Medien im Ukraine-Konflikt: Gibt es hierzulande Pluralismus oder Gleichschaltung?

Ist die Medienlandschaft in Deutschland gleichgeschaltet oder plural? Der Ukraine-Konflikt wirft auch diese Grundsatzfrage auf. Denn es gibt Anzeichen einer propagandistischen Positionierung der Leitmedien hierzulande. Und zwar gegen Russland. Osteuropa-Korrespondentin und Berliner Gazette-Autorin Rebecca Barth sagt: Alles Verschwörungstheorien. Eine Gegenposition.

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Von einem Propagandakrieg in deutschen Medien zu sprechen ist falsch. In Talkshows sowie Zeitungen kommen regelmäßig Kritiker zu Wort. Ihnen wird eine Plattform geboten. Es kann um Verständnis für die russische Außenpolitik geworben werden. So ist seit Ausbruch der Krise Gabriele Krone-Schmalz regelmäßig Gast in Gesprächsrunden der ARD.

Auch die Kritik des ARD Programmbeirats an der Ukraine-Berichterstattung zeigt, dass die Behauptung, die deutschen Medien seien propagandistisch und gleichgeschaltet, höchstens verschwörungstheoretische Ansätze bedient. Wenn dem so wäre, wie kommt es zu einem öffentlichem Diskurs?

Darüber hinaus zu behaupten, in den Medien würden Tatsachen verdreht und bewusst nicht über bestimmte Dinge berichtet, ist ebenso falsch. Die Existenz Russischer Soldaten auf Ukrainischen Boden ist keine Lüge. Hingegen verdichten sich die Hinweise. So versucht das Komitee der Soldatenmütter Russlands seit einiger Zeit, Angehörigen zu helfen, vermisste, verwundete oder getötete Soldaten zu finden. Es berichtet zudem von der Entsendung russischer Truppen in die Ukraine. Der unabhängige Internetsender TV Doschd hat sich der Suche angeschlossen und stellt Listen mit Namen gefallener, verwundeter oder festgenommener russischer Soldaten zusammen.

Völkerrechtswidrige Annexion?

Ebenso falsch ist es zu behaupten, es würde nicht ausgewogen über die russische Einnahme der Krim diskutiert. So werden die Vorgänge unter anderem in der FAZ kritisch betrachtet. Hier erhält Reinhard Merkel die Möglichkeit zu erklären, warum es sich bei der Einnahme der Krim nicht um eine völkerrechtswidrige Annexion handelte. Unter anderem erklärte auch die Süddeutsche Zeitung, warum die Krim für Russland wichtig sei und kritisierte den Tonfall westlicher Medienberichterstattung. In diesem Kontext sei anzumerken, dass das Referendum in Bezug auf das Völkerrecht selbst unter Politologen und Experten diskutiert wird und keine einheitliche Meinung besteht. Zudem wurde das Referendum vom Menschenrechtsrat des Kremls als manipuliert entlarvt.

Ebenso falsch: Die Behauptung, die angeblichen von Separatisten gefundenen Massengräber seien nicht thematisiert worden. Die Meldung wurde unter anderem in der Tagesschau, im Stern und in der BILD thematisiert. Dass sie nicht als unwiderlegbarer Fakt dargestellt wird, mag mit dem Bericht der OSZE und der Menschenrechtsgruppe Charkiw zusammenhängen, die beide nicht von 400 getöteten Zivilisten sprechen. Darüber hinaus gebe es keine Beweise für gezielte Massenhinrichtungen durch Ukrainische Streitkräfte. Auch der neuste Bericht von Amnesty International belegt diese Einschätzungen.

Propagandakrieg und Kriegstreiberei?

Dies alles zeigt, dass es schlichtweg falsch ist, zu behaupten in Deutschland herrsche Propagandakrieg und Kriegstreiberei. Niemand ruft zu einem Krieg im Donbass auf. Die Bevölkerung wäre gar nicht bereit einen solchen zu unterstützen. Darüber hinaus ist die Präsenz von Kritikern, russischen Medienvertretern und Botschaftern ein weiteres Argument gegen den Vorwurf einer gleichgeschalteten Presse.

