Alles auf Knopfdruck? Wie Technik unsere Fantasien von Ermächtigung beflügelt

In der Politik verspricht man Wandel per Knopfdruck. Demokratie soll zum Computerspiel werden und einem Whistleblower wie Edward Snowden wird nachgesagt, die Welt mit einer „gewitzten Tastenkombination“ verändert zu haben. Auch Parteien haben diesen Traum. Doch können wir die Welt tatsächlich per Knopfdruck verändern? Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki geht dieser Frage nach.

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Das vertraute Fast Forward-Symbol ist von blau-weiß-grauen Farbmustern der planetarischen Weltansicht umgeben. Dieser Knopfplanet bzw. Globus-Button geht in den Untiefen eines gelb rasend-leuchtenden Raums auf, was die heutige Knopfdruck-Mentalität bestens zum Ausdruck bringt: Die Welt ist in einem solchen Grade vernetzt, dass schon ein Knopfdruck, blitzschnelles Handeln im Weltmaßstab erlaubt. Mit der richtigen Software – so souffliert das Anzeigenmotiv eines IT-Unternehmens aus dem Silicon Valley – wird jedermann zum Global Player. Dieses Versprechen verhält sich diametral entgegengesetzt zu der eisigen Stimmung des Kalten Krieges, in der die Idée fixe des Knopfes global manifest wurde: Damals sollte nur ein falscher Knopfdruck genügen, um die Welt zu zerstören; heute soll jeder in der Lage sein, die Welt per Knopfdruck zu gestalten.

Ironischerweise wurde in der Endzeitstimmung des Kalten Krieges der Weg für die Pazifizierung und Demokratisierung des Knopfes geebnet. Die Massen wurden mit technischen Geräten umspült, deren zentrales Bedienungselement Knöpfe waren. Telefone und elektronische Türklingeln fanden zunehmende Verbreitung. Faxgeräte, Walkmans und Handhelds kamen neu auf den Markt. Per Knopfdruck wählte man Fax-Nummern, startete Audio-Kassetten und feuerte auf tragbaren Videospielgeräten virtuelle Fernlenkwaffen ab. Mit dem PC nahm die Tastaturgesellschaft Gestalt an, verkörpert durch eine Maus, deren intelligenter Knopf Fingerabdrücke „lesen“ kann.

Die Knopfdruckgesellschaft

Heute regelt die Maustaste den Verkehr zwischen hier und da; per Knopfdruck bleibt man mit der Welt da draußen in touch. Alles ist just a click away. Das Handy hat dieses Lebensgefühl um die mobile Outdoor-Variante bereichert und sogar die erste populäre Knopfdruckkrankheit ausgelöst: Als die elektronische Kurznachricht zu einem favorisierten Kommunikationsformat avancierte und den Handy-Fetisch um ein Vielfaches steigerte, brach die Daumenarthritis aus. Eine andere Nebenwirkung: Das Knopfdrücken ist nicht nur eine Beschäftigungstherapie der Massen, sondern hat die Gesellschaft auch als eine weitverbreitete Geisteshaltung durchdrungen.

In der Politik verspricht man sich einen Wandel per Knopfdruck. Demokratie soll zum Computerspiel werden (Josh Lerner) und einem Whistleblower wie Edward Snowden wird nachgesagt, die Welt mit einer „gewitzten Tastenkombination“ (Harding) verändert zu haben. Auch Parteien haben diesen Traum: Die FDP zum Beispiel hatte bei einem Wahlkampf in Deutschland auf ihren Plakaten das Wort „Zweitstimme“ in einen leicht dreidimensionalisierten Knopf eingearbeitet. Der Slogan lautete: „Mehr FDP, mehr Arbeitsplätze“. Der Knopf wurde in einem anderen Motiv durch FDP-Kopfschmerztabletten ersetzt. Komplementär dazu konstatiert Naomi Klein wirtschaftliche Schocktherapien, die Gesellschaften über demokratische Hürden quasi per Knopfdruck hinweg in neoliberal entfesselte Kasinos verwandeln.

Im Alltag kommt die Knopfdruck-Mentalität häufig dann wie selbstverständlich zum Tragen, wenn es gilt, Lästiges aus der Welt zu schaffen: unbequeme Konkurrenten „ausschalten“, in stressigen Situationen einfach nur „abschalten“ und das nervige soziale Umfeld, wie der Hollywoodfilm Click (2006) ausfabuliert, mit einer universellen Fernbedienung wegklicken. Und ist nicht auch Türenknallen, abrupte Gewalt und lautes Auto-Hupen ein Ausdruck dafür, dass Probleme heutzutage vorzugsweise per Kopfdruck überwunden werden? Kommt nicht selbst das Glück per Knopfdruck daher – wenn nicht in Form von Telefon-Sex dann in der Gestalt von Heroin-Spritzen?

Eskapismusoptionen und Lebenslösungen im Sofort-Modus sind gefragt. Die Begleitmusik liefern Aspirin-Tabletten, Energie-Drinks, Sekundenkleber, Instant-Suppen und Express-Versand. Alles muss schnell gehen und ein Gefühl von Ermächtigung vermitteln. Wer seinen Einfluss zur Schau stellen will, präsentiert sich entsprechend als cooler Typ am Drücker, der lediglich mit einer einzigen Fingerbewegung Geld fließen oder Arbeitsplätze entstehen lässt. Gleichzeitig ist der Knopfdruck als Ausdruck der Selbstermächtigung in Mode gekommen.

