Ist Lego schuld?

In welchem Maße trägt das in der Kindheit bevorzugte Spielzeug zur Persönlichkeitsentwicklung bei? Um das herauszufinden, kommt man nicht umher, sich die alte Frage zu stellen: Lego oder Playmobil? Eine ironische Betrachtung.

In einer Studenten-WG ritten wir neulich, verklärt vom Wein, auf der Nostalgie-Welle. Bei den peinlichsten Momenten der Schulzeit, über die noch aus Mangel an eigenem Musikgeschmack einfach mitgehörte Musik (z.B. Scatman John, DJ Bobo und Scooter) bis hin zu unmöglichen Einkleidungsentgleisungen heulten wir ziemlich oft mitleidend, nachfühlend und bestätigend auf.

Ich stellte irgendwann ganz arglos eine Frage, die zur Gretchenfrage des vorgerückten Abends wurde: “Habt ihr lieber mit Lego oder mit Playmobil gespielt?” Oh, da ging sie los, die Spalterei! Das Resultat, empirisch also erarbeitet durch einen Haufen Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler in ein und demselben Raum, sieht etwa wie folgt aus:

Vom Spielteppich in die Uni

Erstere spielten bevorzugt, wenn nicht gar ausschließlich mit Lego und Lego-Technik. Heute studieren sie Mathematik, Elektrotechnik, Mechatronik, Informatik und BWL. Zweitere kannten Lego durchaus, besaßen auch einige Sets, gaben aber stets Playmobil den Vorrang. Sie studieren heute Musik, Papyrologie, Philosophie, Germanistik und Indologie.

Die These liegt nahe: Was du heute studierst, hast du früher gespielt. Und umgekehrt: Das kindliche Einschießen auf eckige, logische Bausteine und gelbe Strichmundmännchen, oder eben auf eher runde, größere und lächelnde Figuren, bestimmt sowohl die Leistungsfächer in der Schule sowie die spätere Studienfach- und Partnerwahl.

Low Life, High Tech

Überzeichnet man die unschuldige Spielzeugwelt jetzt mal in Schwarz-Weiß, haut etwas auf den Putz und nimmt für eine Seite Partei, sieht das in etwa so aus: Wer schon früher hydraulikbetriebene Fahrstühle und Gabelstapler für seine fritzeligen kleinen Legomännchen (Gelbsucht?) entwarf und sie den Eltern präsentierte, rennt heute in die nächste Technische Universität. Lego-Spieler von einst sind ihren Männchen von damals ziemlich ähnlich: Relativ wortlos, mit wenig Ambiente zufrieden und überdurchschnittlich computeraffin.

Oder anders gesagt: Low Life, High Tech. Neben meinem apathisch-wortkargen Mechatronik-Mitbewohner (natürlich auch Lego-Partei), der wie ein Borg durch die Wohnung fährt und kaum auf humanoide Reize reagiert, solange ich mich auf meiner Türschwelle nicht bewege, komme ich mir arg lebendig, quirlig, quasselig und überhaupt hyper-zeitraffermäßig vor. Nun ja, wen wundert’s: Ich spielte eben bevorzugt mit Playmobil.

Majorantenkriterium, Konfidenzintervalle und Nullenüberschuss

Denn es ist Lego, das die Plastiksoldaten aus den ToyStory-Filmen produziert, Science-Fiction-Explosionsfilme auf DVD verkauft und effektüberladene Kataloge anbietet. Ich verweise an dieser Stelle nur auf Lego Herofactory, das Multiplayer-Online-Spiel Lego Universe und Lego StarWars.

Wer heute damit “erzogen” wird, spielt morgen Counter-Strike, programmiert mit 17 Jahren zwar womöglich sein eigenes Betriebssystem, hat aber auf Partys keine anderen Gesprächsthemen als das Majorantenkriterium oder parametrische und nichtparametrische simultane Konfidenzintervalle für multiple Kontraste bei Nullenüberschuss. Das klingt alles hochtrabend und wichtig, taugt aber wahrscheinlich seltenst zur Anbahnung eines Koitus.

Auf Playmobilaugenhöhe

Ich persönlich besaß so gut wie sämtliche Wild-West-Sets und durfte meine Stadt im Wohnzimmer aufbauen, anstatt nur im Schatten meines Kinderschreibtischs. Überhaupt verließ ich mein Kinderzimmer recht gern. Alle meine Figuren hatten Vor- und Nachnamen, die ich mir nicht in irgendeiner Textdatei speichern musste, sondern die ich im Kopf hatte. Ich ging auf Playmobilaugenhöhe, damit zwei Figuren, die einander zugewandt standen, sich auch wirklich in die Augen sahen. Einfach so irgendwie mit verdrehten Köpfen und spastisch verrenkten Armen hingestellte Teilnehmer gab es bei mir nicht.

Aus deren Augenhöhe hätte man individuelle Porträt-Fotos schießen können, egal, ob man sich in Colorado Springs oder auf der Ritterburg Leberstein befand. Playmobil bildete schon immer besser die Realität besser ab, und es gibt keine Sets, die nach Fernsehserien oder Kinofilmen entworfen werden, um auf deren Popularität mitzureiten. Deshalb finden sich Playmobilspieler heute natürlich viel besser im freien Leben und in der zwischenmenschlichen Kommunikation zurecht.

Mitläufer vs. Kreative

Ich bemalte beinahe alle meine Figuren nach meinen Vorstellungen. Meine Piraten hatten Bart, bevor Playmobil bärtige Figuren brachte. Meine Rocker fuhren schon seit vier Jahren selbstgebaute Chopper und Trikes, bevor Playmobil endlich nachzog. Heutzutage heißt dieses Anmalen Klicky Customizing und ist eine eigene internationale Bastel-Szene, tausendmal cooler, kreativer und bunter als jedes Legoland und jeder Modelleisenbahnkeller.

Und nur noch das zum Abschluss: Ehemalige Playmobilspieler verweigern bestimmt in 90 Prozent der Fälle den Kriegsdienst, während 70 Prozent der Lego-Follower dazu keine eigene Meinung entwickelt haben, zum Bund gehen und eben die dortige Gerätetechnik kennenlernen. Lego-Spieler sind tendenziell Mitläufer. Sie werden Ingenieure und Programmierer, und brachten die Welt in die Zustände, die wir jetzt global haben. Dafür kann man ihnen danken oder sie verfluchen.

Playmobil-Spieler werden zu den Kreativen, sorgen für die schönen Künste, schreiben Bücher und Artikel für die Berliner Gazette, sind aufgeschlossene Aussteiger oder Atomkraftgegner. Aber gut, dass man das alles auch anders betrachten kann…

6 Kommentare zu “Ist Lego schuld?

  1. Falsch. Der richtige Schluss muss lauten: AutorInnen der Berliner Gazette entstammen dem gehobenen Mittelstand. Meine alleinerziehende Mutter konnte sich Playmobil nicht leisten, also blieben nur die Legosteinchen meiner Schwester aus besseren Zeiten. Bin dummerweise trotzdem eine von diesen unzähligen brotlosen Kreativen und mithin Teil der digitalen Bohéme geworden…

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