Krisenhilfe per Internet: “Wie eine Zeitungsredaktion, nur dass keine Artikel entstehen, sondern Karten.”

Nach dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 ist einer Gruppe von Freiwilligen etwas ganz außergewöhnliches gelungen: Sie haben mit Hilfe neuester Technologien eine digitale Karte für die Katastrophenhilfe geschaffen, gespeist mit genauen Live-Daten über die aktuelle Situation im Krisengebiet – unter Mitwirkung der lokalen Bevölkerung und tausenden von Unterstützern weltweit. Die Berliner Gazette hat Patrick Meier, den Initiator, gefragt: WAS BLEIBT? In diesem Beitrag erklärt er bündig den Ansatz seiner Arbeit und zeigt, was aus dem spontanen Aktionismus geworden ist. Unser Video-Interview zeigt ihn im Nahportrait.

Wie können wir das Internet in größeren humanitären Krisen einsetzen? Ich habe mich das immer wieder gefragt und habe dann bei der afrikanischen Software-Firma Ushahidi Antworten gefunden. Wir haben zusammen Kartensysteme entwickelt und sie bei Krisen zum Einsatz gebracht. Zuerst in Afrika, später in Haiti.

Meine Freundin lebte in Haiti als das Erdbeben passiert ist. Ich habe in den USA in einem Studentenheim in Medford gelebt und wollte helfen. Gemeinsam mit StudentInnen der Fletcher School habe in meinem Wohnzimmer angefangen, digitale Karten für Haiti zu erstellen. Das bedeutet: Tausende von Quellen lesen, Übersetzungen organisieren, Daten verifizieren, einspeisen, etc. Fast wie eine Zeitungsredaktion, nur das nicht Artikel entstehen, sondern Karten (Orientierungshilfen) für die Katastrophenhilfe. Wir haben daran mit tausenden von Leuten weltweit zusammengearbeitet. Hier die aktuelle Karte.

Nach unserer erfolgreichen Aktion bei der Katastrophenhilfe in Haiti, haben wir uns gefragt: wie weiter? Können wir noch einmal so spontan auf eine Katastrophe reagieren? Wir wollten uns besser organisieren und formierten die Standby Task Force (STF), viele Freiwillige, die sich nachhaltig engagieren wollen. Erstmals zum Einsatz gekommen in dieser neuen Formation sind wir in der aktuellen Libyen-Krise. Wir haben wieder mit der Ushahidi-Technologie Live-Karten produziert. Hier ein Bericht.

Josette Sheeran, US-amerikanische Direktorin des Welternährungsprogramms, hat über Twitter ihre Anerkennung für unser Engagement in der aktuellen Libyen-Krise ausgedrückt (siehe Screenshot). Die Anerkennung von Seiten der UNO ist nicht neu, aber wir freuen uns darüber besonders, weil wir jetzt erstmals unseren Einsatz strukturiert und nachhaltig gestalten können, dank der von uns gegründeten STF.

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Anm.d.Red.: Das Video-Interview hat die Berliner Gazette am Rande der Konferenz re:publica #11 unmittelbar nach Patrick Meiers Vortrag aufgezeichnet. Das Foto (ganz oben) zeigt Patrick Meier im Jahr 2010 gemeinsam mit StudentInnen der Fletcher School in seinem Wohnzimmer bei der Arbeit.

15 Kommentare zu “Krisenhilfe per Internet: “Wie eine Zeitungsredaktion, nur dass keine Artikel entstehen, sondern Karten.”

  1. Ein “Interview” ist es ja nicht wirklich, er erzählt nur ungeschnitten am Stück über sich selbst. Mehr Verständnis von seinem Projekt bekomme ich so nicht.

  2. @Fritz#4: Du hast Recht, dass es kein Interview im klassischen Sinne, wie man es aus der gedruckten Zeitung kennt. Aber ich denke man das Video schon als Interview bezeichnen, weil er konkret Bezug auf die Fragen eines Journalisten nimmt und diese dann (wie im Radio-Interview oft gemacht) in seine Antworten gleicht mit aufnimmt.

    Warumn findest du, dass du nicht mehr Verständnis über sein Projekt bekommt? Er beschreibt doch sehr ausführlich, was die Idee war und wie sie konkret umgesetzt wurde?

    Was fehlt dir noch?
    Beste Grüße
    Magdalena

  3. ich bin froh endlich auch mal das gesicht hinter dem projekt kennengelernt zu haben, etwas über seine story, das projekt ist ja wirklich toll, und hier und da hat man schon darüber gehört, vielen dank für diesen intimen einblick!

  4. @Fritz: In der Berliner Gazette erscheinen Interviews fast immer als Protokoll, das heißt, die Fragen fallen weg, nur die Antworten bleiben stehen, das machen in Text- und Video-Form so. Das ist unser Interview-Format. Es dient der Verdichtung, Verknappung, etc. — im Netz haben es alle bekanntlich SEHR eilig ; )

  5. Was Patrick im Interview über das Arbeitsverhalten der STF sagt (“wir arbeiten überall, wo es Internet gibt, ob am Flughafen, Hotel, Sofa….”) fande ich besonders interessant. Eventuell sieht so die Zukunft aus; es wird keine reellen Arbeitsplätze geben, sondern nur noch virtuelle. Es ist daher umso bemerkenswerter, was die STF auf die Beine stellt.

  6. Man muss sich mal die Wirkungsmacht dieser “Zeitungsredaktion” rund um Patrick Meier vor Augen führen, die FAZ hat es mal ganz gut anschaulich gemacht:

    “Anna Schulz ist immer noch ein bisschen stolz, wenn sie von den Kindern erzählt, die nach dem Erdbeben in Haiti in einer zusammengestürzten Schule eingeschlossen waren. „Ich erhielt eine Nachricht vom Rettungsteam vor Ort, das von einer UN-Behörde zur falschen Adresse geschickt worden war. Zum Glück konnte ich die exakten Koordinaten mitteilen.“

    Anna Schulz verfügte über diese elementare Information, obwohl sie keiner professionellen Hilfsorganisation angehört. Die junge Amerikanerin ist Studentin der Tufts-Universität in Boston, wo sie während des Erdbebens eine der vielen Freiwilligen war, die für Ushahidi.com arbeitete – eine Internet-Plattform, die den humanitären Einsatz revolutionieren könnte. Das findet jedenfalls das amerikanische Marine-Corps, das bei seiner Mission in Haiti mit Ushahidi arbeitete: „Eure Seite rettet Leben, ihr macht den Unterschied“, schrieb man den Machern enthusiastisch.”

    http://www.faz.net/s/Rub4C34FD0B1A7E46B88B0653D6358499FF/Doc~EFD5AC6300AB848A4A291F1D3C1ABB6B2~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  7. Wirklich toll. Aber wie kann es denn sein, dass es sowas davor nicht gab, bzw. dass Hilfsorganisationen nicht selber ein solches System haben?!?

  8. @ECC: vielleicht einfach deshalb, weil Institution (auch Hilfsorganisationen) niemals etwas selbst in die Forschung und Weiterentwicklung ihrer Instrumente stecken, sondern einfach mal andere machen lassen und dann, wenn es da ist, bei sich einbauen.

    Institution und Innovation sind zwei verschiedene Paar Schuhe…

  9. Eine Frage an Patrick: Ist die StandbyTaskForce inzwischen schon wieder zum Einsatz gekommen? (nach Libyen) und bekommt ihr eine Förderung für dieses Projekt?

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