Mein 2010 als Appell: Mach es selbst!

Die Berliner Gazette-Redakteurin Sarah Curth beschäftigt sich in ihrem Jahresrückblick mit einem gesellschaftlichen Phänomen, das den Alltag von Heimwerkern genauso bestimmt wie den Alltag von Computer Nerds. Das Stichwort lautet DIY und steht für Do it yourself: Mach es selbst!

Ich nehme die schwere Nähmaschine in die Hand und trage sie zum Wohnzimmertisch. Hier soll es geschehen. Ich wühle in den Schubladen und suche nach Stoffen. Mittlerweile haben sich jede Menge Meterwaren angesammelt. Billige vom Markt und teure aus dem KaDeWe, bunte von Ikea. Meine Idee habe ich klar im Kopf, ich seh es vor meinen Augen.

Schon als Kind habe ich gern genäht, Kuschelkissen aus bunten Filzresten und Topflappen aus Staubtüchern. Doch erst im letzten Jahr habe ich meine Leidenschaft dafür wiederentdeckt. Auch wenn mir Kleidung noch nicht so leicht von der Hand geht und ich Respekt vor den kryptischen Anleitungen aus Burda & Co. habe, für Kissen, Tischdecken, Rundschals und Eierwärmer reicht es.

Selber machen!

2010 war das Do it yourself-Jahr. Auch wenn Ranga Yogeshwar, bekannt als der ARD-Erklärbär für Wissen vor 8, in seinem neuen Buch etwas anderes behauptet. Der sympathische Wissenschaftsjournalist widmet sich in Ach so! Warum der Apfel vom Baum fällt und andere Rätsel des Alltags nicht nur der Lösung dieser Rätsel, sondern ernennt sich gleichzeitig zum reaktionären Alltagsphilosophen, indem er den Fortschritt der Technik pessimistisch kommentiert.

Im Kapitel “Warum ist Perfektion manchmal hinderlich?” schwelgt er in Erinnerungen an seine Kindheit, in der er leidenschaftlich an Radios und Motoren schraubte um diese wieder zum Leben zu erwecken. Heute wäre das, dank der Komplexität der Technik, nicht mehr möglich. Und außerdem ist man ja viel zu faul geworden: “Das engagierte Reparieren weicht zunehmend einem Austauschen und Wegwerfen: Verständnis wird durch Konsum ersetzt. Dieser Trend zeigt sich überall: Wer näht noch selbst seine Kleider, wo dampfen die selbstgemachten Konfitüren, und wer züchtet noch seine eigenen Tomaten?”

Wachsende DIY-Szene

Den wachsenden Zulauf, den die junge DIY-Szene erhält, sagt etwas anderes. Näh- und Strickblogs, in denen junge Frauen stolz ihre Werke präsentieren und Anleitungen geben, schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Das Missy Magazin widmete eine ganze Ausgabe dem DIY-Trend. Und Burda bekommt Konkurrenz durch Magazine wie Cut – Leute machen Kleider, die idiotensichere Anleitungen geben und die sich mit ihrem Layout sicher nicht nur an die BastlerInnen selbst richtet, sondern an alle, die schöne, handgemachte Dinge lieben.

Die Verkaufsplattformen Etsy und DaWanda sind das Mekka für LiebhaberInnen von Selbstgemachtem. In den Onlineshops kann man eigene Kreationen mit ein paar Klicks verkaufen und die von anderen erwerben. Das Geschäft boomt. So erwartet das Berliner Unternehmen DaWanda ein Umsatzplus von 100 % gegenüber 2009. Im Offline-Leben trifft sich die örtliche Selfmade-Szene auf regelmäßig stattfindenden Designermärkten wie TrendMafia.

Viele fragen sich vielleicht, warum so viel Arbeit machen, wenn man es schnell von der Stange kaufen kann? Es ist auch keine Frage des Geldes. Stoffe und Wolle für Kleid oder Schal sind meist viel teurer als ein fertiges Teil von H&M. Es geht um den Prozess des Selbermachens, die Entspannung beim Treten auf das Nähmaschinenpedal, die Wut, wenn man zum dritten Mal eine Naht auftrennt und den Blick weg vom flachen Bildschirm hin zum Plastischen, zum Gefühl, zu echten Farben.

Ein Problem habe ich allerdings noch. Die Nähmaschine kann ich leider nicht auf Zugfahrten mitnehmen. Deswegen habe ich jetzt auch angefangen zu Stricken. Dank des Cut-Magazins und der Stricktutorials auf Youtube war das gar nicht schwer.


Meine Top of the Pops 2010

Lieblings-DIY-Blogs
Ikea-Hacker
a friend to knit with
Brooklyn Tweed
Nadelspiel
Ruffles and Stuff

Lieblingsbeschäftigungen
Nähen
Schal stricken
RSS-Feeds lesen
Neue Rezepte ausprobieren
Facebooken

Dinge, die ich 2010 das 1. Mal gemacht habe
Cupcakes backen
Stühle und Sofa fürs Wohnzimmer aussuchen
Heiligabend nicht mit den Eltern verbringen
Silvester entspannt angehen
Einen eigenen Büroplatz haben

Reiseziele 2010
Prag
Köln
Wismar
Barcelona
Werda (Vogtland)

Toplocations in Barcelona 2010
Marmelade (Bar, Restaurant)
Rita Rouge (Bar, Restaurant)
Imprevist (Restaurant)
Muy Buenas (Bar)
O’toxo (Tapasbar/Restaurant)

8 Kommentare zu “Mein 2010 als Appell: Mach es selbst!

  1. Eine kleine (aber wichtige) Ergänzung zu deiner DIY-Weblog-Liste ist das Homemade-Labor von Berliner Gazette-Autorin Verena Kuni:

    http://www.homemade-labor.ch/weblog/

    Der Zugang ist hier nicht so sehr über das Stricken gegeben (obwohl das auch vorkommt), sondern über die Technik.

    Vielleicht eine Erweiterung für dein DIY-Spektrum in 2011!

  2. ich fühle mich regelrecht inspiriert, auch wenn ich selbst kein Fan des Nähens und Strickens bin, aber solche Zeilen geben mir Inspiration:

    Es geht um den Prozess des Selbermachens, die Entspannung beim Treten auf das Nähmaschinenpedal, die Wut, wenn man zum dritten Mal eine Naht auftrennt und den Blick weg vom flachen Bildschirm hin zum Plastischen, zum Gefühl, zu echten Farben.

    Darüber muss ich lachen:

    Ein Problem habe ich allerdings noch. Die Nähmaschine kann ich leider nicht auf Zugfahrten mitnehmen. Deswegen habe ich jetzt auch angefangen zu Stricken.

  3. Schöner Artikel! Gerade vor kurzem haben wir diskutiert, warum eigentlich “Basteln” bei den Kindergärtnerinnen so verpönt ist – ich finde es auch als Erwachsene noch toll (manchmal jedenfalls, ich behäkel keine Stuhlbeine, sondern mache Sachen, die man so nirgends kaufen kann). Toller Link: http://www.yarnstorm.blogs.com von Jane Brocket.

  4. @Andi: Super! Geht das auch mit Wasserkochern? :)

    @Britta: Was machst du denn für Sachen selbst? Ich dachte gerade das Basteln ist das, was den Kindergärtnerinnen am meisten Spaß macht. Warum ist es denn verpönt? Gibt’s da einen Grund?

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