Berlin Biennale: Die Inszenierung des Politischen

Menschen, die nackt in einer Gaskammer fangen spielen, der angeblich größte Schlüssel der Welt, gebaut in einem Flüchtlingslager in Aida, ein eingeladenes Occupy-Camp: Die diesjährige Berlin Biennale will um jeden Preis politisch sein. Berliner Gazette-Gastredakteurin Leonie Geiger hat sich die Inszenierung des Politischen näher angeschaut.

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Was ist Kunst? Und was ist keine Kunst mehr? Was darf Kunst und vor allem: Was muss Kunst? Mindestens alle zwei Jahre werden in Berlin diese Fragen zur Berlin Biennale wieder aus der Debattenschublade hervorgeholt.

Die Biennale sei das Forum für zeitgenössische Kunst in einer der attraktivsten Kunstmetropolen weltweit und die Kuratoren dazu berufen, den Dialog mit der Stadt, ihrer Öffentlichkeit, den Kunstinteressierten sowie den Künstlern dieser Welt zu führen, so die Veranstalter auf ihrer Homepage.

Kunst muss bewegen

Der Kurator der diesjährigen Biennale ist Artur Zmijewski. Er hat für mehr als Dialog gesorgt: Streit. Denn darf Kunst nackte Menschen in einer Gaskammer zeigen, die fröhlich herumtollen? Darf Kunst Bücher von Sarrazin recyceln – oder um es treffender zu sagen – vernichten? Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Muss es aber auch nicht, denn zeitgenössische Kunst macht aus, dass über sie geredet, dass sich mit ihr auseinandergesetzt wird und dass sie die Menschen bewegt. Und wenn das Bewegen Empörung heißt.

„Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann“, beschreibt Zmijewski die Motivation der 7. Biennale. Kunst solle wieder politisch werden. Zu diesem Zweck wurden Occupy-Aktivisten aus aller Welt eingeladen, um ganz offiziell ein Camp aufzuschlagen. Der kränkelnden Bewegung wird damit wieder Raum und eine neue Stimme gegeben. Die Biennale zeigt sich im Gegenzug offen, dynamisch und eben politisch. Denn ja, Kunst kann etwas sagen in der Welt.

Trotzdem wird kritisiert. Es ist von Instrumentalisierung der Occupy-Bewegung im Rahmen der Biennale die Rede. Artur Zmijewski habe das Camp nur aufbauen lassen in der Hoffnung, die verbleibende Energie der Bewegung auf die Biennale überspringen zu lassen. Einige Aktivisten dagegen kritisieren das Lager mit der Begründung, es sei wie im Zoo – im Menschenzoo. Der Vorwurf ist berechtigt, auch weil das Camp unter anderem durch eine Glasscheibe einsehbar ist.

Über das Finanzsystem streiten? Kunst konsumieren!

Aber das eigentliche Problem ist die Inszenierung, die den Unterschied zwischen Occupy und Kunst ausmacht. Wo die Occupy-Bewegung aus Not, Wut und Überzeugung spontan heraus entstanden ist (natürlich kann auch Kunst so entstehen), verliert sie in der Biennale diesen Charakter und wirkt aufgesetzt, weil gewollt. Beispielsweise wurde auf der Homepage der Veranstaltung ein Video von Aktivisten im Pergamon Museum veröffentlicht.

Sie fordern, dass der Pergamonaltar der Türkei zurückgegeben wird, denn von dort wurde er im 19. Jahrhundert gestohlen. Seitdem würde er als symbolische Darstellung der Macht durch Deutschland und die Sowjetunion genutzt und missbraucht. Die Aktion wirkt in dem Clip gezwungen und inszeniert. So fragen böse Zungen: Will sich das Publikum der Biennale zeitgenössische Kunst (nur) ansehen? Oder will es sich mit Aktivisten über das Finanzsystem streiten?

