Kein arabischer Frühling im Irak? Journalismus, Blogs und Proteste in einem besetzten Land

Seitdem „arabischen Frühling“ gibt es auch im Irak viele Proteste, aber das erfährt man in den Medien des Westens kaum. Wofür gehen die IrakerInnen eigentlich auf die Straße? Und: WAS BLEIBT von den Demonstrationen? Dana Asaad, der als Journalist im Irak und im kurdischen Autonomiegebiet arbeitet, liefert Antworten auf diese Fragen. Er spricht darüber, warum auch die IrakerInnen den Wandel wollen, wie es acht Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins um die Presse- und Meinungsfreiheit im Irak steht und welche Rolle das Internet bei den aktuellen Protesten spielt. Im Videoportrait ist sein Beitrag im englischen O-Ton zu sehen.

Die Proteste und Demonstrationen, die im Nahen Osten und den arabischen Ländern stattfinden, haben einen großen Einfluss auf den Irak. Man fragt sich vielleicht, warum die Iraker nun das gleiche tun wollen, wie in den anderen arabischen Ländern. Seit dem 14. Februar hatten wir mehr als 30 große Proteste auf dem Tahrir-Platz in Bagdad und dutzende kleinere Demonstrationen. Obwohl wir schon im Jahre 2003 unser Regime hätten ändern können, als am 9. April die Statue von Saddam Hussein gefallen ist.

Damals war das Problem aber, dass die Veränderung im Irak von Außen kam: die US-Armee ist in den Irak einmarschiert und hat das Regime in die Knie gezwungen. Die Iraker selbst haben diese Veränderung nicht herbeigeführt. Es ist also viel leichter, wieder einen Diktator im Irak zu haben. Ich sage damit natürlich nicht, dass wir jetzt die gleiche Situation wie vor dem Jahr 2003 erleben. Aber irgendwie geht unser neuer Premierminister ein paar Schritte, die in Zukunft eine neue Diktatur ermöglichen.

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Wenn die Veränderungen von Innen kommen, dann verläuft das anders. Nehmen wir Tunesien und Ägypten: weil das Volk den Präsidenten selbst gestürzt hat, ist es sehr leicht Millionen von Menschen wieder zu mobilisieren. Sobald jemand eine neue Diktatur errichten will, stellt sich das Volk auf die Straße und ruft: „Stopp, keine Diktatoren in unserem Land!“. Deswegen wollen wir im Irak dasselbe tun wie in Tunesien, Ägypten aber natürlich auch im Jemen, Syrien und so weiter.

Journalismus im Irak: Presse- und Meinungsfreiheit sind nicht krisenfest

All diese Veränderungen verfolge ich aus der Perspektive des Journalisten. Ich habe mit 17 Jahren angefangen als Journalist zu arbeiten. Am Anfang habe ich Geschichten für die Zeitungen der Studentenvereinigungen geschrieben. Danach habe ich Journalismus an der Universität Sulaimaniyya studiert und mich entschlossen, für professionelle Zeitungen zu Hause zu arbeiten. Ich habe außerdem für internationale Nachrichtenagenturen gearbeitet und nach 2003 auch für US-amerikanische Zeitungen.

Nach dem Umsturz 2003 als Journalist zu arbeiten war wirklich eine andere Erfahrung für uns. Den Zahlen der journalistischen Interessenverbände zu Folge, war der Irak damals der gefährlichste Ort für Journalisten. Sulaimaniyya war eigentlich sicher, aber ich habe in Bagdad, Kirkuk und Diyala gearbeitet – das waren die gefährlichsten Städte im ganzen Irak. Laut „Reporter ohne Grenzen“ sind seit 2003 im Irak 270 Journalisten getötet worden, 60 entführt und von 15 ist das Schicksal unbekannt.

2007 habe ich an einer Story über al-Qaida in Kirkuk gearbeitet. Dort hat eine extremistische Gruppe, die vermutlich zur Baʿth-Partei gehörte, versucht, mich zu entführen. Glücklicherweise rettete mich eine Polizeistreife, während sie versuchten mich ins Auto zu zerren. Mehr kann ich an dieser Stelle dazu nicht erzählen, aber wenn ich von 270 getöteten Journalisten rede, waren darunter auch gute und enge Freunde.

