Klimawandelkomplizen, radikale Kollektive und das “entgrenzte Kommunale”

Mit dem Klimawandel wird auf nie dagewesene Weise deutlich, dass es durch all die hierarchischen Verschiedenheiten hindurch Dinge von gemeinsamem Interesse gibt: nämlich einen Planeten zu schaffen, auf dem alle jene leben können, die jetzt schon hier sind und für die, die noch kommen. Im MORE WORLD-Interview spricht die Kunstkritikerin und Genderforscherin Yvonne Volkart über eine neue Definition des Kollektiven angesichts der Klimakrise.

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In Deiner Arbeit zu öko-politischen Fragestellungen reflektierst Du Wissens- und Handlungsformen, die unter dem Radar geblieben sind und bleiben. Indigen, aktivistisch, alternativ, etc. – allgemein gesprochen, Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens, die anders sind, als jene, die als dominant, gängig, durchgesetzt, etc. gelten. Wie sich gerade am Ausspruch von George Bush symptomatisch zeigte (“our lifestyle is not negotiable”), wird eben dieses “anders sein” und “machen” zur großen politischen Frage unserer Zeit. Worin besteht für dich der entscheidende Unterschied? Und inwiefern ist dies nicht nur eine individuelle, sondern immer auch eine kollektive Frage?

Die Klimaerwärmung und die damit verbundenen Bedrohungen machen auf radikale Weise deutlich, dass „our lifestyle“ – d.h. der Wohlstand von Wenigen – auf totaler Ausbeutung basiert: Dabei werden die gesamte Erde, ihre Bewohner_innen und ihr Leben zu möglichen Ressourcen, die man konsumiert, auslaugt und in Abfall verwandelt. Seit 500 Jahren ist eine perverse Form von Alchemie am Werk, die welthaltige Materie in Müll und Schulden umsetzt. Mit der Digitalisierung und der modernen Mobilität hat dieser Prozess eine ungeahnte Steigerung erfasst.

Diese Zeit des maschinischen Hinunterwirtschaftens von Welt nenne ich – wie Marco Armiero – Wasteozän. Unsere große Aufgabe besteht darin, Strategien zu entwickeln, die erstens die Dimensionen dieses Leerlaufs überhaupt einmal wahrnehmbar machen, die zweitens dagegen opponieren und drittens Lebensmöglichkeiten vorführen, die auf anderen Werten basieren. Alle Praktiken – egal ob ästhetische, spirituelle, aktivistische oder alles zusammen – die versuchen, aus dieser Ökonomie der Entwertung auszubrechen und sich für Transformationen jenseits simpler Ganzheitsversprechen zu öffnen, werden somit zu Handlungen, die weltschaffend und existentiell sind: Es sind Ökologi(k)en der Relation und des Werdens, Ästhetiken der Sorge und des Heilens, die in Misskredit geraten sind.

Insofern sie auf ein „Mit“ hin ausgerichtet sind oder durch ihr Werden das Viele enthalten, sind sie radikal offen für das Kollektiv. Anders gesagt, ich denke, dass wir dann, wenn wir bei uns persönlich beginnen, bereits viel tun können, dass es aber lustvoller ist, diesen zermürbenden Weg mit Anderen zusammen zu machen: einerseits, um die Hoffnung lebendig zu erhalten und nicht zum frustrierten Asketen zu werden, der allein gegen die falsche Welt ankämpft, andererseits auch um mehr zu erreichen.

Beim MORE WORLD Projekt interessieren wir uns für kooperative Praktiken im Angesicht von planetarischen Herausforderungen wie Klimawandel. Dabei interessiert uns das Zusammenspiel von kommunalen, staatlichen und globalen Ebenen. Einen besonderen Ausgangspunkt stellt das Kommunale dar, hier können wir anfangen, hier finden bereits Sachen statt, teils schon seit Hunderten von Jahren. Dabei schwebt mir allerdings ein Begriff des Kommunalen vor, der nicht auf die lokale Kommune begrenzt werden sollte, eher ein entgrenztes Kommunales, das verwandt mit deinem Verständnis von transversalen und verketteten Bewegungen ist. Was bedeutet es heute im, wie Du es nennst, “Neben- und Durcheinander”, Dinge gemeinsam zu tun, die einen Unterschied machen? Wo endet das Kommunale und wo beginnt eine Form des Kommunalen, die der Ko-Präsenz im Vernetzungszusammenhang Rechnung trägt?

