Medienkunst und die Datenfrage: Wie die Installation „Freiheit 2.0“ Big Data sinnlich erfahrbar macht

Sammeln, Speichern und Vernetzen von Daten – wie können solche Vorgänge, die sich unserer sinnlichen Erfahrung entziehen, künstlerisch aufbereitet werden? Die künstlerische Installation „Freiheit 2.0“ siedelt die Erkundung dieser Frage zwischen dem öffentlichen Raum und der Privatheit des Alltagsverhaltens von Datenjägern und -sammlern. In ihrem zweiteiligen Text erkundet die Literaturwissenschaftlerin Christa Karpenstein-Eßbach Formen des ästhetischen Widerstands.

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Freiheit 2.0 lautet der Name der interaktiven Kunstinstallation von Florian Mehnert. Was ist das für eine Freiheit, mit der wir es hier zu tun haben? Der Frage nach „Freiheit“ und Big Data gelten zunächst die Überlegungen, um dann die vier Elemente dieser Kunstinstallation und ihre Bedeutungen wie Erfahrungspotentiale für die „Nutzer“ zu entschlüsseln; abschließend geht es um die Versprechungen und die Faszination von Verdatungen sowie um die Frage nach der spezifischen ästhetischen Leistungskraft dieser Kunstinstallation.

Freiheit im informationstechnischen Kontext von Big Data

Lässt man beim programmatischen Namen „Freiheit 2.0“ die Zahlen zwei und null erst einmal fort, dann kann man einen kleinen Katalog von Freiheitsvorstellungen anlegen. Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang, Gewalt und Unterdrückung; ist die Freiheit, „Nein“ sagen zu können und sich dem Ansinnen eines anderen zu entziehen; ist, so die berühmte Formulierung Rosa Luxemburgs, die Freiheit des Andersdenkenden; sie besteht in der Freiheit, die eigene Lebensweise zu wählen und vielleicht anderem mehr.

Es sind positive und negative Bestimmungen von Freiheit, die aber eines gemeinsam haben: mit ihnen verbinden sich ideelle Momente, die auf wesentliche Weise die Lebensführung orientieren. Solche Freiheitsvorstellungen materialisieren sich auf vielfältige Weise im individuellen Verhalten wie in sozialen Verhältnissen und finden dort einen bemerkbaren und sichtbaren Ausdruck. Freiheit ist nicht gleichbedeutend mit einem guten oder angenehmen Leben, denn bekanntlich kann man auch in Diktaturen ein solches Leben führen, weil es auch dort Sicherheit und Wohlstand geben kann. „Freiheit“ und „Leben“ sind Begriffe, die auseinanderzuhalten sind, weil sie in sehr verschiedene Werthorizonte eingelagert sind, einmal bezogen auf ideelle Regulative der Lebensführung und Gesellschaftlichkeit, zum anderen auf Steigerungsprozesse des bloßen Lebens selbst.

Wenn der Freiheit die beiden Ziffern zwei und null angehängt werden, könnte diese Differenz von Freiheit und Leben fraglich und problematisch werden. „2.0“ verweist auf die virtuellen Welten digitaler Rechenoperationen im 0/1-Code, auf das Sammeln, Speichern, Verarbeiten und Vernetzen von Datenmengen. Im Unterschied zur jüngst ausgerufenen Welt der „Industrie 4.0“, in der Maschinen sich selbst und im Verbund untereinander ohne die Anwesenheit von Menschen nach Programmen selbst steuern, spielt die Körperlichkeit des Menschen auf einer 2.0-Stufe noch eine Rolle, denn die Prozessualisierung von Daten ist an die wet-ware des Menschenkörpers noch angeschlossen. Genauer: ohne diese wet-ware der Leute, die etwas machen, sich bewegen oder irgendwie verhalten, gäbe es keine Daten, mit denen zu rechnen wäre. In der Polarität von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit formuliert: das Verhalten von Menschen fällt in das Gebiet des Sichtbaren, die Datenmengen, die aus ihm gewonnen werden, sind in der Regel unsichtbar – mit Ausnahme für diejenigen, die die Daten auswerten.

Eine ziffernlose Freiheit zeigt sich und wird erfahrbar in individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Beziehungen. Eine „Freiheit 2.0“ hingegen etabliert ein Gebiet, das sich sinnlicher und sozialer Erfahrung entzieht. In der Welt des digitalen Sammelns und Prozessierens von Daten kann alles gerechnet und verschaltet werden, weil der basale Code von Null/Eins und alle Bits gegenüber dem, was gesammelt und gerechnet wird, völlig indifferent sind und sich unterschiedslos auf alles beziehen können.

Mit den Worten des Medienphilosophen Jean Baudrillard gesagt: „Auf dem Höhepunkt einer immer weiter vorangetriebenen Vernichtung von Referenzen und Finalitäten, eines Verlustes von Ähnlichkeiten und Bezeichnungen entdeckt man das digitale und programmatische Zeichen, dessen ‚Wert‘ rein taktisch durch die Überschneidung mit anderen Signalen (Informationskorpuskel/Test) bestimmt wird, und dessen Struktur ein mikro-molekularer Code von Kommando und Kontrolle ist. (…) es bleibt nur die ‚black box‘ des Codes“.