Reporter ohne Grenzen platzierte Deutschland in seinem letzten Ranking auf Platz 14, Russland hingegen auf Platz 148. Einundzwanzig Plätze noch hinter der Ukraine. Auch aus diesem Grund ist der Vorwurf der Propaganda im Russlandkontext eher zu belächeln. Während in Deutschland Kritiker in Talkshows eingeladen werden, werden sie in Russland mundtot gemacht. So wurde vor kurzem die Chefredakteurin von lenta.ru entlassen, der Direktor von Echo Moskau ausgetauscht und der unabhängigen Sender TV Doschd unter Druck gesetzt. Darüber hinaus gilt das Komitee der Soldatenmütter nun als ausländischer Agent.

Kritische Journalisten müssen in Russland besonders seit der Amtseinführung Putins um Gesundheit und Leben fürchten. Reporter ohne Grenzen spricht in einem Bericht aus dem Jahre 2007 von 21 getöteten Journalisten seit Amtsantritts Putins 2000.

Gewalt gegen Journalisten

Anna Politkowskajas Ermordung vor acht Jahren ist wohl der berühmteste Fall von Gewalt gegen Journalisten in Russland. Erst vor kurzem wurden zudem Journalisten von TV Doschd und der Abgeordnete Lew Schlossberg bei Recherchen über geheime Soldatengräbern in Pskow Opfer von Angriffen.

Darüber hinaus werden im russischen Fernsehen Lügen über ukrainische Streitkräfte und Faschisten verbreitet. So unter anderem die Kreuzigung eines Jungen auf einem öffentlichen Platz in Slowjansk, die so absurd erschien, dass sie auch in Russland Proteste auslöste. Außerdem Berichte über Organhandel und Verwendung von Kriegsbildern aus anderen, teils eigenen Kriegen, oder gar Filmen.

Man darf die deutsche Medienberichterstattung kritisieren. Wortwörtlich. In Deutschland darf man das. Öffentlich, im Fernsehen. Man bekommt eine Plattform. Darüber hinaus ist Kritik gut. Ordentlich formulierte Kritik ist der erste Schritt zur Verbesserung. Man sollte sich jedoch im Klaren darüber sein, dass man in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau kritisiert. Der Hinweis auf russische Medien macht einen schnell unglaubwürdig.

“Der Westen hasst uns”

Dass die westliche Medienberichterstattung in Russland als antirussische Propaganda aufgenommen wird, hat weniger mit der Berichterstattung selber zu tun, als mit der Tatsache, dass der Tenor in den russischen Medien lautet: Der Westen hasst uns, es herrschte schon immer Propaganda gegen uns und darüber hinaus umzingeln sie uns und wollen uns zerstören.

Gabriele Krone-Schmalz erklärt oft die russische Position in den Medien. Sie ruft dazu auf, diese Position zu verstehen. Als Kennerin des Landes macht sie dies sehr gut und ihre Anmerkungen sind für einen ausgewogenen Diskurs sehr wertvoll. Verstehen ist aber nicht gleichzusetzen mit Verständnis.
Es fällt nicht schwer die russische Position zu verstehen. Aber sollte man auch für die russische Außenpolitik Verständnis haben? Genauso kann man einen islamistischen Terroristen verstehen, der in Hass auf Amerika und die westliche Welt, die in seine Heimat einfielen, Terrorakte verübt. Kann man für sein Handeln Verständnis zeigen? Muss man deswegen nur die USA kritisieren?

Nein. Man sollte die russische Position verstehen, ihre Ansichten darlegen und sie kritisieren. Genauso wie man den islamistischen Terroristen, den Krieg im Irak und die NSA-Affäre – die übrigens in Zusammenarbeit mit dem gleichgeschalteten Spiegel aufgedeckt wurde – kritisieren muss.

