Lektionen der Japan-Katastrophe: “Zusammenarbeit zwischen sozialen und klassischen Medien zählt.”

Heute durchdringen soziale Medien wie Blogs, Twitter und Facebook den Journalismus der klassischen Massenmedien. Die Aufarbeitung einer Katastrophe kann in einer derart pluralen Medienlandschaft nicht mehr so einfach gelenkt und abgehakt werden. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki fragt: Wie sollten soziale und klassische Medien verknüpft sein, damit sie während und nach der Katastrophe eine starke Öffentlichkeit herstellen helfen?

Wie der Philosoph Kojin Karatani glauben viele, dass Japan die Katastrophe vom 11.3.2011ff nicht so schnell wird abhaken können. Nicht so schnell zumindest, wie das schockierende Kobe-Erdbeben aus dem Jahr 1995. Das hat verschiedene Gründe, darunter die noch unabsehbaren Folgen der (Erdbeben-, Tsunami- und) Nuklearkatastrophe. So spricht der Regierungssprecher Yukio Edano von einem “langen Kampf” gegen die Atomkrise. Er zieht Massenumsiedlungen in Erwägung und vieles mehr, das dazu führen wird, das Land von Grund auf umzukrempeln.

Ein anderer Grund: Als das Kobe-Erdbeben vor 16 Jahren völlig unerwartet die Gesellschaft mitten ins Mark traf, war Japans Medienlandschaft eine andere. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen und der Journalismus war in fester Hand der großen Verlagshäuser. Massenmedien regulierten die Öffentlichkeit. So war es damals recht einfach, das kollektive Bewusstsein in kurzer Zeit auf neue Gedanken zu bringen.

Beispielhaft für den Verdrängungsmechanismus wäre der Umgang mit atomaren Störfällen kurze Zeit nach dem Kobe-Erdbeben. Yoichi Shimatsu berichtet:

In 1996, amid a reactor accident in Ibaraki province, the government never admitted that radioactive fallout had drifted over the northeastern suburbs of Tokyo. Reporters obtained confirmation from monitoring stations, but the press was under a blanket order not to run any alarming news, facts be damned.

Heute aber durchdringen soziale Medien die von den klassischen Massenmedien hergestellte Öffentlichkeit auf eine weltweit schier beispiellose Weise (Bild unten: Japans größte Tageszeitung im Netz). Soziale Medien sind den Menschen in Japan buchstäblich an die Hand gewachsen (Stichwort: mobile media) und diversifizieren im Zuge dessen die ohnehin schon extrem hohe Dichte und Intensität massenmedialer Öffentlichkeiten.

In einer derart pluralen Medienlandschaft kann eine Katastrophe nicht so schnell abgehakt werden. Vielmehr drängt das vermeintliche Dauerrauschen der Stimmen eine lange sowie umfassende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Erschütterungen auf.

Grenzübergreifend? Twitter, Nico Nico Duga und NHK

Fast vier Wochen nach dem 11. März ist die Katastrophe zum Alltag geworden, die Aufregung hat sich ein wenig gelegt, auch in den sozialen Netzwerken ist es etwas ruhiger geworden, die Vielzahl der Stimmen erfährt hier und dort Bündelung. Von einer unüberschaubar großen Anzahl von Interventionen bleiben ein paar Projekte übrig. Fragt sich nur, ob sie im Bewusstsein der Menschen oder tatsächlich auch in Betrieb bleiben.

Eine Antwort auf diese Frage dürfte entscheidende Hinweise über die tatsächliche Nachhaltigkeit der medial-gestützten Katastrophenverarbeitung liefern. So bleibt vorerst offen, ob die Lektionen der Erschütterung als Resultat eines gesellschaftlichen Großprojekts zwischen Twitter, Nico Nico Douga und NHK in die Geschichte eingehen wird.

Zwischenzeitlich haben einige Bürgerinitiativen den Sprung aus den sozialen Netzwerken in die klassischen Massenmedien geschafft, darunter Quakebook, World’s 1000 Messages for Japan und Anpi Report. Diese Projekte tauchen in den unterschiedlichsten Artikeln immer wieder auf – von Focus und Tagesanzeiger über Latin Daily Financial News und Japan Times bis hin zu ABC News, USA Today und Boston Globe.

