueber fast ein Jahr lang an der Volkshochschule [VHS]. Es waren sehr unterschiedliche Erfahrungen, die ich an beiden Institutionen gemacht habe. Am Goethe-Institut waren vorwiegend gut ausgebildete Amerikaner, die meist aus beruflichen oder geschaeftlichen Gruenden an der deutschen Sprache interessiert waren. Einigen Studenten ging es jedoch auch um die Kultur – ich erinnere mich an einen Opernsaenger, der sich auf Wagner spezialisiert hatte. An der VHS waren meine Kommilitonen alle Migranten; einige von ihnen waren gut ausgebildet, die meisten aber hatten keine grosse schulische Ausbildung. Fast jeder war in schwierigen Umstaenden, entweder oekonomisch oder politisch oder beides zusammen.

Als ich nach fast zehn Jahren Deutschland in die USA zurueckkehrte, stellte ich nach genauerem Hinhoeren fest, dass in meiner Stadt einige Deutsche lebten. Allerdings sind alle Deutschen, die ich bis zum heutigen Tage getroffen habe, wohlhabende Einwanderer, deren Verlangen nach Assimilation in die amerikanische Gesellschaft so stark ist, dass sie fast kein Deutsch mehr sprechen. Auf eine gewisse Weise reflektiert ihr Verhalten als Deutsche, die in die USA gekommen sind, die konservative deutsche Sicht auf Einwanderer in Deutschland, die besagt, dass man sich vor allem in die Leitkultur zu integrieren hat. Es gibt grosse Bemuehungen um Konformitaet und eine Abneigung gegenueber Andersartigkeit und Diversitaet. In einem vor kurzem veroeffentlichten Leserbrief in der Lokalzeitung beschwerte sich ein deutscher Leser ueber die spanischsprachigen Einwanderer. Er schrieb, dass er nach seiner Einwanderung in die USA Englisch gelernt und nicht erwartet habe, dass sich jemand nach ihm richtet. So haette er sich das Recht erworben, als >echter< Amerikaner zu gelten. Der Leser empfand es als ungerecht von spanischen Einwanderern, sich dem Erlernen der englischen Sprache zu verweigern, in spanischsprachigen Gemeinschaften zu bleiben und fuer ihre Kinder Schulunterricht auf Spanisch zu fordern. Dieser Brief aehnelte Leserbriefen, die ich in Deutschland gelesen hatte so, dass er ohne groessere Aenderungen ins Deutsche haette uebersetzt und in einer deutschen Zeitung haette veroeffentlicht werden koennen. Eine Vielzahl von Menschen hier verbindet Deutschland noch immer ausschliesslich mit dem Nationalsozialismus, Hitler und dem 2. Weltkrieg. In einer Kleinstadt wie jener, in der ich derzeit lebe, in der die Menschen ohnehin ziemlich eingeschraenkte Interessen verfolgen, ist es schwierig, sie davon zu ueberzeugen, dass Deutschland auch anderes zu bieten hat, dass die deutsche Kultur mehr ist als nur Blasmusik, Bier und Nazis. Auf der anderen Seite habe ich beobachtet, dass Amerikaner, die generell an Kultur oder Kunst interessiert sind, auch am heutigen Deutschland Interesse haben. Das ist wohl der ueberwaeltigenden zeitgenoessischen deutschen Kunst [Pop, Musik, Mode, Architektur, Design] zu verdanken. Medizinische und andere wissenschaftliche Forschungsergebnisse werden in akademischen Kreisen ebenfalls respektiert. Dennoch sorgen die intellektfeindlichen amerikanischen Massenmedien dafuer, dass die meisten Menschen ignorant gegenueber neuen kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungen bleiben. Ungeachtet davon, woher sie auftauchen, ob in den USA oder anderswo. Die vielleicht wichtigste Rolle, die das Deutsche fuer mich gespielt hat, ist die eines Spiegels, in dem sich meine eigene Sprache spiegelt. Beide Sprachen haben in mir eine Symbiose gebildet, was meinen Lebensweg und die Art, wie ich die Welt betrachte, veraendert hat. Alles in allem gesehen ist es nicht die deutsche Sprache an sich, die mir wichtig ist; es war eher der psychologische Zustand, der entstand, als das Deutsche in mein Leben trat und begann, meine Wahrnehmung zu beeinflussen. Mit einem Gegenstueck zum Englischen wurde es mir moeglich, noch genauer auf Sprachen zu achten und, darauf, >was< in unterschiedlichen Sprachen >wie< ausgedrueckt wird. Ein Uebersetzer muss beide Sprachen analysieren, komplexe Saetze auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Schwierige Gedanken muessen uebersetzt werden, indem man einen Weg findet, sie angemessen in die Zielsprache zu transferieren. All das fuehrt dazu, dass man ein immerwaehrendes Leben als Autodidakt fuehren und staendig akzeptieren muss, dass der eigene Wissensschatz niemals komplett