Zuerst war alles ganz weit weg: Die angezündeten Autos, die brennenden Häuser, die zerborstenen Scheiben und die wütenden jungen Männer mit den Kapuzenpullovern. Obwohl Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska gerade in London ist, bekam sie von den Riots zuerst nichts mit, sondern las nur in den Nachrichten darüber. Doch ein paar Tage später, sind die Unruhen auch in ihr Leben eingedrungen. Ein Bericht aus einer Stadt, in der tagsüber kaum noch jemand auf den Straßen unterwegs ist.
Es fing in Tottenham an. Doch davon habe ich in Southwark nichts mitbekommen. Am nächsten morgen las ich die Nachrichten und schaute mir die Fotos an, wie alles brannte, wie die Leute schrien. Ich war noch nie in Tottenham und kenne auch niemanden, der da wohnt, es klang alles schrecklich, fühlte sich aber weit weg an.
Den ganzen Tag flogen Helikopter über unsere Köpfe hinweg. Man hörte ständig Polizeisirenen. Am Abend brannte Croydon, wo meine ehemalige Mitbewohnerin arbeitet, und Lewisham. Vor dem Haus eines guten Freund in Hackney wurden drei Autos angezündet, er rief mich an und meinte er habe Angst.
Es folgten Riots in East London und Ealing Broadway, wo meine erste Londoner WG war. Auf den Bildern erkannte ich den schönen Park, durch den ich jeden Tag von der U-Bahn nach Hause gelaufen bin. Ich sah auch einen brennenden Buchladen und einen Pub – den einzigen, direkt am Broadway, der nach 22:30 Uhr noch Getränke servierte.
Spaziergang durch eine evakuierte Stadt
Vor zwei Tagen sahen die Straßen in Southwark aus wie evakuiert. Dunkel und menschenleer. In einem lokalen Pub saßen ein paar Leute, meine Begleitung und ich bestellten uns was zu trinken, der Barkeeper sah traurig und angepisst aus. Seine Meinung zu den Riots: „What is their fucking problem, this is our city and our bloody civilization! What does destroying local economy is supposed to bring? They’re a bunch of fricks!“
Am nächsten morgen, am 9. August warnte das Auswärtige Amt vor Reisen nach Großbritannien. Die British Library wurde gestern spontan schon um 17 Uhr geschlossen. Grund: Die Unruhen in der Stadt. Alles etwas unheimlich. Am frühen Abend fuhren wir zur Old Street, nur zwei Stationen von der Bibliothek entfernt – der coole, junge, bei Hipstern beliebte Stadtteil in East London, sah verlassen aus. Alle Läden hatten zu. Der Hoxton Square, normalerweise voller Leute, war wie ausgestorben, abgesehen von zwei Polizisten.
Die Sonne schien, alles war ruhig und seltsam angespannt zugleich. Zwei Menschen barrikadierten gerade die Eingangstür zu ihrem Spätkauf. In der Kingsland Road fanden wir ein vietnamesisches Restaurant, das geöffnet hatte. Am Eingang wurden wir von einem lächelndem Kellner gefragt, ob wir einen Hammer dabei hätten. Lächelnd versicherte ich ihm, dass wir hammerlos sind und dann wurden wir bedient. „Wenn sie kommen, dann machen wir eben auch zu“, sagte der Kellner.
Wer randaliert eigentlich?
Wer sind denn die Leute, die ihre eigenen Wohngegenden demolieren und in Brand setzten? Was wollen sie? Bis jetzt habe ich das Gefühl, dass es für viele, auch viele Londoner, unklar ist. Bei SpiegelOnline lese ich, dass es um eine ganze Generation geht, die sich „abgehängt fühlt“ und die „geeint ist im Hass auf Eliten und Polizei“. Nur wo sind die „Eliten“? Ganz sicher nicht in den eher ärmeren Bezirken, nicht in Tottenham und nicht in Lewisham.
Lara Oydele schreibt im Guardian von jungen Leuten, die keine Zukunft sehen, die oft keine Ausbildung haben und keine Jobs finden. Sie findet die Unruhen auch gar nicht überraschend, sagt sie. Zygmunt Baumann schreibt über unser Konsumverhalten, „to shop or not to shop“ ist die Frage. Unsere Gesellschaft besteht aus denjenigen, die haben und denen, die nicht haben, die durch das Nicht-Haben erniedrigt werden, die nicht mitmachen können und die sich jetzt aber trauen und allen zeigen wollen, dass sie auch noch da sind.
Es ist Mitternacht in Southwark, durch das offene Fenster höre ich Sirenen und Hubschrauber. London schläft nicht.
19 Kommentare zu
http://james.cridland.net/blog/mapping-the-riots/
@Leonie: ich studiere hier nicht (mehr). Die Lage hat sich schon beruhugt, wir hoffen mal, dass es so bleibt.
@alle: danke für Eure Kommentare!
http://nplusonemag.com/the-day-after
Wut von oben
Die Ereignisse in England wurden im Netz hinlänglich diskutiert, und werden es auch weiterhin. So kann man u.a. manch eine Position lesen, dass man auch Verständnis für den einen Rand der Gesellschaft haben müsse. Als Cameron gestern verkündete, man überlege gar Maßnahmen, wie man die elektronische Kommunikation der Randalierer unterbinden könne, kamen naturgemäß die ersten “oh, no…” der digitalen Freidenker. Wenn Euer Stadtteil nicht mehr sicher ist, Eure Kinder nicht mehr auf die Straße gehen könne, Eure Nachbarn bedroht werden, Eure Geschäfte geplündert werden, will ich Euch sehen, wo das Verständnis bleibt, wenn Ihr Euch vom Notarzt zusammenflicken lassen müsst.
http://www.robertbasic.de/2011/08/wut/