Unter der Haut

Das Verschwinden des karibischen Inselbewohner-Koerpers, das bei Kolumbus zwischen den Zeilen des Bordbuchs seinen folgenreichen Lauf nahm, wird in der karibischen Literatur positiv umgewertet, im Sinne einer emanzipativen Verfluessigung desselben. Aquaphile Metaphern wuchern in dieser Literatur so rastlos und stuermisch, wie das Wasser, welches sie wortreich in Szene setzt, den Koerper ihrer Protagonisten umspielt. Der Koerper als fluides Gefaess erlaubt konstante Metamorphosen und schafft innerhalb der festgefuegten Strukturen Raum. Stigmatisierte Koerpermerkmale wie Hautfarbe und Physiognomie koennen in
Folge dessen ueberwunden werden.

Wie Antonio Benitez Rojos in seiner deleuzianischen Relektuere der Karibik >La isla que se repite. El Caribe y la perspectiva posmoderna< argumentiert, muss alles dynamisch bleiben und den kolonialen Sinnmustern zuwiderlaufen. Bewegung um der Bewegung willen, das koennte man wohl als die Lektion der zeitgenoessischen Kultur in der Karibik bezeichnen. Eine Losung, die vor allem im Tanz besondere Geltung erlangt. Denn dort besteht vermutlich die groesste Chance darauf, dass das, was Kolumbus sah, aber nicht sehen wollte, tatsaechlich reanimiert wird: Ein Koerper, der nicht in die abendlaendischen Ordnungssysteme passt. Das Taenzerische und die Musikalitaet der karibischen Literatur machen sie zum Vorreiter einer Suchbewegung nach dem verschollenen Koerper jenes Inselbewohners, der nach Kolumbus verschwand: physisch und symbolisch. Ihn zu bergen und ihn von den Fesseln der Geschichte sowie der Gegenwart zu befreien, all das vermag Literatur vorzudenken. Es ist ein Vordenken, dass nicht nur durch den Kopf, sondern auch durch den gesamten Koerper geht. Unter die Haut, wie man so schoen zu sagen pflegt. [Anm.d.Red.: Dies ist der letzte Teil einer Serie im Logbuch, in welcher der Autor die Reisen des Kolumbus in die Karibik rekapituliert. Sie umfasst insgesamt sechs Teile und begann mit >Der verschwommene Koerper<.]

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