Ästhetische Erfahrungselemente der Installation „Freiheit 2.0“

Freiheit unter den Bedingungen von 2.0 zum Gegenstand von Kunst zu machen, ist mit dem Problem konfrontiert, eine solche „black box“ sichtbar zu machen. Nun haben es sich die Künste immer schon angelegen sein lassen, etwas sichtbar zu machen, was man zuvor so nicht gesehen hatte, wenn z.B. Adolph von Menzel im 19. Jahrhundert sein „Eisenwalzwerk“ malt und die harten Arbeitsbedingungen von Industriearbeitern anschaulich macht.

Hier ist es so, dass etwas, das man wirklich sehen kann, in einer neuen Sichtweise erscheint, die mit einem anderen Sehen und einer Verschiebung gewohnter Wahrnehmungen einhergeht. Das ist aber im Fall der digitalen Datenwelten nicht der Fall. Es hätte Florian Mehnert wohl nicht viel genutzt, den Maschinenraum eines Datensammelunternehmens aufzusuchen, um daraus Material für ein Kunstwerk zu gewinnen, denn hier muss man etwas anderes tun als ein Bild zu malen. Um die Datenfrage in den Raum sinnlicher Erfahrung und bemerkbaren Ausdrucks zurückzuholen, hat er die Kunstinstallation aus vier Elementen komponiert, die im Folgenden skizziert werden, indem ich mich auf die Frage einlasse, was diese Elemente uns zu erfahren geben und für unser Nachdenken erzeugen könnten.

Bewegung im Raum: Laufbahnen

Das sind zunächst die Markierungen auf der Straße. Wie bei einem Leitsystem handelt es sich um vorgebahnte Wege, denen ich folge. Anders als bei Schildern, die aufgestellt sind und die mit erhobenem Haupt gelesen werden, fällt der Blick hier von oben auf die Erde, ganz so, wie in der Perspektive von google earth auf die Erde geschaut wird. Die Laufbahnen geben mir Wege vor, scheinen aber mit einem Parcours, auf dem Hindernisse zu überwinden wären, so wenig zu tun zu haben wie mit einer Schatzsuche, an deren Ende eine Belohnung für die Mühen des Suchens steht. Ein Ziel wie bei Schildern – etwa „Rathaus 500 m“ oder „Bielefeld 378 km“ – ist nicht angegeben. Die Laufbahnen markieren eine vororganisierte Bewegung im öffentlichen Raum, einen Weg, der nicht mein Weg ist, sondern eine Bahnung für alle, deren Ziel nicht bekannt gemacht wird.

Nun gibt es zwar durchaus ziellose Bewegung in der Stadt in Gestalt des Flaneurs oder Streuners, aber von diesem Leitsystem, dessen Ziel erst einmal nicht ausgewiesen ist, geht vor allem der Imperativ aus, doch nicht vom Wege abzukommen. Dass das gefährlich sein kann, wissen wir schon von Rotkäppchen. Auf dem Weg zu bleiben: dies könnte auch für den Touristen gelten, der die Tour der Sehenswürdigkeiten absolviert. Aber die Laufbahnen der Kunstinstallation bieten nichts Spektakuläres an, im Gegenteil: wer ihnen folgt, kommt im Geschäft an.

Eben dies ist eine wiederkehrende Erfahrung der Bewegung im öffentlichen Raum der Stadt. In gewohnten Bahnen zu laufen, zum Bäcker, Supermarkt oder Copy-Shop, gehört zur gewöhnlichen Alltäglichkeit. Wenn ich nun, statt meiner gewohnten Wege zu gehen, bei denen ich gemeinhin annehme, dass sie keine Spuren hinterlassen, den Laufbahnen der Installation folge, dann spure ich im doppelten Sinne: ich folge der Spur, die durch sie markiert ist, und ich spure in dem Sinne, wie es einer tut, der etwas befolgt und gehorcht. Ich bemerke einen Doppelsinn, vielleicht gar einen Widerspruch in meinem Tun, denn ich füge mich in etwas ein und ich spüre etwas auf, während ich auf den Boden gespurter Bahnen blicke.

Diese Straßenmarkierungen verweisen auf nichts, weil sie ja nicht wie Schilder funktionieren. Sie eröffnen eher einen Erfahrungsraum, der verschiedene Aspekte miteinander verknüpft: Bewegung im öffentlichen Raum, alltägliches Verhalten mit seinen Gewohnheiten, und am Ende: Geschäft. Gehend auf etwas, das sonst nicht da ist, merke ich, dass mein Weg durch eine Aufzeichnung, eine Markierung verdoppelt wird. Ich bin nicht allein, meine Wege werden begleitet und geleitet, nicht göttlich, sondern sehr irdisch, weil diese Verdopplung sich aus dem speist und dem korrespondiert, was ich tue. Die Straßenmarkierung der Installation wäre für sich genommen nichts, wenn niemand auf ihr laufen würde. Wirklichkeit gewinnt sie allererst dadurch, dass sie von ihren Nutzern als solche konstituiert wird – weshalb es sich ja auch um eine partizipative Installation handelt.

