Learning plays: Was haben Krieg, Wirtschaft und Bildung miteinander zu tun?

Foto von Andi Weiland (by-nc-sa)
Was haben Krieg, Wirtschaft und Bildung miteinander zu tun? Wie kann in einem solchen Zusammenhang das Potenzial des individuellen Handelns und Widerstandes entfaltet werden? Was bringen Erklärungen? Im „Labor für DIY-Bildung” inspirierte der Versuchsaufbau des Moduls „Learning plays“ die TeilnehmerInnen zum performativen Erkunden des Themas, angeleitet vom Theatermacher Alexander Karschnia. Berliner Gazette-Gastredakteur Chris Piallat, der das Modul moderierte, zieht eine Bilanz.

Alexander Karschnia vom Theater- und Performancekollektiv andcompanyand&Co. sieht in der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Erklärung“ die theoretische Klammer für die Frage nach Bedingungen freier Bildung. Etymologisch eröffnet der Begriff „Erklärung“ zwei Deutungen hinsichtlich Bildung. Die Menschheitsgeschichte hat bereits viele (Bildungs- oder Kriegserklärungen) gesehen.

Das Lecture Concert “Kriegserklärung”, welches das Labor für DIY-Bildung eröffnete, machte dies mit einem “Aufzählungsplateau” deutlich: Die Bedingungen für (freie) Bildung wurden in unzähligen „Declarations of…“ festgehalten. Andererseits muss sich Bildung, nicht erst seit demMethodenstreit in der Wissenschaft, immer fragen, was sie wie erklären, also definieren, umschreiben oder logisch ableiten möchte.

Foto von Andi Weiland (by-nc-sa)
Daraus leitet Karschnia das Ziel ab, durch einen performativen Einsatz der selbstreflexiven „Erklärung“ selbstbestimmte Bildung gleichzeitig zu erfahren und sich zu erschließen. Denn, in Anlehnung an Brecht’s Lehrstückstheorie und Austin’s Sprechakttheorie gilt: Mündigkeit entsteht erst durch Handeln, Sprechen ist Handeln und nur wer in einem Lehrstück oder besser, in einem “learning play”, eigene Wege der performativen Auseinandersetzung findet, kann auch lernen.

Bildung-Militär-Produktion

Doch aus welcher Warte schaut man sich die Frage nach der Selbstbestimmung in der Bildung, die in das Herz der politischen und sozialen Auseinandersetzungen in der Wissensgesellschaft führt, an? Hierzu gibt Karschnia einen Einblick in die assoziative Denk- und Produktionsweise des selbstorganisierten Theater- und Performancekollektivs andcompany&Co.. Und er legt offen wie das Kollektiv große gesellschaftliche Fragen lernenderweise zu einer Performance verarbeitet.

Karschnia zeigt anhand des Stücks FatzerBraz von Bertolt Brecht&Co. wie in einem WARLAB freie Theatergruppen arbeiten. Am Anfang steht die Gesellschaftsdiagnose. Anders gesagt: Zunächst wird der Zustand eines Themas erfasst. Erst diese Grundlage ermöglicht eine fruchtbare performative Auseinandersetzung.

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Für den Themenkomplex (freie) Bildung schlägt er ein zu denkendes theoretisches Dreieck aus Bildung, Ökonomie/Produktion und Krieg/Militär vor. Ausgehend von der Militärmetapher der Disziplinierung, Gehorsamkeit und des Funktionierens, erkennt Karschnia in der institutionellen Bildung einen Ausdruck hegemonial umschriebener, postindustrieller Zwangsverhältnisse.

In der Genealogie der heutigen Ökonomie und der Bildung findet sich die aus dem Militärischen entliehene “Disziplin” wieder, was sich schon in der Doppeldeutigkeit des Begriffes der “Disziplin” zeigt: “Disziplin” ist sowohl die Fachrichtung, die Fakultät, als auch die Gehorsamsproduktion, die Unterwerfungsstrategie – wie also überschreitet man die Disziplin?

Es genügt also nicht gegen das diszplinierende Regime zu rebellieren, denn der “Befehl zum Ungehorsam” ist schon längst Teil der militärischen Strategie – Karschnia verdeutlicht diesen Gedanken am Beispiel der Figur des preußischen Partisanen im “Landsturm-Edikt” und der Denkschrift Gneisenaus an den preußischen König. Freie, selbstbestimmte und sich selbstverwirklichende Arbeit jenseits des klassischen Arbeitsverhältnisses, legt also einen trügerischen Schleier über das Joch der Selbstdisziplinierung und Selbstgouvernmentalität.

Ein konsequenter Ausbruch aus diesem Gefüge sieht er nur in einem Moment: Die Befreiung des Selbst durch Desertion. In Ablehnung von Carl Schmitt’s Theorie des Partisanen kann die Freimachung von (selbst-)auferlegten Zwängen nur in einem proaktiven Akt liegen, der Desertion.

Von der Theorie zur Praxis

Nach Karschnias Vortrag bietet das Labor für DIY-Bildung den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, eine kollektiven, komitteehafte Erklärung zu und von freier Bildung zu erarbeiten. Ziel ist eine kleine Performance mit und durch die gelernt werden kann. Der Weg dort hin bleibt allerdings offen. Es bleiben 60 Minuten Zeit. (Das Video unten fasst die resultierenden Performances zusammen.)