Mit dem Klimawandel wird auf eine möglicherweise nie dagewesene Weise deutlich, dass es durch all die hierarchischen Verschiedenheiten hindurch Dinge von gemeinsamem Interesse gibt: nämlich einen Planeten zu schaffen, auf dem alle jene leben können, die schon sind und die noch werden könnten. Und genau das ist die große Leistung, die entgrenzte kommunale Bewegungen bringen: Dass sie auf eine immer wieder andere Weise den fundamentalen Unglauben an die staatlichen und privatwirtschaftlichen Versprechen und Lügen artikulieren sowie gegen die aktuellen Formen protestieren, wie mit dem Klimawandel (nicht) umgegangen wird.

Es ist sehr aufregend zu sehen, wie der Prozess des Sich-Zusammenfindens und des Aushandelns gemeinsamer Interessen sichtbar zu werden beginnt – verstärkt durch eine Jugendliche, die anfing, ihr Unbehagen und ihre Forderungen öffentlich zu machen. Überall auf der Welt kommt es an gemeinsam bestimmten Terminen zu Demonstrationen und Aktionen, die lokal koordiniert und „performt“ werden. Viele Bewegungen, wie Occupy, der Frauenkampftag oder Climate Games fanden und finden in diesem „entgrenzten Kommunalen“ statt, wie du es so schön nennst, und wo auch soziale Medien eine wichtige Rolle spielen.

Die große Herausforderung wird nun darin bestehen, wie wir es erreichen können, dass die Forderungen – unter anderem Greta Thunbergs Forderung nach der Reduktion der CO2-Emissionen – (weltweit) umgesetzt werden. Denn natürlich gibt es für so eine komplexe und multiperspektivische Sache nicht einfach eine Lösung. Ich setze mich u.a. für die Gletscher-Initiative ein, die die Umsetzung der Ziele in der Schweizer Verfassung festgehalten haben will. Damit wäre ein Instrumentarium geschaffen, das unserer Politik der Ökonomisierung mit einem Verfassungsartikel kontern könnte. Damit so eine Initiative durchkommt, braucht es entgrenzte kommunale Praxen, die auf einfache Weise erfahrbar machen, dass wir Teil des Ganzen sind und das Problem, das wir mitverursachen, auch mitausbaden werden müssen. Dass es Alternativen gibt und dass ein reicher Ministaat wie die Schweiz eigentlich ein Signal setzen müsste. Denn darum geht es doch letztlich immer auch, wenn es um kommunale Praxen geht: Dass die mannigfaltigen Existenzweisen als Zeichen und Möglichkeiten verstanden werden, andere anzustecken.

Anders gesagt, ich glaube, dass heute, im Gegensatz zu Bewegungen von vor 25 Jahren, Momente von „Authentizität“ oder „Wahrhaftigkeit“ wieder wichtig werden. Das sieht man bei gewissen Leuten in der Kunst- und Medienszene, für die Ökologie oder Reduktion von Ressourcen bisher kein Kriterium (gewesen) ist. (Hauptsache, man schafft es möglichst schnell und billig an die nächste Konferenz, an der energiefressende Blockchain etc. als alternative Kryptopraxis vorgeschlagen wird.) Mittlerweile begegne ich immer mehr Leuten, die auch für weite Strecken den Zug nehmen, saisongerecht essen oder danach fragen, wieviel Energie das eigene Chatten benötigt. Das heißt, obwohl wir alle komplizenhaft verstrickt sind, darf die Frage danach, wie man selbst gewisse Dinge anders tut, nicht ausgeklammert oder durch das Protestieren verdeckt werden.

Deswegen, weil wir keine konkrete Vorstellung von den Zusammenhängen haben, finde ich auch ästhetische Projekte, die die materiellen (Infra)Strukturen hinter der glänzenden Oberfläche („behind the bleep“) sichtbar machen, so zentral. Joana Moll beispielsweise hat vor fünf Jahren in ihrer Internetarbeit den weltweiten CO2-Output von Google berechnet, und Vladan Joler und Kate Davies haben daran anschließend beeindruckende Karten der Ressourcen gemacht, die AI-Systeme verbrauchen. Ich selbst war Teil eines Forschungsprojekts, in dem wir die Abfälle untersucht haben, die ein Smartphone vor und nach seinem Gebrauch zurücklässt.

Dadurch, dass solche Projekte uns die langen Ketten bewusst machen, die hinter einem so verführerischen Konsumfetisch stehen, bekommt man einen völlig neuen Zugang zur Welt. Oftmals vergeht mir die Lust darauf, wenn ich im Laden stehe und mir vorstelle, woher das kommt und was das zurücklässt. Als ich dieses Jahr an der transmediale Joana Moll kennenlernte, sagte sie genau das Gleiche. Das war auch ein Moment einer entgrenzten Kommunalität. Oder bei der von mir mitorganisierten Konferenz „Seeds & Soil“ am Centre culturelle suisse in Paris erforschten wir gemeinsam die Erde, die wir dort vorfanden, und erlebten, dass gute Erde voller lebendiger Mikroorganismen ist. Obwohl ich das wusste, war es doch sehr beeindruckend, das miteinander zu erleben, zu visualisieren und das Erlebnis zu teilen, dass wir nicht allein sind: Wir haben menschliche und nicht-menschliche „GesinnungsgenossInnen“, um das mit einem Begriff des Guerilla-Gärtners Maurice Maggi zu sagen.