Man könnte versucht sein, das Installationselement der Straßenmarkierung als Metapher für Datenströme zu bezeichnen, und zweifellos gewinnen diese Ströme in ihnen auch eine gewisse Anschaulichkeit. Aber bei der Deutung mit Hilfe von Metaphern oder Symbolen Zuflucht zu suchen, ist gerade dann unzureichend und unpassend, wenn die Kunst sich einem Gebiet zuwendet, in dem Metaphern und Symbole längst schon zu Tode gekommen sind. Datenströme haben mit Metaphern und Symbolen nichts zu tun, und Datensammler interessieren sich nicht für sie, sondern dafür, wer wann wo was tut und wahrscheinlich wieder tun wird. Weder sind die Straßenmarkierungen für sich noch ist „Freiheit 2.0“ insgesamt in einer symbolischen Ordnung zu begreifen. Die Elemente der Installation zusammengenommen haben weitaus eher den Charakter von künstlerischen Data, die für ihre Nutzer bzw. Partizipanten ganz unsymbolisch miteinander verschaltet werden.

Geschäft, Daten, Werte

Die gespurte Laufbahn der Straße führt zum nächsten Element: einem Geschäft. Geschäfte aufzusuchen, gehört ebenfalls – wie das Laufen in gewohnten Bahnen – in das Gebiet des Alltäglichen, und es handelt sich ebenfalls um ein Verhalten im öffentlichen Raum, genauer um Räume des Marktes zum Zwecke des Verkaufens und Kaufens. Vor dem Betreten bemerke ich die Umbenennung der mir wohlvertrauen Drogerie in „Drogerie Freiheit“ – ein irritierender Bruch der Alltäglichkeit. Das Wort Freiheit ist mir vertraut, allein die Deutung ist hier schwierig. Ist die Freiheit der Produktwahl und des Konsums gemeint? Macht der Laden Reklame für die Freiheit schlechthin? Für was will man mich mit der neuen parolenartigen Wortfolge gewinnen?

Auf jeden Fall liegt hier eine Doppeldeutigkeit, vielleicht sogar ein Widerspruch vor. Im Geschäft und auf dem Markt der Produkte geht es um materielle Werte, so dass ich meinen Zehn-Euro-Schein gegen die Produkte tauschen kann, deren Wert im Preis angegeben ist. Das Wort „Freiheit“ ernstgenommen hingegen verweist auf ideelle Werte, die sich nicht in Begriffen des Marktes ausdrücken lassen. Zwar weiß ich, daß ich auch solche ideellen Werte habe, aber diese eigentümliche Kontamination von materiellem Wert mit einem ideellen hier im Geschäft hat etwas Verwirrendes. Trage ich irgendwelche ideellen Werte mit in das Geschäft und den Warenverkehr hinein, sind sie vielleicht ein Mehrwert, der beim Warenkauf zu Buche schlägt? Und für wen? Sollten die Bonuspunkte, die mir beim letzten Einkauf gutgeschrieben wurden, etwas mit meiner Freiheit zu tun haben?

Der Gedanke, dass ich beim Bezahlen meiner frei gewählten Konsumgüter auch mit meiner Freiheit bezahlen könnte, ist bedrückend und abstrakt zugleich – es könnte angeraten sein, das Geschäft zu verlassen. Aber der Kauf einer neuen Tube Zahnpasta ist dringlich, außerdem sollte ich die Sorte wechseln. An der Kasse macht mich die freundliche Kassiererin darauf aufmerksam, dass ich mich wohl in der Sorte geirrt habe, gewöhnlich würde ich doch eine andere bevorzugen. Auf jeden Fall aber seien mir so viele Bonuspunkte gutgeschrieben, dass ich heute nichts zu bezahlen hätte – womit sie die materiellen Werte in meinem Portemonnaie meint. Jetzt weiß ich: ich habe Daten-Werte, ich bin ein Daten-Wert, mein Leben ist ein Daten-Wert, und ich werde zu einem Mehr-Wert, wenn sich meine Käufe in Datensammlungen abbilden.

Kurz vor dem Ausgang fällt mein Blick auf aufgestellte Informationstafeln, schöne Stelen, die meinen Blick nicht mehr auf den Boden zwingen, sondern die ich erhobenen Hauptes lesen kann. Beim Verlassen der „Drogerie Freiheit“, dem Ort, an dem meine Vorstellungen von Freiheit in die Welt des Marktes und Geschäfts hineingeraten sind, werde ich am Ausgang auf eine neue Spur gesetzt – ganz so, als ob es sich doch um einen Parcours handele, an dessen Ende ich auf etwas Wesentliches treffen könnte. Diese Spur wird zum „Büro der Freiheit 2.0“ führen, dem vierten Element von Mehnerts Kunstinstallation. Zunächst jedoch zum dritten: der „Tracking App“.

Anm. d. Red.: Der Beitrag ist auch in gedruckter Form verfügbar: in der Zeitschrift des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Das Foto stammt von Mario Sixtus und steht unter CC-Lizenz.

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