Den Soundtrack dazu haben die Chemical Brothers mit ihrer Single „Galvanize“ eingespielt – der hinausgezögerte Höhepunkt wiederholt immer wieder fiebrig den Aufruf „The time has come to push the button!“. Das eingangs beschriebene Anzeigenmotiv mit dem Knopfplaneten zeigt, dass der Werbebranche diese Logik vertraut ist: Sie kodiert ein Produkt als begehrenswert, indem sie verspricht, der Weg zum Erfolg könne so kurz wie ein Knopfdruck sein. Immer häufiger stellt die Werbung jedoch auch „Helfen per Knopfdruck“ in Aussicht.

„1 Liter für 10 Liter“ lautete beispielsweise ein Volvic-Slogan, der kein Werbespruch sein will, sondern das Motto einer Initiative, bei der mit jeder verkauften Flasche zehn Liter sauberes Trinkwasser in Äthiopien gewonnen werden. Ein Touristikunternehmen lockte den Konsumenten wiederum mit dem Slogan „1LTU Gast = 1 m2“. Hinter dieser Formel verbirgt sich das Versprechen, dass jedes verkaufte LTU-Ticket eine entsprechende Fläche Regenwald rettet. Mit einem gleichfalls SMS-tauglichen Slogan adressierte ein Zahnpastahersteller seine potenziellen Kunden: Blend-a-meds „1 Tube=1cent-‘Baustein’“ stellte in Aussicht, Kinder in Brasilien zu retten.

Begleitet werden diese mathematisch anmutenden Konsumgleichungen dieses „conscientious commerce“ von berauschenden Bildern, auf denen saftige Regenwälder und schöne Einheimische zu sehen sind. Die Vernetzung des Planeten ist soweit fortgeschritten, dass wir mit diesen Orten und Menschen in einer direkten Verbindung stehen. Direkt und ohne Umweg sind auch die Problemlösungen, die wir für sie parat haben.

Es ist vielleicht der perfideste Ausdruck der kaum mehr hinterfragten Knopfdruck-Mentalität. Aber auch das deutlichste Zeichen für eine andere paradigmatische Verschiebung: Bislang galt der Kunde als jenes „willige Kaufinstrument“, das von der Wirtschaft mit manipulativen Warenimpulsen quasi per Knopfdruck aktiviert wurde. Nun soll er selbst derjenige sein, der am Drücker ist. Der beim Konsumieren kreativ schaltet und Dinge bewegt – natürlich all das per Knopfdruck.

Weltanschauung ohne Knopf

Hollywood lieferte mit Being There in den späten 1970er Jahren einen geistreichen Kommentar auf die entstehende Knopfdruckgesellschaft. In diesem Film verirrt sich ein Gärtner in einen unsicheren Stadtteil und wird dort mit schwarzen Jugendlichen konfrontiert. Schnell liegt ein Streit in der Luft und ein Ghetto-Boy zieht sein Messer.

Der Gärtner reagiert zu seiner Selbstverteidigung mit einer Geste, wie man sie schon tausendfach gesehen hat, in Western-, Action- und Horrorfilmen. Er zieht – doch statt einer Pistole, eine Fernbedienung – und drückt. Erstaunt muss der sympathische Softie feststellen, dass in dieser Situation der Knopfdruck nicht genügt, um den unliebsam gewordenen Kanal zu wechseln. Was ist das für ein Mensch, der glaubt, so handeln zu können?

Der Gärtner hatte bis zu jenem Spaziergang kein einziges Mal das Haus verlassen, sein gesamtes Leben verbrachte er im Garten respektive vor dem Fernseher. Ersteres ein umhegtes System, letzteres eine Ersatzrealität. Was will uns das heute sagen? Medienkonsum zurückstellen und öfter mal die vertraute, gesicherte Lebenswelt des Alltags verlassen? Vielleicht aber auch, dass Menschen, die ihre Realität mit einem Knopfdruck regulieren wollen, weltfremde Weicheier sind? Letzteres wäre eine Diagnose, die weit über die in den 1970er Jahren zunehmende TV-Obsession der Massen geht und heute selbst auf die augenscheinlich harten Drücker in unserer Gesellschaft zutreffen dürfte.

Heute wird der weiche Kern des button pushers durch neuste technische Entwicklungen geradezu ausgestellt. Sie steigern das Erlebnis des Knopfdruck-Kandidaten in puncto Macht und Befriedigung, in dem sie den Druck des auszulösenden Signals reduzieren. Touchpads und Touchscreens perfektionieren diesen Genuss. Doch es gibt mehr: Knöpfe legen nach und nach ihren herkömmlichen Objektstatus ab und verzichten im zunehmenden Maße auf jedwede Berührung.

Knöpfe werden überflüssig. Zukunftsweisende Geräte werden über Eyetracking oder Augenerkennung aktiviert. Unsere Fantasien von Ermächtigung werden auf den Prüfstand gestellt. Clicktivism & Co. wandern ins Museum und Ermächtigung wird zu einer Frage davon, ob wir die Augen öffnen. Bedeutet das die Regression in totale Passivität? Oder kehren wir an den Ursprung des Bewusstseins zurück? Diese Frage müssen wir als gesamte Gesellschaft beantworten.

Anm.d.Red. Josh Lerners Buch “Making Democracy Fun. How Game Design Can Empower Citizens and Transform Politics” ist bei MIT Press erschienen. Die Fotos im Text stammen von Krystian Woznicki und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

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