Was das Arbeiten als Journalist im Moment angeht, also die Berichterstattung über Demonstrationen und Proteste im Irak, möchte ich einen Witz erzählen, den wir unter Journalisten machen: Die Regierung erzählt den Journalisten „ihr könnt schreiben was ihr wollt und wir können euch festnehmen, wann wir wollen.“ Sowohl die kurdische als auch die irakische Regierung erzählen dem Volk, dass es Meinungsfreiheit gibt. Das ist auch wahr, aber wenn es Krisen gibt, wenn es Probleme gibt, dann sieht man die Realität: dann gibt es keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit. In den Zeiten in denen es Krisen, viele Proteste und Demonstrationen gibt, sieht man viele Journalisten, die von der Polizei verprügelt werden und die ins Gefängnis müssen. Und wenn ich über die letzten Monate rede, kann ich sagen, dass mehr als zehn Journalisten im Irak und sogar in Kurdistan eingesperrt wurden.

Im Moment arbeite ich hauptsächlich als Online-Redakteur für die Plattform niqash.org. Hier können Journalisten und Intellektuelle politische Meinungen publizieren – auf Englisch, Arabisch und Kurdisch.

Die Rolle des Internets: „Wenn alle am Computer sitzen, kommt keine Revolution zustande.“

Was das Internet und die Revolutionen im Irak und in der arabischen Welt angeht, muss man erst einen Sachverhalt klären. Viele Leute sagen, dass soziale Netzwerke, vor allem Facebook und Twitter, die Revolutionen in der arabischen Welt hervorgerufen hätten. Aber eigentlich ist das nicht wahr. Denn wenn jeder vor seinem Laptop bleiben und seinen Bildschirm anschauen würde, gäbe es keine Revolutionen.

Aber man kann sagen, dass soziale Netzwerke den Aktivisten geholfen haben, ihre Botschaft unter das Volk zu bringen und es den Bürgern so ermöglicht wurde, sich auf die Proteste und Demonstrationen vorzubereiten. Natürlich hat man in Tunesien und Ägypten gesehen, dass das Internet eine große Rolle gespielt hat. In Ägypten lag die Zahl der Internetuser vor dem 5. Februar bei 4.200.000. Nach dem 25. Februar hat sich die Zahl um eine Millionen auf 5.200.000 User erhöht. Das bedeutet, dass diese Menschen Informationen zu Demonstrationen über das Internet, vor allem über soziale Netzwerke erhalten. Und das passiert tatsächlich auch im Irak.

Es gibt also große und bekannte Seiten auf Facebook, eine davon heißt: „Warum sind wir immer noch still?“ Bei der Seite geht es darum, warum es keine Dienstleistungen im Irak gibt, warum es Korruption gibt, usw. Und dann haben wir auch noch andere Seiten, eine davon heißt „Genug von der Regierung“, eine andere heißt „Bagdad wird nicht das neue Kandahar sein.“ Bei diesen Seiten geht es um die Freiheit im Irak. Und all diese Seiten haben einen großen Einfluss auf der Straße, sie bringen die Leute zum Demonstrieren.

Blogger und Journalisten: Wem kann ich vertrauen?

Als Journalist schaue ich mir diese Seiten natürlich an. Vor allem Twitter und Facebook. Aber ich benutze sie nicht als Hauptquellen für meine Geschichten. Was ich allerdings benutze, sind Zitate der Leute. Ich als Journalist mag es lieber, vor Ort zu sein und die Informationen frisch von der ersten Quelle zu erfahren und nicht aus dem Internet. Ich denke, man kann den großen Seiten wie Facebook nicht trauen. Wir haben nämlich schon oft erlebt, dass Leute etwas in den sozialen Netzwerken veröffentlicht haben und man danach bemerkte, dass es nicht stimmt.

Es gibt allerdings auch Situationen, in denen man nicht vor Ort sein kann, wenn es beispielsweise die Sicherheitslage nicht zulässt und man keine Quellen per Handy erreichen kann. Dann schaue ich mir an, was die Blogger von vor Ort berichten oder was für Neuigkeiten es in den sozialen Netzwerken gibt. Trotzdem bin ich immer sehr vorsichtig, welche Informationen ich benutze und überprüfe lieber drei Mal, ob etwas stimmt oder nicht.

Heute kann jeder Journalist sein, jeder kann ein Handy mit einer Kamera haben, jeder kann ins Internet. Aber die Frage dabei ist, wem man vertrauen kann und wem nicht. Und diese Frage gilt nicht nur für Blogger, sondern auch für Journalisten. Denn im Irak gehören mehr als 90 Prozent der Journalisten auch politischen Parteien an – diesen Journalisten kann man meiner Meinung nach nicht vertrauen. Also hängt es davon ab, ob man vertraut, wem man vertraut und wem man nicht vertraut.

Anm. d. Red.: Das Videoportrait ist im April 2011 entstanden.

14 Kommentare zu “Kein arabischer Frühling im Irak? Journalismus, Blogs und Proteste in einem besetzten Land

  1. Warum “kein arabischer Frühling” – ganz klar Frühling im Irak wenn ich dem Journalisten Glauben schenken darf. Aber ganz klar: Man erfährt über die aktuelle Situation sehr wenig. Zu komplex für unsere Medien??