Doch im Endeffekt hat der Leser in Deutschland die freie Wahl, durch welches Medium er sich informiert. Er hat die Wahl zwischen Leitmedien, kleineren Zeitungen und Zeitschriften oder unkonventionellen Blogs. Die Medienlandschaft in Deutschland gehört zu den freiesten und buntesten der Welt. Dies als gleichgeschaltete Propaganda zu bezeichnen ist nicht nur lächerlich sondern verletzt tatsächlich die journalistische Ehre.

Schwierigkeit einer objektiven Berichterstattung

Der Konsument darf frei wählen. Zwischen ausgebildeten, professionellen Journalisten, die vor Ort recherchieren können, die Landessprache sprechen und sich der Schwierigkeit einer objektiven Berichterstattung bewusst sind. Oder zwischen unausgebildeten Bloggern, die meinen den Job besser zu erledigen als die Profis. Werfen diese Stimmen dann mit völlig falsch verwendeten Begriffen um sich, macht es sie schnell unglaubwürdig und stellt vielmehr sie selbst unter Propagandaverdacht.

Auf die Ukraine bezogen sind es Begriffe wie finanzierter Putsch, Faschistenregierung und Junta. Sie sind leider alle völlig falsch gewählt. Sie beschreiben die Vorgänge auf dem Maidan nicht kritisch, sondern gar nicht. Ein Putsch beschreibt einen, von einer kleinen Gruppe, meist Militärs, durchgeführten Umsturz zur Machtübernahme. Wer also die Maidan-Bewegung als kleine Gruppe Militärs bezeichnet, sollte vielleicht noch einmal genauer hinschauen.

Die Junta ist die aus dem Putsch entstandene, oftmals rechtsgerichtete, Militärregierung. Obwohl sich der ukrainische Präsident Poroschenko in letzter Zeit häufiger in Militäruniform an der Front in Szene setzt, handelt es sich bei ihm weniger um einen Offizier als um einen Oligarchen. Und auch die inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffes ist fehlerhaft.

Für rechtsgerichtete Gruppen fast noch verständlich, als Bezeichnung der Regierung jedoch lächerlich falsch. Der Faschismus ist bekanntlich ein politisches System, basierend auf dem Führerprinzip. Bei den Anfeindungen die Poroschenko gerade jetzt aus der ukrainischen Bevölkerung ertragen muss, sollte er sich ernsthaft Sorgen um seine Rolle als Führer der faschistischen Marionettenregierung machen.

Der Leser hat also die Wahl. Leitmedien, gleichgeschaltet und wahrscheinlich von der USA finanziert und kontrolliert, die es trotz alledem schaffen Kritiker und sogar russische Medienvertreter in ihre Sendungen einzuladen und damit nahezu rebellisch wirken müssten. Oder aber kleinere Formate, Blogs oder Verschwörungstheorien, die nicht selten mit falsch verwendeten Begriffen und schlampiger Recherche auf der Suche nach der Wahrheit sind.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Das Foto im Text stammt von Krystian Woznicki und steht unter einer Creative Commons Lizenz (cc by nc).

23 Kommentare zu “Medien im Ukraine-Konflikt: Gibt es hierzulande Pluralismus oder Gleichschaltung?

  1. Reporter ohne Grenzen werden von der National Endowment for Democracy (NED) finanziert. Sie unterstehen dem US-Außenministerium. Gegründet wurde die Stiftung 1983 im Kalten Krieg unter der Reagen-Administration, um weltweit den Kommunismus zu bekämpfen und die Demokratie zu stärken. Zunächst, zielgerichtet eine Politik zur Destabilisierung Kubas und des sandinistischen Nicaraguas zu betreiben. Die sind alles andere als unabhängig. Ansonsten würde ich gerne den gesamten Artikel auseinandernehem, aber dafür fehlt mir leider die Zeit. https://publikumskonferenz.de/forum/viewforum.php?f=30

  2. @Maren Müller: ich bin kein großer Fan von Reporter ohne Grenzen, aber was tut es zur Sache, wer die finanziert? Alle Medien werden von irgendwem finanziert. Das heißt auch, dass das Geld dieser Akteure garantiert, dass deren Interessen durchgesetzt werden?

