Lichte Luegen

Evi geht in einem Pelzmantel in die Badenwanne und ihr Mann rasiert einer streunenden Katze das verfilzte und kotverdreckte Fell ab. Eine Beinahe-Affaere spaeter liest Evi die nackte Katze von der Strasse auf und waermt sie mit dem ruinierten Pelzmantel. Dieser Pelzmantel ist das einzige, was Evi, die ansonsten messianisch allerlei Nippes und Nutzloses sammelt, das sie dann doch nicht auf dem Flohmarkt verkauft, aus dem Besitz ihrer verstorbenen Mutter behalten hat.

Evi ist ein >Besatzungskind<, die Tochter eines schwarzen GI und einer Berliner Hutmacherin. Diese warnte bisweilen die Kundschaft im Geschaeft vor ihrer Tochter: >Die faerbt ab!< Erst nach dem Tod der Mutter erfaehrt Evi von einem Degas-Gemaelde, unterschlagener Beutekunst, die ihr Vater einst der Mutter schenkte, dann aber bei seiner Rueckkehr in die USA doch mitnahm. Larissa Boehnings Debuet-Roman >Lichte Stoffe< fragt, was Heimat sei und ob man eine brauche, um eine scheinbar erbliche Zurueckweisungs- erfahrung durch die Eltern und deren Kompensationsversuche und um das aehnlich gelagerte Verhaeltnis der Deutschen zu den Amerikanern. Denn man >hasst doch immer nur das, was einem zu aehnlich ist<. Evis Tochter Nele lebt als Turnschuh-Designerin in den USA. Ihre Diplomarbeit beschaeftigte sich mit einer Art ziviler Tarnkleidung aus >Mimikry-Stoffen<, die in ihrer Auffaelligkeit den Menschen, der sie traegt, hinter dem Stoff zuruecktreten lassen und gar verschwinden machen soll, >als trage jemand die zu ihm passende Welt mit sich herum<. Als Nele an der Entwicklung einer >transparenten< Turnschuh-Marke mitwirken soll, einer Marke, die ueber ihre scheinbares Nicht-Vorhanden- sein, >ihre vollkommen unauffaellige, nicht bewusst wahr- nehmbare Allgegenwart<, Produktname >Jesus<, ihren Weg an die Fuesse der Konsumenten finden soll, macht sie Schluss mit dem eigenen Verschwinden und dem >Leben ohne Ankommen< und nimmt an Stelle ihrer Mutter die Suche nach Grossvater und Bild, den eigentlichen transparenten, >lichten Stoffen< auf.

Luegen, ob Mimikry-Stoffe oder getarnte Turnschuh-Marken werden zur Wahrheit, >weil jemand sie glaubt<. Schliesslich erfindet auch Nele eine Luege, die zur Wahrheit wird, weil ihre Mutter sie glaubt. Doch Nele muss luegen, um die Wahrheit sagen zu koennen, die der Degas erzaehlt. So spricht der Roman nicht mehr nur von Turnschuhen und totgeschwiegenen Vaetern, sondern von Kunst und Literatur: Luegen, die die Wahrheit sprechen.

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