Jenseits der Tastatur: Es knallt, wenn Digital Natives mit dem Rechtsstaat in Konflikt geraten

Digital Natives auf der Anklagebank: Hier haben wir die smarten Hacker, dort die alten Richter. Berliner Gazette-Redakteurin Leonie Geiger spürt jüngeren Justizfällen nach und befindet, dass Grenzen immer noch wichtig sind. Ein Kommentar.

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Ich bin ein Digital Native. Ich erkläre meinen Eltern wie Computer, Smartphone und das Internet funktionieren. Wikipedia hat mich so manches Mal gerettet und Facebook bietet mir die Möglichkeit zu zeigen, wer ich wirklich bin. Meine Generation geht nicht mehr ins Kino oder kauft CDs. Das Internet gibt uns alles, was wir brauchen. Mal auf legalem, mal auf illegalem Wege.

Und wo unsere Eltern in der 68er Bewegung noch für soziale Gerechtigkeit und sexuelle Aufklärung kämpften, unterzeichnen wir Petitionen im Internet oder stehen mal gegen ACTA auf der Straße. Dabei zeigt auch: Unser Verständnis von Recht unterscheidet sich von der vorigen Generation. Wir können digitale Kopien in sekundenschnelle anfertigen, also tun wir es auch. Das Urheberrecht kommt uns dabei ziemlich altbacken vor.

Falls auch ein paar „Erwachsene“ mitlesen: Nein, wir laden nicht den ganzen Tag Filme auf The Pirate Bay herunter oder cybermobben Mitschüler auf Facebook. Und zugegeben: Bisher habe ich mir über das was Digital Natives unter Recht verstehen könnten, noch nicht so viele Gedanken gemacht. Doch in der letzten Zeit gabt es gleich drei Fälle von Digital Native-Zeitgenossen, die mit dem Rechtsstaat in Konflikt kamen, weil sie „böse“ Dinge im Internet angestellt haben. Sie selbst sehen sich jedoch eher als digitale Vorkämpfer.

Fall 1: Die Macher von The Pirate Bay vs. Hollywood

Vor kurzem erschien (auf YouTube) der Fim The Pirate Bay- Away from Keybord. Zwei Jahre lang begleitete der schwedische Filmemacher Simon Klose die Gründer der Filesharing Plattform The Pirate Bay: Sprecher Peter Sunde, Programmierer Gottfried Svartholm Warg und IT-Experte Fredrik Neij. Sie wurden 2008 wegen Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung angeklagt und im November 2010 zu Haftstrafen bis zu einem Jahr und Schadenersatzzahlungen von über 5 Millionen Euro verurteilt. Ihre Sichtweise ist: Sich Austauschen im Internet (in Form von welchen Daten auch immer) ist legal. Die Gegenseite – Hollywood – ist aber der Meinung, dass sich die drei bereichert hätten.

Der Film zeigt die drei während dieses Prozesses. Völlig wertfrei und doch auf eine sehr persönliche Art skizziert er drei Menschen in ihrer speziellen Welt und ihrem Kampf für eine Urheberrechtsreform. Begleitet sie zu Anhörungen, Hochzeiten in Thailand oder in diverse Bars.

Einmal werden sie vor Gericht gefragt, wann sie sich das erste Mal im reellen Leben (IRL) getroffen hätten. Nein, diese Abkürzung, so war die Reaktion der drei auf die Frage, benützen sie nicht. Denn die reale Welt sei das Internet. Wer grad nicht im Netz ist, ist AFK (“Away from Keyboard”). Und dort wollten sie sich ohne Hindernisse bewegen. Die Einstellung die Peter Sunde, Gottfried Svartholm Warg und Fredrik Neij zu ihrer Welt haben, wirkt naiv. Auch wenn aus der Pirate Bay Szene nicht zuletzt die Piratenpartei entstanden ist.

Das Spannende an dem Film: Er zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie sich im digitalen Zeitalter Generationen auseinanderleben und welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben: Auf Beschwerden von Rechteinhabern antworten die drei „Go Fuck yourself“.

Zudem gibt es Szenen im Gerichtssaal, in denen Juristen der Unterschied zwischen Megabyte und Megabit erklärt werden muss. Später machen sich die drei darüber lustig. Ist ein solcher Prozess ernst zu nehmen? Zumindest scheinen es Peter Sunde, Gottfried Svartholm Warg und Fredrik Neij nicht einzusehen, sich von jemanden verurteilen zu lassen, der von ihrem Leben, Handeln und ihrer Sichtweise keinerlei Ahnung hat – verständlich, oder?

In einem Interview sagt Produzent Simon Klose über drei drei Gründer: „Ich bin beeindruckt von ihren technischen Fähigkeiten, ihrer anti-autoritären Einstellung und ihrer Zupackmentalität. Was auch immer die Gesellschaft mit ihnen anstellen würde, sie würden es unterlaufen.“. Und so hat bis heute hat noch keiner der drei die Strafe abgesessen. Nach Fredrik Neij wird in Laos gefahndet.