ist. Durch meine Arbeit als Uebersetzer komme ich taeglich mit der deutschen Sprache in Kontakt. Eine Vielzahl der Texte handelt von Kunstgeschichte, zeitgenoessischer Kunst oder Kunsttheorie. Meist sind es akademische Texte von relativ komplexer Natur und einem wissenschaftlichen Zugang zur Sprache. Weil Uebersetzen keine gut bezahlte Arbeit ist, muss es fuer mich noch andere Gruende geben, warum ich dieser Taetigkeit nachgehe. Der Hauptgrund, warum ich als Uebersetzer arbeite, ist, weil die Texte mein Wissen vergroessern und meine Wahrnehmung der Welt erweitern. Es gibt Autoren, deren Texte ich liebe und gerne uebersetze; ausserdem geniesse ich es, mit vielen zeitgenoessischen Kunstinstitutionen und Redakteuren zusammenzuarbeiten. Diese Erfahrungen bereichern mich. Texte zu uebersetzen ist eine Weise weiter zu lernen ohne dabei zur Uni zu gehen - obwohl ich mir manchmal wuensche, einen akademischen Abschluss fuer all das intensive Lesen, Schreiben und Denken, das ich erledige, zu bekommen. Heutzutage muss ein guter Uebersetzer sowohl ein Autor, ein Redakteur und ein Bibliothekar als auch ein Generalist mit einem breiten Wissensspektrum sein. Kuerzlich habe ich mich sehr ueber einen von einem Computer uebersetzten Text ueber den Designer Anton Stankowski amuesiert, der laut der cleveren und erfinderischen Maschine in >Gels-in-churches< geboren wurde und ein Freund des Architekten >Egon Eggman< war. Mein juengstes >Medium<, mein Kind, hat in der Tat meine Beziehung zum Deutschen veraendert. Bevor ich ein Kind hatte, genoss ich es, Deutsch zu sprechen. Ich arbeitete hart, um die Sprache zu lernen und kam auch irgendwann an den Punkt, an dem ich in Deutsch dachte und sogar traeumte. Nachdem aber unser Kind geboren wurde, verschoben sich meine Prioritaeten. Ploetzlich wurde es mir wichtig, ihm Englisch beizubringen, mich mit ihm in >meiner< Sprache zu unterhalten und ihm >meine< Kultur zu vermitteln, was mir letztlich selbst sehr merkwuerdig erschien, da ich mich bis dato nicht wirklich stark mit der amerikanischen Kultur identifiziert, sondern diese eher kritisiert hatte. Warum sich dieser ploetzliche Einstellungswandel vollzog, ist fuer mich eher schwierig nachzuvollziehen. Aber irgendwie scheint es mit verinnerlichten kulturellen Launen verbunden zu sein, die offensichtlich in tieferen Gefilden des Unterbewusstseins operieren, so dass ich sie nicht eindeutig ausmachen kann. Waehrend wir als eine Familie in Deutschland lebten, hoerte und sprach mein Sohn viel Deutsch. Mein Ehemann und ich unternahmen aber auch alles, um ihm zusaetzlich Englisch beizubringen. Wir schaetzten eine Balance zwischen den Sprachen und gingen sogar so weit, nach Berlin zu ziehen, damit er eine bilinguale Schule besuchen konnte. Nun leben mein Sohn und ich seit ungefaehr einem Jahr wieder in den USA, und sein Deutsch ist erheblich schwaecher geworden. Er gibt praktisch nichts, um gegen die allgegenwaertige Dominanz des Englischen hier anzukommen. Ich ermutige meinen Sohn, Deutsch mit mir zu sprechen, was wir auch gelegentlich tun; jedoch gibt es ausserhalb unserer Familie nicht viele Gelegenheiten dazu, weil ihn hier niemand versteht. Einige Leute, die wir treffen, sind neugierig. Sie fragen ihn: >Sag’ mal etwas auf Deutsch!< Allerdings ist das dann eher eine Freakshow als eine echte Moeglichkeit fuer kulturellen Austausch, denn nachdem er eine kleine Demonstration gegeben hat, sind sie nicht mehr wirklich daran interessiert, etwas ueber die Kultur oder das Land zu erfahren. Kurz gesagt: Es ist sehr schwierig, Zweisprachigkeit in einer monolingualen Gesellschaft wie die der USA ohne irgendeine Verstaerkung zu etablieren. Irgendwann in der Zukunft werden wir in eine groessere Stadt ziehen muessen - auch wenn ich staedtische Umgebungen anstrengend finde -, wo die Bevoelkerungsstruktur vielschichtiger ist und die Chance, andere Sprecher des Deutschen zu finden, steigt. Dennoch: Ich wundere mich, wo diese Insel ist, auf der jeder Einwohner Englisch und Deutsch spricht und wo die besten Aspekte der USA und Deutschlands zusammen existieren und die Kultur formen. Statt in diesem Traumland zu wohnen, fristen mein Sohn und ich ein eher unbequemes Dasein: Wir leben mit je einem Bein in den USA und in Deutschland und ueberbruecken so den Ozean, der beide Laender voneinander trennt.

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