    Das ist doch deutlich zu einfach gedacht. Und selbst wenn in den ungeschriebenen Statuten der Medien die Interessen der Geldgeber eingeschrieben sind — wer glaubt allen Ernstes, dass das dann 1:1 umgesetzt wird? Dann müssten ja alle Mitarbeiter ideologisch Gleichgeschaltete sein. Wie soll das funktionieren?

    Ich will nicht sagen, dass wir es in der Welt des Journalismus mit ausschließlich mündigen Menschen zu haben, dass da alle ganz große Vorbilder im unabhängigen Denke sind. Doch das Bild von den ideologisch Gleichgeschalteten, das funktioniert ja nicht einmal in China. Warum sonst gäbe es dort Zensur? Warum gäbe es sogar post-censorship? also Zensur nach Veröffentlichung von Artikeln.

    Es wäre ratsam wirklich ganz genau und sorgsam zu denken an dieser Stelle, wo doch soviel Durcheinander herrscht in Zeiten des Konflikts. Und es wäre ratsam nicht irgendwelche vermeintlich besserwisserischen Hinweise in den Raum zu stellen und stattdessen tatsächliche Medienanalyse zu betreiben, gerne auch mit der Tiefenschärfe einer Kopplung an medienpolitische und medienökonomische Interessenlagen.

  3. Prima, danke, endlich mal ein vernünftiger Artikel zu dem ganzen Geschrei von Yana Milev hier auf Berliner Gazette. Ich hatte es ja schon fast aufgegeben :-)

    Vermutlich wird es jetzt bald ganz viele Kommentare zu diesem Artikel geben, dass die Autorin ein PR Offizier der CIA ist und vom Westen gesteuert wird. Bitte davon nicht entmutigen lassen!

  4. Die Autorin ist eine PR-Offizierin der CIA und wird vom Westen gesteuert.
    Ich wusste gar nicht das Martin Sonneborn unter dem Pseudonym Rebecca Barth schreibt.

  5. @Steffen Jordan: Verdammt, ich wusste es doch! Mir war gleich ihre kapitalistisch-revanchistische Schreibweise mit Kolonialherrscherduktus aufgefallen :-)

  6. Ach, wie immer schön, wenn eine Meinung als die Wahrheit präsentiert wird.

  7. also die Unterstellung, dieser Artikel sei ideologisch oder so, das ist doch genau die Denke, die einen Pluralismus nicht ausstehen kann, vielleicht auch sogar dessen Gegenteil ermöglicht, oder wenigstens das Umkippen in Unterdrückung von Pluralismus. Danke an die Autorin für das Erheben der eigenen Stimme.

  8. @Sebastian #6: ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen FAZ-Redakteur Udo Ulfkottes Buch und den Auslassungen Yana Milevs, ich meine, dass Milev irgendwie noch etwas komplexer denken kann als der FAZ-Mann, auch wenn sie nicht wirklich überzeugen mag, vielleicht, weil sie zu sehr glaubt, dass sie recht hat und vergisst, die Dinge wirklich nachvollziehbar zu erklären und dadurch abrutscht in einen Weltsichtduktus, der unterkomplex wirkt.

  9. was man evtl. auch in dieser Diskussion als Lesestoff anbieten kann, ist ein Aufsatz von dem Medientheoretiker BERNHARD PÖRKSEN, erschienen in DIE ZEIT vom 23.10.2014 im Feuilleton. Der Titel lautet “Volle Ladung Hass”, im Untertitel heißt es u.a. “Medien gelten als Kriegstreiber” etc. und er geht auch auf den FAZ-Mann ein. Der Text beginnt so (ich habe nur diesen Ausschnitt online gefunden):