Sagt dies etwas über ihre herausragende Qualität aus? Oder eher darüber, dass die klassischen Medien (in solchen Fällen) nicht recherchieren, sondern (hier auch bedingt durch die Sprachbarriere) voneinander abschreiben? Beziehungsweise ein und dieselbe Agenturmeldung als Vorlage für ihre Artikel nehmen? Letzteres steht zu vermuten. Da ansonsten der Link zwischen den sozialen Medien in Japan und den klassischen Medien kaum reflektiert worden ist, wäre zu fragen: Was geht da eigentlich?

Der Link zwischen sozialen und klassischen Medien

Der Link zwischen den sozialen und den klassischen Medien ist entscheidend, zumindest, wenn man diese Verbindung als historischen Fortschritt begreift und ernsthaft glaubt, dass eine plurale Medienlandschaft die Katastrophe nicht nur einfacher überstehen hilft, sondern auch ermöglicht, nachhaltigere Lektionen zu ziehen. Man kommt also nicht umhin grundlegend zu fragen: Wie haben Internet und soziale Medien die klassischen Massenmedien im Detail verändert?

Obgleich man erst mit Abstand, möglicherweise erst in einigen Jahren, darauf wissenschaftlich fundierte Antworten wird geben können, lässt sich mit Blick auf den besagten Link in Zeiten der Katastrophe jetzt schon einiges sagen. Ich abstrahiere zunächst in fünf Stichpunkten, beziehe diese auf die Situation in Deutschland und komme dann wieder auf Japan zurück.

1) BürgerInnen nutzen soziale Medien deutlich häufiger
2) soziale Medien inspirieren klassische Medienformate
3) soziale Medien bereichern/korrigieren klassische Medien
4) soziale Medien dienen klassischen Medien als Quellen
5) Akteure aus sozialen und klassischen Medien kollaborieren

In Bezug auf die ersten vier Punkte ist hierzulande während der aktuellen Katastrophe in Japan einiges zu beobachten gewesen. Vieles davon ist problematisch. Die intensive Nutzung der sozialen Medien während der Katastrophe hat in Deutschland zu Hysterie geführt. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher führt dies auf die “Erregunspotentiale der neuen Echtzeitmedienwelt” zurück. Beispielhaft dafür sind Live-Ticker, die bei den großen Online-Portalen wie Guardian, CNN oder Spiegel das Twitter-Prinzip des Live-Internet so stark verinnerlichen, dass sie kaum noch Distanz zulassen und das Geschehen zu einem Sportereignis machen (siehe auch Libyen-Krieg).

Wenn wiederum im großen Spiegel-Protokoll der Katastrophe ein Feuerwehrmann beim Twittern beschrieben wird, dann zeugt dies vor allem davon, dass das ehrenwerte Nachrichtenmagazin auf der Höhe der Zeit sein will: ein twitternder Feuerwehrmann ist chic, trendy. Kurz: es wird mehr schlecht als recht aus den sozialen Medien in die klassischen Medien übersetzt. Das zeigen auch die “eilig […] aus dem Boden gestampften” Blog-Projekte bei SPON, bei der FAZ und bei der Süddeutschen Zeitung. Sie seien, so Don Alphonso, sehr “vorhersehbar” und hätten kaum mehr zu bieten, “als andere Nachrichten”.

Zusammenarbeit muss forciert und kommuniziert werden

Über Punkt fünf habe ich bereits in meinen Japan-Thesen gemeinsam mit den LeserInnen der Berliner Gazette nachgedacht. Unklar ist, wie bald Akteure aus den sozialen Medien zu anerkannten Partnern von klassischen Medienakteuren werden. Nach der langen Phase der Distinktionskämpfe, Identitätskrisen und den damit verbundenen Feindseligkeiten spüren wir heute, dass der kollaborative Journalismus möglich geworden ist. Social Networker, Blogger und klassische Journalisten können sinnvoll zusammenarbeiten.

Damit sich dieses Modell durchsetzt, sollte mehr über diese Liaison berichtet werden. In Bezug auf die Katastrophe vom 11.3.2011ff war in dieser Hinsicht insgesamt leider sehr wenig zu lesen – speziell im Vergleich zu der umfrangreichen Reflexion über die Rolle von sozialen Netzwerken, Blogs und Enthüllungsplattformen bei den jüngsten Umbrüchen am Maghreb. Daher bleibt die Bedeutung der sozialen Medien (und ihrer Akteure) für die unmittelbare Katastrophenhilfe einerseits und für die gesellschaftliche Aufarbeitung der Katastrophe andererseits entweder gar nicht oder unangemessen evaluiert. Vor dem eingangs skizzierten Hintergrund und im Anbetracht der überaus defizitären Informationspolitik der Krisenmanager ist das eine verlorene Chance.

