Love sucks oder: Ein Band voller Blicke

30 hoch, 24 breit, 3,5 Zentimeter dick. Ein fetter Wälzer, ein Werk, eine Bibel. In 20 Minuten fertig. Es ist ja nur ein Bildband. Nur ein Bildband? Auf Seite 20 liegt Hündin Annie mit ihrem Herrchen im Bett, Kopf an Kopf. Das Zimmer ist klein und voller Bücher, der Aschenbecher voller Kippen. Er war einmal Bibliothekar. Heute braucht er viele Medikamente, gegen die Schmerzen. “Dann liegt Annie ganz ruhig neben mir. Sie gibt mir viel Kraft und Liebe.”

In ihrer Werkschau Mein Blick (Steidl Verlag) lädt die Fotografin Herlinde Koelbl den Betrachter ein, ihrem Blick zu folgen und in die Gesichter der Menschen zu sehen. Menschen, die wir aus dem Fernsehen kennen, genauso wie Menschen, die wir durch die Fotos zu kennen meinen. Manchmal geben Bildunterschriften die nötigen Informationen, die man braucht, um zu verstehen.

Einmal umgeblättert. Eine Frau aus der Ukraine sitzt in einem schlauchartigen Raum, ein Fuß in einer verrosteten Waschschüssel, daneben zwei Eimer mit schmutzigem Wasser. Ihr Blick ist in die Kamera gerichtet. Damit ihre Tochter die Universität besuchen kann, wohnt sie allein in einem Haus in Moskau und arbeitet als Hausmeisterin. Sie tut es aus Liebe zu ihrer Tochter.

Die Kapitel im Buch tragen Überschriften wie “Beziehungen”, “Sein und Schein” oder “Opfer Glaube Tod”. Begriffe, die keinen materiellen Dingen zugeordnet sind, sondern nur assoziativ und durch Zeichen heraufbeschwört werden können. Es sind Zustände, die im Verlauf des menschlichen Lebens eine Rolle spielen. In Herlinde Koelbls Bildern sind sie dennoch leicht zu erkennen: Kleidung, Gesten, Blicke, Perspektiven sprechen Bände.

Einige Seiten später. Auf einer Doppelseite sind zwei vergrößerte Schamdreiecke nebeneinander zu sehen. Das rechte ist mit dichtem, gelblich-orangem Schamhaar bedeckt. Es wirkt unschuldig und erinnert an ein Küken. Links eine perfekt rasierte Scham, so kommt das Tattoo besser zur Geltung. Über der Spalte prangen drei Sterne mit einem Banner: “Love sucks”.

2 Kommentare zu “Love sucks oder: Ein Band voller Blicke

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