    “Ich bin nicht gekauft. Kein Chefredakteur hat mich angerufen und mich um diesen Artikel gebeten oder mir irgendetwas angeboten. Ich bin nicht als PR-Söldner im Dienste der Leitmedien unterwegs und finde, um dies gleich vorauszuschicken, nicht alles gut, was ARD und ZDF senden oder was im Spiegel, in der ZEIT, in der FAZ oder in der Süddeutschen steht, sondern ich ärgere mich mitunter über den real existierenden Journalismus, über manche Selbstgerechtigkeit und einen Skandalisierungsfuror, der mich frösteln lässt. Aber inzwischen ist etwas gekippt. Auf …”

  10. @Horst Bruno: das heißt, dass Pluralismus eine Gleichschaltung des Informiertseins bedeutet? alle müssen gleich gut und v.a. in gleicher Weise informiert sein, damit sie auf dieser Basis ihre pluralen Weltdeutungen und Analsyen formulieren können. Das finde ich reichlich unrealistisch. Absegehen davon wie sich das extrapoliert ausnimmt. Eines ist doch ziemlich klar: Barth hat eine andere Informationslage als Milev. Eine andere bedeutet nicht KEINE. Wer KEINE sagt, der kann Pluralismus nicht wirklich aushalten. Der kann nicht aushalten, dass es Leute gibt, die andere Perspektiven einnehmen. Der ist vor allem im Internet nicht zu Hause, muss sich dort fremd fühlen, weil es dort eben diese große Pluralität gibt, weil dort alle unabhängig vom Bildungsgrad und Titel eine Meinung äußern können (dort also die Disziplinierung der Leistungsgesellschaft nicht greift).

  11. Ich denke und danke. Da muss man doch fragen: was ist der richtige Ansatz? Die politischen, gsellschaftlichen und medienökonomischen Bedingungen in USA, Deutschland und Russland sind ziemlich unterschiedlich. Wie kann man Pluralismus messen? Auf jeden Fall muss man das regional spezifisch machen, also die besonderen Bedingungen berücksichtigen des jeweiligen Systems.

    Auf jeden Fall ist Gleichschaltung eine falsche Kategorie, sie nützt nur, wenn man provozieren will, eine Polemik machen. Gleichschaltung gab es im Dritten Reich. Welche Diktatur hat es noch geschafft?

  12. Es gibt keine wahre Unabhängigkeit im Journalismus, weil alles mit allem zusammenhängt, weil alles einander bedingt. Das sagte “Zeit Online”-Journalist Kai Biermann auf der Veranstaltung “10 Jahre netzpolitik” bei einer Podiumsdiskussion. Ausgehend davon, müsste man fragen: wie sieht dann Verantwortung und Objektivität im Journalismus aus?

  13. Sorry, solche (akademische) Rhetorik kann ja interessant sein, aber im Angesicht der Folgen von unzureichender oder gar manipulierter Informiertheit, nämlich den unzähligen Toten, Flüchtlingen, Krüppeln und anders Deformierten ist sie wohl eine Farce.

  14. @zk #2: Objektivität im Journalismus kann nie zu 100% erreicht werden. Es gibt nie die eine Wahrheit, sondern immer nur Perspektiven. Die Aufgabe und Schwierigkeit besteht dann darin, diese Perspektiven zusammenzusetzen und zu versuchen ein großes Ganzes darzustellen.
    Das ist oftmals ziemlich kompliziert, gerade in Zeiten eines Konfliktes. Zu den Problemen der Ukraine-Berichterstattung und des Journalismus allgemein ist die Diskussionsrunde im Vorfeld des Hans Joachim Friedrich Preis sehenswert: http://www.ardmediathek.de/tv/ARD-Sondersendung/Diskussionsrunde-Ausgewogene-Berichters/Das-Erste/Video?documentId=24247914&bcastId=3304234&mpage=page.moreclips