Fall 2: Aaron Swartz vs. US-Staatsanwaltschaft

Auch der Internet-Aktivist und Hacker Aaron Swartz wurde von der Staatsanwaltschaft angeklagt. Swartz war mit 14 Jahren schon Co-Autor des ersten Codes für den RSS-Newsfeed und half später, die populäre Webseite Reddit zu dem zu machen, was sie heute ist. Auch er setzte sich für ein grenzenloses und zensurfreies Netz ein.

2011 wurde Swartz, der „Rockstar des Internets“ genannt wird, angeklagt, 4,8 Millionen wissenschaftliche Artikel der Organisation JSTOR (Journal STORage) illegal heruntergeladen zu haben. JSTOR betreibt ein kostenpflichtiges Online-Archiv mit älteren Ausgaben ausgewählter Fachzeitschriften. Nachdem Swartz die Daten wieder an JSTOR ausgehändigt hatte, kündigten diese an, keine zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Aktivisten zu stellen. Der Fall wurde von der Staatsanwaltschaft trotzdem weiter verfolgt. Ihm drohten im Fall seiner Verurteilung bis zu 35 Jahren Haft und eine hohe Geldstrafe. Damit hatte die Justiz die Zügel fest angezogen.

Doch es kam niemals zum Prozess, der für den April 2013 angesetzt war. Aaron Swartz nahm sich vorher das Leben. Er litt unter Depressionen. Sein Selbstmord löste großes Entsetzen in der Netzgemeinde aus und die Kritik am Vorgehen Justiz war laut.

Peter Eckersley schrieb auf der Homepage der Electronic Frontier Foundation im Nachruf auf Aaron Swartz: „Aaron’s act was undoubtedly political activism, and taking such an act in the physical world would, at most, have a meant he faced light penalties akin to trespassing as part of a political protest. Because he used a computer, he instead faced long-term incarceration.“ Dieser Vorwurf ist durchaus berechtigt. Die Staatsanwaltschaft hatte für Aaron Swartz die Höchststrafe gefordert, insofern er seine Taten nicht gestehe. Swartz‘ Vater erklärte, sein Sohn sei „von der Regierung getötet worden“.

Freiheit ist immer Freiheit des anders denkenden

Das sind Beispiele für Menschen, die für eine „gute Sache“ kämpfen, die an etwas glauben und die Lebensbedingungen im Netz verbessern wollen. Strafen und Strafandrohungen erreichten sie aus einer Welt „jenseits der Tastatur“. Sie sind nicht repräsentativ, dennoch zeigen sie eine Tendenz, der man sich in der Zukunft stellen muss. Denn es sind Fälle, die das Rechtsverständnis – und Gefühl vieler Menschen übersteigt.

Schließlich sind ihre Ziele keineswegs verwerflich. Und was haben die „Jungs“ denn schon genau angestellt? Technisch nachvollziehen konnte das ohnehin kaum jemand. So kam es wohl auch zu der breiten Unterstützung in Medien und Gesellschaft.Doch heiligt der Zweck auch hier die Mittel? Ist es mit der Rechtsprechung nicht wie mit der Demokratie – im Moment haben wir einfach keine Bessere. Man kann sich über Richter, die einen Tweet für feinen englischen Stoff halten, lustig machen. Oder man kann mit ihnen in Dialog treten.

Die Fähigkeiten von Peter Sunde, Gottfried Svartholm Warg, Fredrik Neij und Aaron Swartz sind unglaublich machtvoll und besonders. Und aus einem Gefühl von Macht kann schnell die Annahme der Übermacht entstehen. Das ist gefährlich, denn Individuen sollten nicht willkürlich festlegen können, dass sie über dem Rechtsstaat stehen. Was, wenn Sunde und Co. beim nächsten Mal eine Aktion starten, die nicht so viele (stillschweigende) Befürworter findet? Wer entscheidet dann, ob es sich noch um eine „gute Sache“ handelt?

Ich will zum Schluss den Ausspruch von Rosa Luxemburg in Erinnerung rufen, der so wunderbar in jede Zeit passt: Freiheit ist immer Freiheit des anders denkenden. Auch als Digital Native kann man nicht viel falsch machen, wenn man sich im Netz, oder im Café oder auf dem Schulhof daran hält, die Grenzen der eigenen Freiheit in dem Recht des Gegenübers auf Freiheit zu sehen.

Anm.d.Red.: Mehr Texte zum Thema gibt es in unseren Dossiers Digital Natives und Illegale Fans. Das Foto oben stammt von telomi. Das Foto unten stammt von gato gato gato. Beide stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

7 Kommentare zu “Jenseits der Tastatur: Es knallt, wenn Digital Natives mit dem Rechtsstaat in Konflikt geraten

  1. “Schließlich sind ihre Ziele keineswegs verwerflich.”

    Und dennoch werden sie von “alten Richtern” verurteilt. Banken-Vorstände erhalten saftige Boni für “Verbrechen”. Das werden Digital Natives, die ja die Zukunft sind, auf Dauer nicht hinnehmen.

    Wichtiger Beitrag!

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