Was will also die Biennale mit so viel aufgesetzter Politik? Eine Reaktion auf diesen Vorwurf sprang vergangenen Freitag in Großbuchstaben jedem Abonnenten des Biennale-Newsletters entgegen: DIE 7. BERLIN BIENNALE WIRD BASISDEMOKRATISCH UMGESTALTET. Es werden also Nägel mit Köpfen gemacht. Eine so genannte „globale Bewegung“ fordert eine Neuorientierung in Richtung „Horizontalität“ und somit die Auflockerung von Machtstrukturen weg von jegmöglichen Führungshierarchien.

Experiment: Horizontalität

Asambleas werden fortan einberufen, die sogenannten Versammlungen mit Diskussionen der Occupy-Bewegung. Sie finden ab jetzt wöchentlich dienstags sowie donnerstags statt und sind offen für jedermann – eben basisdemokratisch. Ziel ist es, die bestehenden kulturellen, institutionellen und wirtschaftlichen Hierarchien aufzulockern. Aber so ganz will man das Ruder nicht aus der Hand geben und nennt das Projekt Horizontalität vorerst ein „Experiment“.

Die Biennale setzt auf die Schwarmintelligenz, die den Weg für die Zukunft bereiten soll: Auf den Asambleas können Vorschläge präsentiert und konkrete Weiterentwicklungen diskutiert werden. Vorschläge, die eingerostete hierarchische „Wir-haben-es-schon-immer-so-gemacht“ – Strukturen in Frage stellen (dürfen). Als wolle man zeigen, dass Kunst-Events wirklich politisch sein können, in diesem Fall sogar basisdemokratisch. 
Kurator Zmijewski will Kunst vorstellen, die einen Raum öffnet, in dem Politik möglich ist. Am Ende muss in Kunst dieser politische Raum vorhanden sein. Aber er wirkt nur, wenn man ihn nicht erzwingt.

Anm.d.Red.: Die Bilder stammen von der Occupy-Website der Berlin Biennale.

6 Kommentare zu “Berlin Biennale: Die Inszenierung des Politischen

  1. hm, also Kunst kann und muss politisch sein, da stimme ich zu, aber was genau fordern die Occupy-Aktivisten, die sich von der Biennale einspannen lassen? Was will die Biennale politisch erreichen? Ich finde es immer ein bisschen wenig, wenn es heißt, das “soll zum Nachdenken anregen”.

  2. ich habe die biennale, anders als im anspruch definiert, nicht als sonderlich politisch wahrgenommen. da ging es viel um protest und aktivismus, also eher um formen. inhaltlich war das ganze doch sehr sehr schwach oder wie im bei meinem besuch im occupycamp referiert wurde, ginge es um “gefühl”, um die “reinheit des herzens” – man solle eben nicht so viel den “verstand” (vernunft) gebrauchen.

  3. occupy auf der biennale – das ist im grunde dasselbe wie anonymous auf der transmediale: da wird der rahmen einer großausstellung genutzt, um die eigene sache in die welt zu tragen. immerhin können dort und auf diesem wege menschen erreicht werden, die potentielle unterstützer sind.

    also: “einspannen”, “instrumentalisieren” lassen – das würde ich nicht so einseitig sehen. die frage ist eher: wie sehr hilft so ein schritt einer solchen bewegung? wie sehr schadet er?

    was ich hingegen merkwürdig finde, ist dieses gedöns von der basisdemokratisierung der biennale – das klingt wahnsinnig aufgesetzt und unglaubwürdig.

  4. @ Bernd: Ja, sie können dort Menschen finden, die potentielle Unterstützer sind, aber im Grunde könnten sie die doch überall finden oder? Muss man sich deswegen so zur Show stellen (lassen)?
    Ich habe das Gefühl, dass sich die Bewegung damit mehr schadet, als hilft. Die meisten Berliner Aktivisten sind gar nicht erst zu dem Camp hingegangen, denn sie waren nicht der Meinung, dass die Occupy Bewegung auf die Biennale gehört und sich damit Schaden zufügt.

  5. Wer sich die Mühe gemacht hat, nicht nur von oben kurz drauf zu schauen, sondern an einer Asamblea und bei mind. einer der anspruchsvollen Veranstaltungen an der Autonomous Universität bei der Occupy bb7 teilzunehmen, wird mitbekommen haben, dass sehr tiefgehende und differenzierte inhaltliche Diskussionen stattgefunden haben.

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