  15. @abigal #8: Auch an dieser Stelle vielen Dank. Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, verschiedene Perspektiven einzunehmen und verschiedene Ansichten zuzulassen. Doch sollten diese Ansichten und Meinungen doch aus realem Wissen bestehen und nicht einfach aus Behauptungen. Im Ukraine-Konflikt muss man sich deswegen zwangsweise mit Geschichte, Kultur, Mentalität und Politik Russlands und besonders der Ukraine auseinandersetzen. Ansonsten wird man den Menschen nicht gerecht, die an dem Konflikt beteiligt sind, aber besonders denen nicht, die unter ihm leiden. Als Leseempfehlung kann ich an dieser Stelle Prof. Gerhard Mangott nennen, der sich in seiner Arbeit der letzten Jahre besonders mit Wirtschaft und Politik beider Länder beschäftigt hat und auf seinem Blog interessante Analysen schreibt: http://www.gerhard-mangott.at/

  16. @Tolstoi #13: Dem kann ich nur zustimmen. Der richtige Ansatz, meiner Meinung nach, besteht darin, den betroffenen und beteiligten Menschen eines jeweiligen Konflikts zuzuhören und versuchen ihre Position nachzuvollziehen. Macht man dies im Ukraine-Konflikt beschäftigt man sich höchstwahrscheinlich erstmal mit der russischen Position. Aus deutscher Sicht hat man zwangsweise erstmal eine geopolitische Perspektive, da die Wenigsten historisch, familiär, emotional oder anderweitig mit der Ukraine Bezugspunkte haben. Hat man die russische Perspektive einmal nachvollzogen und verstanden, was auf den ersten Blick nicht schwer ist, kommt man automatisch dazu, die Außenpolitik Amerikas und auch die Strategie der EU zu kritisieren. Daraus ergibt sich allerdings nur ein halbes Bild, weil man das Streitobjekt – nämlich die Ukraine – bisher völlig außen vor gelassen hat. Wenn man sich auf diese Perspektive einlässt – und das ist schwieriger, weil das Wissen über und auch die Bezugspunkte zur Ukraine sehr gering sind – kommt man automatisch dazu auch die russische Außenpolitik zu kritisieren. Und so sollte man jeden Konflikt in seinem Kontext betrachten. Es gibt immer verschiedene Perspektiven und viel Diskussionsstoff. Diese ergeben sich zwangsweise, wenn man sich mit der Materie ausgiebig beschäftigt und sie – in diesem Falle – nicht nur aus der geopolitischen Perspektive betrachtet.

  17. @Sonja Ensen: #14: Eine gute Frage. Ich denke, Journalisten stehen immer vor der Herausforderung immer nur ausschnittweise Stimmen einfangen zu können, wenn sie recherchieren. Aus diesen Stimmen muss dann ein Bild zusammengesetzt werden. Darüber hinaus müssen sie ihre eigene Bewertung einer Situation immer selber hinterfragen, sich selber ständig hinterfragen, um ein größtmögliches Level an Objektivität erreichen zu können. Die Verantwortung besteht darin, dabei zu sein und trotzdem Abstand zu gewahren. Je emotionaler die Situation, desto schwieriger ist das. Darüber hinaus: Zusammenhänge erklären, sie einordnen, über etwas, nicht für etwas berichten und verschiedenen Perspektiven aufzuzeigen.

