Keine Heimat

Ich habe eine unbeschreibliche Sehnsucht danach, in diesem Land nicht mehr staendig nach >meiner Heimat< befragt zu werden. Warum koennen die Deutschen einfach nicht damit aufhoeren? Ja, ich weiss sehr wohl, dass in anderen europaeischen Laendern Migranten auch ihre taeglichen Herkunftsgeluebde abliefern muessen. Na, und? Was sagt uns das? Nichts. Ich lebe hier. Und wenn es die Neugier befriedigt, ich war dieses Jahr in folgenden Staedten/0rten. [Die Anzahl meiner Besuche habe ich in Klammern festgehalten]: Frankfurt [8], Koeln [2], Ulm [1], Bremen [2], Istanbul [2], Dersim [1], London [4], Rom [0], Paris [7]. Nun frage ich Sie: Wo ist meine Heimat?

Heimat und Wurzeln sind fuer mich keine Orientierungspunkte. Ich mag aber auch Modebegriffe wie Hybriditaet oder Entwurzelung nicht. Wenn ich die Skyline von Frankfurt sehe und merke, dass ich in wenigen Minuten da bin, dann spuere ich mein Herz klopfen. Gleiches wenn ich nach Istanbul oder Dersim fahre. Wie seltsam, solche Gefuehle setzt Berlin bei mir nicht frei. Das bedeutet aber nicht, dass ich Berlin nicht mag. Im Gegenteil.

Es gefaellt mir, dass Berlin nicht ist, sondern wird. Ausserdem geniesse ich es, manchmal mittendrin zu sein und mich dann zurueckzuziehen, ja mich zu verstecken. In keiner anderen deutschen Grossstadt geht das so gut wie hier. Ich bin nicht festgelegt auf bestimmte Orte. Sie haben dennoch eine Bedeutung. Und so aehnlich ist es bei Musik. Ein guter Housebeat entzueckt mich genau so wie der Klang der Baglama bei einem alevitischen Song.

Mein persoenliches Umfeld zu beschreiben, ist gar nicht einfach. Es ist ein wirrer Mix aus arm und reich, drinnen und draussen, maennlich und weiblich, deutsch und nicht-deutsch, in Arbeit und arbeitsuchend, Mitte und Kreuzberg, Galatasaray und nichts, hektisch und cool. Das hat direkte Auswirkungen auf die Sprache. Sie ist mal Strasse, dann Bar oder Buero. Sie ist mal deutsch, dann etwas anderes. Und das ist ganz okay so.

Das Mixen von Sprachen gehoert zu meinem Alltag. Meine Schwester uebertreibt es damit zur Zeit ein wenig. Sie hat gestern in einem Lokal ihr Essen bestellt und dabei gleich drei Sprachen benutzt: Deutsch, Tuerkisch und Englisch. Das klingt wirklich furchtbar. Aber als codierte Geheimsprache ist eine gute Mixtur aus Deutsch und Tuerkisch unschlagbar. Wir konnten uns ueber den Kellner aergern, ohne dass er davon etwas mitbekam. Auch nicht das Schlechteste. Das ist also so wie sich mit jemandem per Augenzwinkern zu verstaendigen, ohne das ein Dritter es merkt.

Die so genannte Kanak-Sprak ist inzwischen nicht mehr nur ein >Phaenomen benachteiligter Stadtteile<, sondern auch in der Media-Markt-Werbung angekommen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Was sagt uns das ueber die Veraenderungen der letzten Jahren? Ich fuerchte, nicht viel. Eines hat sich nicht veraendert: Wenn mich jemand automatisch mit gebrochenem Deutsch anspricht, weil ich seinen Deutschaussehen-Kriterien nicht entspreche, dann kriegt er was zu hoeren. Es gibt in meinem Prosawerk eigentlich keine authentische Erzaehlung in dem Sinne, dass ich kanakschen Alltag und seine Sprache dokumentiere. Entscheidend ist, dass ich Alltagsbeobachtungen uebersetze. Und dem Begriff >Uebersetzen< kommt die zentrale Bedeutung zu. Gemeint ist eine literarische Bearbeitung, die immer auch verfremdet, stilisiert und Neues schafft. Ich habe Menschen nie eins zu eins sprechen lassen. Aber meine Figuren sprechen eine Sprache, die nah am Leben ist. Die Sprache ist schlicht, kommt ohne literarisches Schmuckwerk aus. Die Figuren sprechen gerade aus, egal ob sie verliebte Studenten, Illegale oder Sonnenbrillen-Diebe sind. Ihre Sprache ist ein Spiegel ihrer selbst.

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