Kreative als Sozialarbeiter: “Es gilt, die eigene Nachfrage abzuschaffen.”


Immer mehr “Kreative” arbeiten als Sozialarbeiter an Brennpunkten: in Schulen oder in Nachbarschaften, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt worden sind. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki erkundet mit einigen Schnappschüssen jene Potentiale, die soziale Kulturprojekte für die Veränderung einer Gesellschaft haben können. Seine Forderung: Es gilt, die eigene Nachfrage abzuschaffen.

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Cindy ist Cyberfeministin, sie lebt in Mexiko-Stadt. Allesandra ist Künstlerin und vor allem in Neapel aktiv. Volkan ist Musiker, er wuchs in Frankfurt am Main auf und lebt jetzt in Berlin. Cindy setzt in der Schule interaktive Filme ein, um die Rolle der Frau spielerisch zu erkunden. Allesandra dreht in einem Tagesheim am Stadtrand Videos mit Kindern – sie können dabei selbstständig die medialen Werkzeuge erkunden. Volkan versucht es in einem AG-Angebot an einer „Brennpunkt“-Schule mit Rap – wenn die Aufnahmen gut werden, kommt es eventuell zu einer Veröffentlichung.

Cindy, Allesandra und Volkan sind keine Romanfiguren. Das Leben schreibt diese Geschichten selbst. Immer mehr „Kreative“ spielen Sozialarbeiter. Um sich selbst zu erkunden? Um Geld dazu zu verdienen? Um sich nützlich zu machen? Häufig ist es eine Mischung aus all dem.

Kunstwerke einer erweiterten Produktpalette

Zwei junge Männer sitzen in einem Falafel-Laden im Prenzlauer Berg und vergessen beim Diskutieren fast das Essen. Sie sprechen über ein Computerspiel, das sie für den Schulunterricht adaptieren wollen. Mit diesem Spiel könnte man die Kids ganz geschmeidig abholen, sie richtig anfixen und fesseln und durch das Hintertürchen alle relevanten Schulstoffe behandeln, von internationaler Politik bis hin zu ethischen Themen.

Szenenwechsel. Eine Performerin sitzt in einem Café in Kreuzberg, ihre Premiere ist gerade vorbei. Sie hat mit ihrem Team gut 40 Kinder auf die Bühne gebracht und kann nun durchatmen. Nach Wochen der Suche und Proben steht das Ergebnis: Für das Publikum eine bezaubernde Performance, für die Kinder ein Rahmen, in dem sie „ihre“ Welt auf die Bühne gebracht haben. Und das sei entscheidend. Kurz: Der „Kreative“ als Sozialarbeiter ist immer auch ein Stück weit Pädagoge und in dieser Eigenschaft Moderator von kreativen Prozessen. Zurückhaltung der eigenen künstlerischen Ansprüche und Ideen steht an der Tagesordnung. Trotzdem kommt dabei nicht selten etwas heraus, das den eigenen Produktionen in nichts nachsteht.

Heute entstehen immer mehr Bücher, Theaterstücke, Musikalben, Filme und vieles mehr unter der Beteiligung von minderjährigen Laien. Kunstwerke, die nicht nur Ihresgleichen zu begeistern vermögen, sondern auch in den Reihen der „Kreativen“ famos ankommen und nicht zuletzt ein erwachsenes Publikum erobern. Herzen schlagen höher. Ästhetische Gewohnheiten verlassen den Kanon. Produktpaletten werden erweitert. Ist hier ein neuer Absatzmarkt im Entstehen begriffen?

Kreativ-Doping an sozialen Brennpunkten

Eines ist sicher: Ein neuer Arbeitsmarkt für „Kreative“ ist an sozialen Brennpunkten längst entstanden. Davon zeugen nicht zuletzt institutionelle Entwicklungen. Insbesondere „Brennpunkt“-Schulen erweitern ihren Lehrplan: An einer Neuköllner ISS etwa arbeiten rund 20 „Kreative“ in Nachmittagsangeboten wie Tanz und Multimedia. Teils neu entstandene Fördereinrichtungen legen wiederum einen Schwerpunkt auf Projekte, die Kunst und Kultur in problematischen Milieus erproben. Darüber hinaus haben sich neuste Initiativen die Jobcenter der Republik als Partner angelacht. Warum sollte es nicht möglich sein, mit arbeitslosen Jugendlichen Kunstprojekte zu machen? Warum sollten sie im Zuge von kreativ-gedopten Maßnahmen nicht jenen Durchbruch erleben, der sowohl sie als auch ihren Sachbearbeiter glücklich macht?

Die Gesellschaft produziert soziale Brennpunkte. Dort ist es nicht sicher, dort herrscht Chaos und Verfall. Hier ist es sicher, hier herrschen Ordnung und Fortschritt. Hier leben die „Kreativen“ und wandern gerne mal dorthin aus – auf der Suche nach billigen Wohnungen. Nun kommt die neuste Welle von „Kreativen“ im Gewand des Sozialarbeiters und sagt: Ich will da nicht unbedingt leben, arbeiten aber schon. Was aber sollte das Ziel dieser Arbeit sein? „Kreative“ wie Cindy, Allesandra und Volkan sollten bei ihrer Sozialarbeit danach streben, ihre eigene Nachfrage abzuschaffen. Ein langfristiges Projekt! Die unternehmerischen Ansätze, die nicht zuletzt die „Kreativwirtschaft“ durchdringen, dürften in dieser Sache wenig Inspiration bieten. Eher noch die Bewegung der social entrepreneurship, die nach Geschäftsmodellen sucht, welche nicht Gewinn, sondern tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel abwerfen.

Anm.d.Red.: Krystian Woznicki hat das BQV-Projekt initiiert und moderiert am 2. Juni den Workshop „Sozialarbeit Reloaded“ mit Beiträgen des Komponisten Dirk Dresselhaus alias Schneider TM sowie des einflußreichen Sozialunternehmers Norbert Kunz. Foto oben: Florian Reischauer (piecesofberlin.com).

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