Foto von Andi Weiland (by-nc-sa)
Wer das Angebot zur Desertion macht, muss es aushalten können, dass es auch gegen den vorgegebenen Rahmen verwandt wird. So desertiert eine Gruppe und konfrontiert die anderen Teilnehmer mit einer schweigend vorgetragenen Gegenerklärung.

Der Impuls zur selbstbestimmten Bildung wurde in einer einstündigen Diskussion innerhalb der Gruppe genutzt, nach außen hüllt sich die Gruppe allerdings in Schweigen. Es läutet eine Glocke, das Komitee sitzt schweigend dem Publikum gegenüber. Mit jeder weiteren stillen Minute weitet sich der angebotene Denkraum. Wieder läutet eine Glocke und das Publikum scheint erlöst und doch mit seinen eigenen Gedanken zurückgelassen.

Eine andere Gruppe lehnt sich an Brechts Lehrstücke an und verkündet zunächst: „Hiermit erklären wir euch zum Publikum.“ Darauf folgt eine eklektische Belehrung über die Erklärung der Erklärung, stets durch Klatschen unterstrichen, um vollmundig mit „Wir erklären die Aufklärung für erklärt.“ zu schließen. Die Recherche wurde hier transparent gemacht. Ob das Publikum die fragmentarischen Angebote annehmen kann, ist für die lehrend Lernenden zunächst irrelevant, denn die eigene Erkenntnis steht im Vordergrund.

Auch die anderen Gruppen brechen mit dem Korsett der komitteehaften Erklärung und konfrontieren das Publikum mit Definitionen, Fragen und Gegenfragen. Alle Gruppen erklären sich für frei, sowohl im Lernen als auch im Lehren, brechen teilweise mit dem vorgegebenen Rahmen. Allerdings: Keiner widersetzt sich dem Zeitdiktat. Und so zeigt der performative Zugang zu Bildung: Sprechen ist Handeln; nur wer handelt, bildet sich selbstbestimmt; nur wer Restriktionen in Frage stellt, kann die Grenzen des freien Denkens neu austarieren.

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Mit einigen Tagen Abstand zum Labor für DIY-Bildung sagt Karschnia: “Was ich durch diese Performances selbst wieder gelernt habe ist, dass in den Performances, wenn Bildung sozusagen praktisch wird, die Rahmenbedingungen sichtbar werden und so auch kritisiert werden können (zum Beispiel in der Verweigerung, einen Inhalt zu liefern und stattdessen die leere Form aufzuführen: fünf Minuten schweigend da zu sitzen). Dadurch wird der performative Einsatz von “Erklärung” stärker erklärt als durch jede verlesene, vorgetragene Erklärung.”

Anm.d.Red.: Ein Text von Alexander Karschnia über Brecht, Fatzer und die Idee des “learning plays” ist in dem Sammelband Modell Autodidakt erschienen.

5 Kommentare zu “Learning plays: Was haben Krieg, Wirtschaft und Bildung miteinander zu tun?

  1. Die fünf Minuten Schweigen waren wirklich großartig, weil sie mich an eine großartige Aussage eines Professors erinnert hatten: “nur weil man mal keine schnelle Antwort parat hat, bedeutet es noch lange nicht, dass der Status quo richtig ist.”
    Ich finde auch, dass man in der Bildung die Schüler und Studenten zu sehr darauf diszipliniert immer sofort _eine_ _richtige_ Antwort zu haben und das ist ein großer Fehler.

  2. ein echt komplexes thema, das ihr euch da vorgenommen habt! sehr schön, wie der text das alles zusammenbringt. eine frage zur methode: all das was der text zusammenfasst, war ein theoretischer vortrag von alexander karschnia und dann seid ihr in die praxis eingestiegen? wie war das für die teilnehmer? konnte man diese gedankengänge alle nachvollziehen? das würde mich sehr interessieren!

  3. Ja, es ist ein Problem. Wenn man zu einer “schnellen Antwort” gedrängt wird, lässt man sich oft zu leicht darauf ein. Liegt auch am Dozenten, manchmal.

  4. @Helga Sonnenberg:
    Ja, der der theoretische Aufschlag war ein Angebot für ein Gedankengebäude in dem das Thema Bildung ökonmisch, politisch oder gesellschaftlich gedacht werden konnte. Der Vortrag beinhaltete noch weitere theoretische Fragmente, die von den Workshopteilnehmern weitergedacht werden konnten. Der Grundgedanke wurde von allen aufgenommen, aber natürlich kann nicht jeder unmittelbar etwas mit eklektischen Theorieangeboten anfangen. Es gab aber rege Nachfrage und Diskussionsbedarf, der aber eher in den Kleingruppen stattfinden sollte. Bis auf einen kurzen Einblick in die Denk-, Arbeits- und Produktionsweise von andcompanyandco. und der Anregung mit dem Format “Erklärung” zu arbeiten, gab es kaum instruierende Einschränkungen unsererseits. Aus dem theoretischen Überangebot und den minimalen Vorgaben haben die Workshopteilnehmer unmittelbar Ideen in den Gruppen entwickelt. Insofern ist der klassische Dreischritt aufgegangen.

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