  18. alles richtig, liebe rebecca barth. und dennoch bleibt eine kernfrage unbeantwortet und ungeloest. die aber ist entscheidend, jedenfalls aus meiner sicht.
    wir koennen uns sofort darauf einigen, dass wir sagen, russlands derzeitige aussenpolitik muss aufhoeren.
    doch das impliziert, dass russlands aussenpolitik nur eine form von aktion und nicht auch von reaktion ist, als wenn russlands aussenpolitik quasi unter reinstraumbedingungen stattfindet, ohne irgendeine interaktion mit anderen spielern auf dem spielfeld, und, als wenn diese anderen spieler alle engelsgleiche wesen sind, die nur altruistische, grossherzige, vollkommen uneigennützige ziele und absichten verfolgen.
    das aber ist ziemlich naiv und fuehrt zum kern des problems in dieser debatte, ich wiederhole mich, aus meiner sicht.
    ob uns das gefaellt oder nicht, und es gefaellt uns ja nicht, wie wir feststellen, aber von der logik her fuehrt leider kein weg an der frage vorbei, warum soll russland seine interessengesteuerte aussenpolitik beenden, der westen aber nicht?
    denn die argumentation, der westen handle nun mal nicht so, wie russland gehandelt habe, die ist nicht nur noch naiver, sondern schlicht falsch, abgesehen davon, dass sie abgrundtief verlogen ist.
    das kernproblem ist, dass der westen sich als moralapostel, als richter der gerechtigkeit und verteidiger von freiheit und demokratie geriert, die es gegenueber dem tyrannen im kreml zu verteidigen gilt. und wir sind uns einig, dass wladimir putin und seine politik alle qualitaeten und charaktermerkmale eines tyrannen aufweist.
    eine solche haltung in der politik, die mit einer ueberlegenen moral und ethik argumentiert, wie es der westen gegenueber russland tut, eine solche haltung ist aber nur dann glaubwuerdig, wenn derjenige, der den zeigefinger hebt, wenigstens halbwegs eine reputation als ehrlicher, aufrichtiger, unvoreingenommener, unbelasteter makler hat und seine argumente und argumentationen deshalb glaubwuerdig und ueberzeugend sind.
    doch leider sind der westen und vor allem die usa, die aller-, aber auch wirklich allerletzten, die einen solchen anspruch erheben koennen.
    das ist ja aus meiner sicht die ganze tragik dieses konfliktes, dass ausgerechnet der tyrann putin absolut recht hat mit seiner genuesslich vorgetragenen bissigen tirade, dass es interessant und schoen und toll und begruessenswert ist, dass die usa und der westen in punkto krim auf einmal das voelkerrecht wiederentdeckt haben, das es zu verteidigen gilt, wo doch gerade die usa unter bush keine gelegenheit ausliess, um oeffentlich zu erklaeren, dass man auf dieses voelkerrecht und seine organisationsform, die uno und den weltsicherheitsrat pfeife, sondern als einzige verbliebene supermacht und siegerin des kalten krieges allein entscheide, wer ein schurkenstaat ist und wer nicht, dass die usa auch praeventivkriege fuehren werde, wenn die usa der meinung ist, ihre nationalen interessen(nicht die internationalen, nicht einmal die der westlichen “verbuendeten” wohlgemerkt) seien bedroht.
    die usa haben russland seit der jelzin-aera immer und immer wieder arrogant zu verstehen gegeben, ihr koennt zwar anderer meinung sein, aber das interessiert uns nicht, eigentlich habt ihr zu kuschen und die klappe zu halten. leider ist diese sichtweise putins und seine entsprechend empfundene kraenkung und sein durst nach rache ja kein hirngespinst. die konflikte auf dem balkan und die art und weise, wie die usa und der westen dort agiert haben, gegen russland und seine vorgetragenen interessen oder meinungen sprechen da ja eine deutliche sprache. und damit meine ich nicht, dass die russischen interessen und meinungen im hinblick auf den balkan unterstuetzenswert und verteidigenswert gewesen seien. nur leider sind die des westens eben auch nicht.
    und in den usa gibt es eine ganze reihe von politikwissenschaftlern, die genau das bestaetigen und erklaeren, dass – ganz nuechtern aus der analytischen sicht eines us-politikers betrachtet – und die denken genauso wie putin, also imperial, ganz nuechtern betrachtet handelt putin streng logisch, machtpolitisch gesehen. nicht schoen und nicht zu unserem gefallen, aber logisch.
    wir wollen diese logik nur nicht wahrhaben und meinen, unsere westliche logik sei die allein seligmachende und wir seien tatsaechlich in der position uns als richter ueber gut und boese, ueber richtig und falsch aufzuspielen.
    an dieser grundkonstellation aendert auch die tatsache nichts, dass gabriele krone-schmalz oder andere angebliche oder tatsaechliche russland- und/oder putinversteher in deutschen medien auftreten duerfen. verglichen mit dem, was dagegen an berichterstattung in deutschen medien verbreitet wird, die den eben beschriebenen grundtenor hat, also, russland soll seine klappe halten, wir sind die guten, sie sind die boesen und deshalb duerfen wir auch wertmassstaebe an die politik russlands anlegen, an die wir uns selbst so oft nicht halten, verglichen mit dieser uebermacht, ist die praesenz von angeblich oder tatsaechlich russlandfreundlichen stimmen geradezu marginal.
    was wir hier in deutschland einfach nicht wahrhaben wollen, ist die tatsache, dass die usa und russland derzeit genau das machen, was sie 40 jahre im kalten krieg gemacht haben, imperiale politik, kraeftemessen und ringen um vorherrschaft und dominanz, ohne ruecksicht auf ihre “verbuendeten”, “freunde” oder irgendeinen anderen staat.
    die ukraine ist ein willkommener und fuer beide seiten idealer anlass fuer dieses kraeftemessen, fuer den versuch russlands, die dominanz der usa herauszufordern und moeglichst zu beenden und der verzweifelte versuch der usa, dies abzuwehren. aber die ukraine als land, in dem menschen leben mit eigenen beduerfnissen, wuenschen, traeumen, noeten, das ist sowohl moskau als auch washington so vollkommen egal, dass wir nicht einmal ahnen, wie egal.

