Koloniales Erbe

Die Briten sind treue Alliierte der Vereinigten Staaten. Tony Blair kaempft zwar um seine Glaubwuerdigkeit, doch die angloamerikanische Allianz bleibt fest. Der britisch-amerikanische Schulterschluss hat Tradition: Er basiert auf zwei Weltreichen – dem untergegangenen britischen Imperium und der Weltmacht USA, die im 20. Jahrhundert zur Hegemonialmacht aufgestiegen ist. Die Vereinigten Staaten haben Grossbritannien als Weltmacht abgeloest. Die Machtuebergabe geschah graduell waehrend des 20. Jahrhunderts – nach dem Ersten und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die heutige Stellung der USA – so sagen Historiker – aehnelt der Macht des britischen Weltreiches vor hundert Jahren: Als die Briten 1917 Bagdad besetzten, redete General F.S. Maude fast genauso wie George W. Bush im April 2003: >Unsere Armeen kommen nicht als Eroberer oder Feinde in Eure Staedte. Unsere Regierung moechte Euch keine fremden Institutionen aufzwingen…< Auch 1917 ueberrannten die anglophonen Truppen das Zweistromland in wenigen Wochen. Auch damals vermied die Regierung den Eindruck, den Irak direkt regieren zu wollen. Und beides Mal war es schwerer, Recht und Ordnung herzustellen als den Krieg zu gewinnen. Die Briten verstanden sich als Imperium, die Amerikaner meiden diesen Begriff. So sagte Clintons Sicherheitsberater Sandy Berger 1999: >Die USA sind die erste Weltmacht in der Geschichte, die keine imperiale Macht ist.< Und im Wahlkampf 2000 betonte George W. Bush: >Amerika war nie ein Imperium. Wir hatten diese Chance zur Grossmacht, aber wir haben sie abgewiesen.< Die Englaender hatten ein imperiales Weltreich, die Amerikaner haben die Hegemonie. Das Wort >Imperialismus< ist den Amerikanern suspekt. Es widerspricht den Prinzipien von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Der Begriff >Hegemonie< liegt ihnen naeher. Im Fruehjahr betonte Verteidigungsminister Rumsfeld ausdruecklich: >Wir sind nicht imperialistisch.< Als Hegemonialmacht koennen die USA jedoch einem zwischenstaatlichen System ihre Regeln aufzwingen und temporaer neue politische Ordnungen schaffen. Die amerikanische Hegemonie soll dabei >wohlwollend< verbreitet werden und sich ohne Zwang durchsetzen. Die >Pax Americana< soll befreiend wirken: Demokratie, Freihandel, Kapitalismus und Freiheit seien universal geltende Werte. Die amerikanische Welt sei gerecht, demokratisch, liberal und freiheitlich. Das ist die herrschende Doktrin der Neokonservativen in Washington. Das britische Weltreich war militaerisch gesehen vergleichsweise schwach. Nur 3,2 Prozent des Bruttosozialproduktes gingen in die Ruestung. Grossbritannien konnte zwar ein Viertel der Welt kolonialisieren, aber Stuetzpunkte, Flotte und Militaermacht waren relativ klein. Dahingegen hat die Weltmacht USA zwischen 1950 und 1975 etwa neun Prozent ihres BSP fuer das Militaer aufgebracht. Das britische Commonwealth konnte den Ersten Weltkrieg nur mit viel amerikanischer Hilfe gewinnen. Grossbritannien litt bereits vor dem Krieg an >imperialer Ueberdehnung<. Die Vereinigten Staaten hingegen geniessen seit einem halben Jahrhundert den Status der geopolitischen Vormacht. Die USA sind eine wirtschaftliche, diplomatische, waehrungspolitische und militaerische Hegemonialmacht. Sie wollen keine Laender erobern, unterjochen und ausbeuten. Zur Bluetezeit des britischen Imperialismus ­ im >Viktorianischen Zeitalter< ­ standen die Briten hinter ihrer Ideologie. Vom elisabethanischen Zeitalter im fruehen 17. Jahrhundert bis zur Suezkrise in den 50er Jahren war Grossbritannien stolz auf das wirtschaftliche, kulturelle und finanzielle Erbe des Kolonialismus. Die Briten unterwarfen viele Voelker, London war die Hauptstadt der Welt, und der imperiale Rassismus wurde oeffentlich gefeiert. So sprach Rudyard Kipling von der >Last des weissen Mannes< und den >wilden Voelkern – halb Teufel, halb Kind<. Heute waere diese politisch unkorrekte Sprache undenkbar. Vor einhundert Jahren naehrten 15 Millionen Briten in Afrika, Indien oder Malaya Macht und Reichtum des >British Empire.< Intellektuelle wie Edmund Burke, Thackeray, John Stuart Mill und Kipling feierten den britischen Imperialismus. Grausame Praktiken wie Sklaverei, Kolonialismus, rassische Unterdrueckung und imperiale Unterwerfung waren selbstverstaendlich. Heute leben nur vier Millionen Amerikaner im Ausland ­ die meisten in Kanada, Mexiko und Westeuropa. Sklaverei und imperiale Unterwerfung sind verpoent. Im Gegenteil: Die Amerikaner verstehen sich als Befreier. Dabei ist ihre militaerische Macht einmalig. Die USA sind in erster Linie eine Militaermacht. Die USA haben das Erbe der Briten im Irak uebernommen, die Ideologie des britischen Imperialismus lehnen sie ab. Die heutige Weltmacht USA - so schreibt der britische Historiker Niall Ferguson - hat eine groessere Wirtschaft, mehr Menschen und ein viel staerkeres Militaerarsenal als das britische Empire. Doch es ist ein >Imperium, das seinen Namen nicht kennen will. Ein Imperium, das sich selbst verleugnet.< Die >Pax Americana< sucht die Weltherrschaft ohne die rassischen, moralischen und kulturellen Bedenklichkeiten des britischen Imperialismus. Die Hegemonie Amerikas soll ethisch und rechtlich >sauber< sein: Am amerikanischen Wesen soll die Welt genesen.

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