Heute bin ich mal unproduktiv

Jeden Tag werden werden 210 Milliarden Emails geschrieben, 50 Millionen Tweets über Twitter versendet, 900 Millionen Meldungen auf Facebook gepostet, drei Millionen Fotos auf Flickr hochgeladen, 900.000 Blogposts veröffentlicht und 35.000 Stunden Videomaterial auf YouTube hochgeladen – und das nimmt noch zu. Unterscheidet sich der “Produzent” überhaupt noch vom “Konsumenten” der Inhalte?

Dies zeigt, unsere Gesellschaft verändert sich. In gewisser Weise kann man sagen, dass das Produzieren zum neuen Konsumieren geworden ist. Diese neue Beteiligung aller ist natürlich erstmal begrüßenswert. Mich stört es auch nicht, dass dadurch die Überwachung quasi demokratisiert wurde. Aber es gibt auch einen Nachteil, der sich im Moment noch versteckt, quasi im Hinterhalt.

Heute morgen unterhielt ich mich mit einem meiner Mitbewohner darüber, was man lernt, wenn man in verschiedenen Ländern tatsächlich lebt: Weil es verschiedene Weisen gibt, mit Menschen, Kultur oder Kapitalismus umzugehen, kann man wählen, unter welcher man operiert. Aber so unterschiedlich Großbritannien, Deutschland oder Frankreich die Produktion von zum Beispiel Kultur auch begreifen, sie haben eine Sache gemeinsam: Momentan unterliegt die Kulturproduktion bestimmten Regeln.

Schalte den Markt in deinem Kopf ab

Man produziert in keinem der Länder mehr frei, nein, während man produziert, denkt man schon an den Moment des Publizierens, daran, was über das produzierte Kulturgut gesagt werden wird oder gesagt werden kann. Wie es ankommt. Kulturelle Produktion vermarktet sich also ständig selbst, hat schon die Reaktion des Feuilletons oder der Marketingabteilung im Hinterkopf, wenn noch gar nichts da ist. Neue Wege werden so unbedingt nicht beschritten. Wo auch immer sie stattfindet, braucht das, was wir Kunst nennen, einen gewissen Grad an Autismus.

Auf einen Unterschied zwischen kultureller Produktion und kultureller Kreation zu bestehen, wie es kürzlich mein Freund Christian Töpfner tat, als wir in seiner Grazer Küche stundenlang diskutierten, könnte ein notwendiger Schritt sein. Heute ist Öffentlichkeit Teil der conditio humana. Eine Seite dieser neuen Öffentlichkeit zeichnet sich durch eine gewisse Logik der Unterwerfung aus. Und an die zu denken, ist nicht immer gut, um tatsächlich etwas gebacken zu bekommen.

Die gute Sache ist: Wir müssen es nicht. Man kann jederzeit aufstehen und entscheiden: Heute, ja genau, da werde ich einfach mal schrecklich unproduktiv sein. Feine Sache, das mit der Logik, oder?

4 Kommentare zu “Heute bin ich mal unproduktiv

  1. Gute Intervention!

    In der Tat: Alles was man tut, wird immer gleich bemessen und begutachtet im Hinblick auf die Öffentlichkeit, dabei tut man entweder so, als wüsste man immer ziemlich genau wie die Öffentlichkeit auf die Dinge reagiert oder, wenn man es nicht weiß, tut man so, als könnte analysieren und herausfinde wie diese Reaktionen der Öffentlichkeit tatsächlich aussehen.

    Ich glaube, das ist ein blinder Fleck in der Debatte, denn die Öffentlichkeit ist kein einheitliches Ding, über das man genau sagen kann, wie es tickt und funktioniert. Dieses Ding ist auch kein Ding. Sondern bestenfalls ein Netzwerk, höchst heterogen, über weite Stellen zusammenhanglos.

    Also muss man in der Produktion vielleicht einfach auch mal von einem veralteten bzw. unpassenden Begriff von Öffentlichkeit abkommen.

    Man kann meistens nicht wissen, wie die Dinge ankommen.

  2. Ich finde den Beitrag gut, allerdings kann ich mit dem Vorschlag das Wort “Kreation” zu verwenden nicht sehr viel anfangen. Vielleicht funktioniert das im Englischen besser. Ich glaube, dass man für das Deutsche eher ein Wort wie “erzeugen” verwenden kann, oder?

  3. Sehr interessente Gedanken zu künstlerischem Schaffen bzw. Kulturproduktion… In gewisser Weise hast du Recht. Denn wenn wir produzieren, wozu machen wir das eigentlich? Nur, damit andere es betrachten, beurteilen, genießen können? Sollte Kunst nicht um ihr selbst Willen geschaffen werden anstelle mit dem Hintergedanken der Veröffentlichung?

  4. Als Künstler werde ich beim Werden meiner Kunst wohl immer Öffentlichkeit bzw. den Anderen im Blick haben, auch wenn manche das zurückweisen. Und das war bestimmt auch schon vor der Internetzeit so. Was sich heute ändert und durch das Internet geändert hat, ist der Zugang zur Öffentlichkeit, die jeder mühelos erreichen kann. Hier findet eine grandiose Öffnung unserer Welt für den Einzelnen statt. Die traditionellen Schranken sind gefallen. Der Kunst- und Literaturbetrieb gerät ins Schleudern. Kunst ist universeller geworden und ergreift breitere Schichten unserer Gesellschaften. Sie verliert das Elitäre, aber gerät in die Untiefen von Populismus. Und das Private – die Kunst für sich selbst – wird ständig offener – öffentlicher…. Ein spannendes Thema!

    Ein ganz treffendes Beispiel für Veränderungen und neue Möglichkeiten aufgrund der technischen Entwicklungen ist FLARF, worüber die FAZ vor kurzem berichtete. Hier der Link: http://www.faz.net/-01j0st

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