  2. Wir erfahren leider wenig vom Positiven, sondern nur die negativen Seiten der Gewaltausübung. Das müsste sich doch ändern lassen. Allerdings müsste es auch aus dem Irak kommen, nicht aus Berlin und nicht aus dem Internet.

  3. Ich finde die Frage des Vertrauens im Bezug auf den Journalismus sehr interessant. Müssen wir die uns nicht auch hier stellen? Wenn jeder ein Journalist sein kann, wer steckt dann eigentlich dahinter?

  4. Karan Bavandi (kbavandi) zeigt gerade am Beispiel Irak Möglichkeiten auf, wie er durch Curation verschiedenen Quellen verknüpft und seinen Standpunkt erarbeitet:
    “Recently IMF (International Monetary Fund) came out with a report praising the Iranian government for the implementation of their economic plan (Subsidy Cuts).”

    ( http://www.optimalaccess.com/blog/curation-and-journalism )

    Seine Conclusion: “Curating news is and will be an essential part of any journalistic endeavor. By curating news on specific topics everyday Journalist will build valuable assets that will help them draw on existing research to quickly author new articles. Furthermore the curated research itself will be a valuable source of reference for all and will add to the journalists cache.2
    Dazu seine Quellen:

    (http://www.kbucket.com/main/view_kbucket/21 )

    (sehr interessante Curating Plattform, gerade für den poliotischen Journalismus, denke ich!

  5. “Ich denke, man kann den großen Seiten wie Facebook nicht trauen.”

    das ist ein guter punkt, aber mich überrascht, dass hier nur darauf verwiesen wird, dass da auch nicht ganz so gesichert informationen rumfliegen.

    in einem beitrag über meinungsfreiheit und zensur hätte ich erwartet, dass der autor hier deutlich sagt, dass facebook und vergleichbare netzwerke sehr komfortable kontrollinstrumente für die regierung sind…

    aber vielleicht ist dieser traurige punkt in diesem zusammenhang einfach schon viel zu klar!?

  6. @#6: ich denke, man kann es nicht häufig genug sagen und voraussetzen sowieso nicht… dass social media netzwerke wunderbar sich eignen für Überwachung!

    eine andere Sache:

    “im Irak gehören mehr als 90 Prozent der Journalisten auch politischen Parteien an – diesen Journalisten kann man meiner Meinung nach nicht vertrauen. Das gleiche gilt auch für Blogger.”

    verstehe nicht ganz… ich meine, dass es den Bloggern nicht traut, haben wir verstanden, weil sie keine seriösen, wasserdichten Informationen zur Verfügung stellen, aber liegt es denn zusätzlich auch noch an einer Parteiengebundenheit der Blogger?

  7. @Heiko Idensen #5: Danke für den Hinweis, ich habe mir das Beispiel angeschaut, verstehe aber noch nicht so ganz, wie das funktionieren soll mit dem “Curating”. Gibt es noch andere Beispiele? Danke!

  8. Die sozialen Netzwerke eignen sich zur Überwachung und zur “Gegenüberwachung” gleichermasse, d.h. Du kannst Netzwerke bilden, dich mit Leuten, Gruppen, Massen etc. vernetzten, aber klar, Dein Profil und alle deine Bewegungen (smartphone) und Postings, Likes, Kommentare etc. werden mitgeschnitten, überwacht und im Zweifelsfall (siehe Wikileaks) auch dem CIA und dem Verfassungsschutz herausgegeben.
    Ich finde aber das Potential der Vernetzung und der “Gegenüberwachung” viel interessanter, gerade auch, was die Nachrichtenströme anbelangt. Siehe das Mapping der Twitterbotschaften zu #jan25 kurz vor dem Sturz Mubaraks:
    http://www.youtube.com/watch?v=2guKJfvq4uI&feature=player_embedded
    @ Magdalena:
    Auch am Beispiel Ägypten wird hier das “Kuratieren” von twitter-Strömen für den Aufbau eines Nachrichtenkanals zur ägyptischen Revolution gezeigt:
    http://www.niemanlab.org/2011/02/the-egypt-list-sulia-curates-content-by-curating-expertise/
    (zum “Information Curating” kommt ja bald ein Artikel von mir in der BG :-)

  9. @Nick & neuro: das ist der Komfort eines Pseudonyms, einer gewissen Anonymität und dann vielleicht die Frage, wie lange all das komfortabel ist, wenn man ein Medienstar wird in einem Kriegsland…

    Das hier finde ich übrigens auch ganz interessant für das Archiv:
    http://whereissalampax.blogspot.com/

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