Wie gesagt, man wird in Japan nicht so bald wieder zur Tagesordnung übergehen können. Nicht nur, weil unklar ist, wann die Katastrophe überhaupt ausgestanden ist, sondern auch, weil die Medienlandschaft dies nicht mehr so einfach macht. Früher, als die klassischen Massenmedien den Informationsstrom kontrollierten, hätte man nach 7-14 Tagen das Thema gewechselt. Heute ermöglichen die vernetzten Öffentlichkeiten eine langfristige und demokratische Auseinandersetzung. Hierbei kommen die Stimmen von Social Networkern, Bloggern und herkömmlichen Experten gleichermaßen zum Tragen und durchbrechen das Informationsmonopol der Elite. Ein Unterschied zu früher, der für die Gesellschaft im Zweifelsfall von epochaler Bedeutung sein kann – sollte sie sich nach der Katastrophe grundlegend erneuern wollen, anstatt einfach so weiterzumachen wie zuvor.

Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags hat am 11.3.2011 ein Thesenprojekt zu grenzübergreifenden Medienkollaboration in Zeiten der Katastrophe gestartet, das großes Echo in der Netz-Öffentlichkeit sowie in den klassischen Medien erfahren hat (u.a. WDR5, RBB). Die letzte These (#6) reflektiert die Frage der Nachhaltigkeit.

38 Kommentare zu “Lektionen der Japan-Katastrophe: “Zusammenarbeit zwischen sozialen und klassischen Medien zählt.”

  1. oh ha, danke, müsste ich gleich ein zweites mal lesen, mal schauen, vielleicht morgen früh ; )

  2. Danke!

    Ein paar Hintergrund-Links

    Facebook Reaches Out to Journalists With Page, Workshops
    ( http://mashable.com/2011/04/05/facebook-for-journalists/ )

    How journalists can use Facebook
    ( http://savethemedia.com/2009/01/19/how-journalists-can-use-facebook/ )

    Facebook & social journalism
    ( http://www.facebook.com/notes/journalists-on-facebook/facebook-social-journalism/210530275625661 )

    Journalists and Facebook
    ( http://www.facebook.com/group.php?gid=2544570126 )

    Facebook startet Akademie für Journalisten
    ( http://meedia.de/nc/details-topstory/article/facebook-startet-akademie-fr-journalisten_100034165.html )

  3. Hallo Krystian, vielen Dank für die gute Zusammenfassung aus den letzten Wochen.
    Ich würde aber gerne noch einen weiteren Akteur ins Spiel bringen, der die klassische sowie sozialen Medien beeinflusst: die Interessensvertretungen. Besonders bei so einem Thema wo es auch um sehr viel Geld (Pro AKW) geht bzw. auch um eine Energiewende (AntiAKW) werden sämtliche Kanäle mit Informationen überschüttet und die klassischen Medien hätten auch hier die besseren Ressourcen die Quellen auszuwerten und einzuordnen, sind aber im Gegensatz zu sozialen Medien auch mehr auf die finanzielle Unterstützung angewiesen. Eine Frage ist doch: wie sich eine Zeitung in Neckarwestheim zu EnBW verhält? Und auch hier könnten Soziale Medien als Watchdogs funktionieren, wenn sie die Ressourcen dafür hätten.
    Die Vorteile der jeweiligen Seiten passen meiner Meinung nach noch nicht so gut zusammen und Interessensvertretungen vergutschlechtern das Problem noch.

  4. @Rainald Krome & Papli: danke für die Hinweise.

    @Andi: im Akteursfeld sind die Medien umgeben von diversen Akteuren, neben dem Staat, eben auch der Wirtschaft — es gibt Überlappungen, die problematisch sind, Interessenkonflikte, deshalb hast Du vollkommen recht: soziale Medien als Korrektiv können weiterhelfen (watchdog-prinzip). Das war in Zeiten des Kobe-Erdbebens eben anders.

  5. @andi: ganz recht! Akteure der sozialen Medien sind nicht nur BürgerInnen, auch Behörden, Firmen und eben auch Atomlobby haben Twitter-Account und Facebook-Profil.

  6. in der Tat, ein Ende ist nicht in Sicht, alles wird sich ändern müssen, auch der Tourismus / Uncertain future of Japan tourism / Japan Times -> welche Rolle werden soziale Medien in diesem Kontext spielen?