  19. Wenn der Beitrag auch schon über ein Jahr her ist: danke für die klugen Worte von Abydos, der den Blick auf dieses Thema deutlich geweitet und die unsäglichen Verkürzungen aufgelöst hat! Interessant, daß danach Schweigen eingetreten ist. Im besten Falle aus Scham, wie provinziell die vorherigen Schattenkämpfe geführt wurden.

  20. Liebe Freund*innen, liebe Journalist*innen,

    mehrfach habe ich mich angesichts der aktuellen Krise zwischen der Ukraine und Russland bei öffentlich-rechtlichen Sendern über eine tendenziöse Berichterstattung und Besetzung von Talkrunden beschwert. Jede/r kann heutzutage z. B. digital nachvollziehen, was berichtet wurde und wie die Talk-Gästezusammenstellungen waren. Auffallend an Talk-Runden war zuerst, dass nach der Zeitenwende-Rede des Kanzlers kurz nach Beginn des Krieges es zumeist um das Thema der vermeintlich nicht erfolgten Waffenlieferungen aus der BRD ging, was als Skandal dargestellt wurde. Nebenbei bemerkt: Ein US-Experte hat diesen Vorwurf im deutschen TV als ungerechtfertigt zurückgewiesen, sie komme den vereinbarten Lieferungen durchaus nach. Als der offene Brief von Frau Schwarzer & Co ein positives Echo auf Change.org fand, wurden erstmals Personen zu Talk-Runden eingeladen, die sich kritisch zu Waffenlieferungen und der Konfliktstrategie des Westens äußerten. Öffentlich-rechtliche Meinungsumfragen hatten zu dieser Zeit ergeben, dass mehr als 50% der deutschen Bevölkerung Waffenlieferungen an die Ukraine und weitere Eskalation ablehnten. Allerdings waren die Talk-Runden im Vergleich dazu immer in einem Missverhältnis besetzt: Eine kritische Stimme sah sich stets mehreren Befürworter*innen eines Hardliner-Kurses gegenüber, wodurch ein meinungsbildendes Missverhältnis durch die Medien aufgebaut wurde.
    Es stellt sich die Frage, weshalb die Medien so verfahren und im Prinzip eine kriegsschürende Position zu vertreten scheinen. Sollte ihre Aufgabe nicht in einer unabhängigen und kritischen Prüfung, Darstellung und pluralistischen Meinungsbildung bestehen? Dem werden sie derzeit in meiner Wahrnehmung nicht wirklich gerecht. Die Auswirkungen der gegenwärtigen Praxis auf die Meinungsbildung der Bevölkerung kann schädlich sein, und sie klammert die außenpolitische Verantwortung für eigene Verfehlungen des Westens in der Vergangenheit aus. Alles in allem eine unterkomplexe und tendenziöse Haltung der Medien, leider.

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