Die Frage der Verortung scheint heute wieder an Bedeutung zu gewinnen. Produktiv gewendet könnte man sie so stellen: Wie kann ich mich in der Kritischen Zone als politischer Akteur verorten?

Ich habe das Gefühl, dass lokale Verortung und Handlungen vor Ort wieder an Wichtigkeit gewinnen. Aber ähnlich, wie ich das mit der „neuen Authentizität“ oder unserer „komplizenhaften Verstrickung“ meinte, so ist das natürlich stets vor dem Hintergrund, dass man genau dafür die Infrastrukturen der globalen Vernetzung benutzt (und bzw. obwohl wir dabei mehr oder weniger wissen, was gleichzeitig noch alles daran hängt).

Wenn wir uns gegenwärtig mit so genannten “Klima-Flüchtlingen” befassen, scheinen wir es mit “mobilen Gemeinschaften” und Formen der “translokalen Anpassung an den Klimawandel” zu tun zu haben. In diesem Sinne sind wir beim MORE WORLD-Projekt daran interessiert, jene Anpassungen an den Klimawandel im Zusammenhang mit Migration zu untersuchen, die als “mobile und translokale kommunale Praktiken” bezeichnet werden können. Ihre ‘mobilen Lösungen’ können ergänzend zu politischen Maßnahmen wie der Bereitstellung von Wohnungen betrachtet werden…

„Mobile Lösungen“ bestehen ja darin, dass die „flüchtenden“ menschlichen und nicht-menschlichen Wesen an einen Ort gehen, wo es das hat, was sie zum Leben brauchen. Menschen sollten sich dabei möglichst schnell „integrieren“, sprich an die herrschenden Ökonomien anpassen, was viele in einer Art Überkompensation auch tun. Wenn wir annehmen – was ich jetzt aber nicht im Detail weiß – dass viele MigrantInnen, die aktuell wegen dem Klimawandel migrieren müssen, aus ländlichen Regionen kommen, dann können wir auch ein grosses Know-how in der Reproduktionsarbeit, das heisst in der Sorge-Ökonomie wie Kinder- und Altenpflege, in agrarwirtschaftlichen und gärtnerischen sowie heilenden Praxen annehmen. Genau diese Bereiche sind es aber auch, die in einer Ökologik der Relation, der Sorge und des Werdens wiederentdeckt und reformuliert werden. Kommunale Praxen versuchen, diese Kompetenzen zu adressieren. Sie unterstützen Gemeinschaftsgärten mit Koch- und Tanzgelegenheiten usw. Da gibt es wunderbare Beispiele, wie man voneinander „Umweltwissen“ lernt. Viele MigrantInnen möchten ja gerne etwas von sich geben, aber oftmals wird genau dieser Wunsch nach Teilen und Wachsen verhindert. Statt die öffentlichen Plätze bepflanzen zu dürfen, müssen MigrantInnen in Zürich und Basel invasive Neophyten ausgraben. Kein Wunder, wenn sie dann trostlos herumhocken.

Ein anderes Beispiel ist meine Mutter, die auch Migrantin ist und als Kind ein Verdingkind auf einem Bauernhof war. Wie das vielleicht auch ihrer einfachen Herkunft entspricht, hat sie sich ein großes Beziehungsnetz aufgebaut – vornehmlich mit anderen Migrant_innen – innerhalb dem jede Person bestimmte Dinge tut. Während die eine ihre Fenster putzt oder der andere ihren Garten umgräbt, bekocht meine Mutter die Leute. Das ist ein komplexes Gefüge von Verantwortlichkeiten, das parallel zum Geldystem abläuft. Wie bei einer Allmende, wo „free beer“ nicht einfach Gratisbier für alle bedeutet, bedingen diese Freiheiten auch Verpflichtungen. Zweifellos erscheint die Pflege eines solchen Netzes heute, in unseren eh schon komplizierten Lebensweisen, als zu kompliziert. Da wir aber alle wahrscheinlich einmal Klimaflüchtlinge oder anderweitig Ausgesteuerte werden, lohnt es sich, heute schon damit zu experimentieren, damit wir, so wie meine Mutter, wissen, wie das geht.

Anm. d. Red.: Die Interviewfragen stellte die Berliner Gazette-Redaktion im Rahmen der MORE WORLD-Initiative. Das Foto oben ist von Hartwig HKD und steht unter einer CC-Lizenz.

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