    “I can only hope the nuclear crisis will be brought under control sooner than later and that the media — so prompt in relaying tragedy — will also inform the public about the progress made since the disaster and the safety of travel in Japan.”

    http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/rc20110407a1.html

  7. @.andi und Rainald Krome: Vielen Dank für die Differenzierung – das hatte mir bei dem Text auch noch ein bisschen gefehlt. Für mich sieht das ein bisschen so aus, als würden die Sozialen Medien/ Bürgermedien in Zukunft dieselben Probleme bekommen wie der klassische Journalismus sie schon hat: Wie kann man sich vor PR schützen/ von PR abgrenzen. Dazu gibt es auf FB auch immer wieder regelrechte Kommentarbattles (zum Beispiel hatte neulich ein Blogger ein Kaffeesponsoring angenommen und dann darüber gebloggt, wie toll die Marke ist) – die Grenzen verwischen.

  8. @Magdi, Naja Werbung ist ja auch im Blog kein Problem so lange es als Werbung gekennzeichnet ist. Da haben sich ja die Journalisten alle dran zu halten. Schwierig wird es eher mit der Überprüfung von “Fakten”, wenn man zum Beispiel keine Rechercheabteilung oder Wissenschaftler zur Hand hat. Und es ist ja meistens immer noch so, dass wir am liebsten einfache Antworten haben wollen und die Interessensverbände können die am besten liefern.

  9. und nochmal ich, weil ich gerade eine Studie der Wiener Uni gefunden habe, die sich mit den Inhalten von deutschen Tweets auseinandergesetzt hat und da zu folgender Conclusio kam: “Klassische Gatekeeper bei Nachrichten von allgemeinem Interesse
    relevant, für spezifische Nachrichten ist Social Media zentral.
    Tweets liefern neue Perspektiven auf Medieninhalte und unterstützen
    so die Einordnung von Nachrichten (u.a.) in ihre thematischen Kontexte
    und die soziale Konstruktion von Vorstellungen über die Welt.”
    https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/get/o:64004/bdef:Content/get

  10. @Rainald Krome #6: auch das Feld der klassischen Medien ist, wenn man so will nicht reinrassig und durch klassischerweise durchdrungen von Akteuren des Staates und der Wirtschaft — Verlagshäuser selbst sind Unternehmen; öffentlich rechtliche Sendeanstalten wiederum können in ihrer Programmatik dem Staat zugeordnet werden, mal mehr mal weniger. Die konkreten EInflüsse der Atomlobby wären hier zu verfolgen/aufzudecken.

    Aber darum geht es nicht: ich spreche von Journalismus in erster Linie und von Medien in zweiter Linie und wie beide helfen Öffentlichkeit hervorzubringen. Wenn ich sage: Die Zusammenarbeit zwischen sozialen und klassischen Medien zählt. Dann meine ich natürlich all jene, die die Voraussetzungen und Ziele mit sich bringen, Journalismus zu machen — und nicht PR, Propaganda oder was auch immer.

    @Magdalena: deshalb sehe ich auch nicht das von Dir skizzierte Problem, zumindest nicht so wie Du es beschreibst, denn dass facebook, twitter etc. für Werbung, PR, etc. Verwendung finden, das ist von vornherein absolut klar gewesen, nicht erst after effect. Wäre also zu gucken, worin, historisch betrachtet, tatsächlich der Unterschied zu den klassischen Medien besteht.

    @andi#10: auch aus der Perspektive der Journalisten müsste man fragen: Was ist wirklich neu, etwa im Hinblick auf die Frage der Informationsgewichtung, -evaluierung, etc.? ich denke, diese Aufgabe war gestern nicht einfacher als heute, alles verschiebt sich, verändert sich, die Akteure gehen mit, gestalten die Veränderungen — oder auch nicht und beschweren sich, dass der Regierungssprecher twittert…

  11. sind Twitter & Co. etwa von Philantropen gegründet worden und werden betrieben um Journalismus zu fördern? Ich denke es sind Firmen oder? Wie so vieles und das meiste an Web 2.0 ein Business Projekt mit viel Hoffnung auf revenue und offenem Ausgang. Bei facebook hat es ja immerhin geklappt, vorübergehend…

  12. @r2de#13: ist mir schon klar, war selbst dabei, damals, dotcom, New Economy, Start Ups, ein großer Hype, dann war alles aus, die dotcom-Blase platze, umso überraschter war ich von dem Web-2.0-Boom, der alles zu wiederholen schien, die selben Märchen erzählte, die ganze Schönfärberei der New Economy neu auftischte, von wegen im Internet könne man Gold graben, Wir nennen es Arbeit…

    Interessant, dass in der New Economy Extase dieses ganze Journalismus-Dings noch gar nicht so da war als Riesenthema, die ganzen Zeitungen hatten das Internet noch gar nicht richtig auf dem Schirm, die Bürger wollten bestensfalls eine Homepage, da war schon von einem neuen Informationsgleichgewicht die Rede, von einer neuen Pluralitöt und so. Aber Journalismus? ich meine so als Projekt, das sich erneuert, neu erfindet und so? nicht das ich wüsste. Das kam dann eher mit den Blogs und mit dem Kampf gegen die Blogger… dass man plötzlich, aber was heisst man, einige wenige waren das, die sahen, hey, da passiert jetzt was, was neues entsteht, scheinbar haben das noch immer nicht alle begriffen…

    @Krystian: von dieser Sache mit den Journalisten, die sich über den twitternden Regierungssprecher habe ich auch am Rande mitbekommen… Schräge Sache…

  13. danke! könnten Sie Beispiele geben für das schnelle Abhaken nach dem Kobe-Erdbeben? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Furchtbar!

  14. @Silvia: ein Beispiel wären atomare Störfälle unmittelbar nach dem Kobe-Erdbeben, von denen ein investigativer Journalist folgendes zu berichten hat:

    In 1996, amid a reactor accident in Ibaraki province, the government never admitted that radioactive fallout had drifted over the northeastern suburbs of Tokyo. Reporters obtained confirmation from monitoring stations, but the press was under a blanket order not to run any alarming news, facts be damned.

    ich werde das oben einpflegen, könnte mir virstelen, dass sich auch andere LeserInnen diese Frage stellen.

    @Rainald Krome: gute Frage, ob New Economy-Ära auch eine Neuerfindung des Journalismus zum Thema hatte, aber schauen wir auf Neugründungen wie Telepolis und Spiegel in den späten 1990ern sowie dann etwas später Perlentaucher, politik-digital und Berliner Gazette — ich glaube da war eine Menge los, allerdings war natürlich das ganze Gespräch darüber nicht so pathetisch…

    @r2d2: mir ist bei der Berichterstattung über die sozialen Medien in Japan während der Dreifach-Katastrophe aufgefallen, dass eine Schlagzeilenidee immer wieder variiert worden ist: “disaster sparks innovative social media responses”

    Für mich klingt das sehr nach einem Business-Vokabular: die Not macht innovativ und erfinderisch – was den Markt belebt. Stimmt nachdenklich…

  15. @Krystian#12: Die “klassischen” Zeitungen kommen schon immer mit der Werbung zusammen (“Anzeigenblätter”), bei den allerersten Zeitungen hat ohnehin eine Person alles gemacht (Recherchiert, redigiert, geschrieben, gedruckt, Anzeigen etc.). Die Aufgabenteilung und damit auch der Versuch redaktionelle Inhalte/ Werbeinhalte trennscharf zu unterteilen kommt erst mit der zunehmenden Professionalisierung und der Entstehung der Massenmedien. Da kann man also nicht von einem after effect sprechen.

    Mit all dem Wissen, das wir um Journalismus und Medien heute haben, sollten wir doch auch die Werkzeuge in der Hand halten, bei den “social media” ganz genau hinzuschauen, wie sich dort die Verhältnisse von Journalismus und PR gestalten.

  16. @Magdalena Taube#19: mir ist gerade noch ein anderer Punkt eingefallen, den ich als eine Art des Lobbyings sehen würde: und zwar die eigene ideologische Einstellung, die besonders in den Sozialen Medien stärker vertreten ist, als in einer Redaktion. Wenn ich gerade die Diskussion über “Die BILD ist keine Zeitung” mitbekomme, dann wird die auch eher unreflektiert im Netz wiedergegeben, einfach weil es die doofe BILD ist.

    In den klassischen Medienhäusern wird diese Individualprägung durch verschiedene andere Akteure ja entschärft.

    Die Energiediskussion ist dabei auch ein sehr stark ideologisches Thema.

  17. @all: Lobbying, Werbung, etc. das wollen wir nicht machen, das wollen im Journalismus, den wir machen und lesen nicht sehen, ich finde es okay, den Feind zu kennen, zu wissen, wo er im Detail steckt, aber wir sollten das Feld der Verschränkung zwischen sozialen Medien und klassischen Medien positiv definieren und fragen: was wollen wir?

    Wir wollen, dass Social Networker, Blogger und klassische Journalisten zusammenarbeiten, d.h. wir wollen, dass diese unterschiedlichen Akteure sich auf einer gemeinsamen Ebene des sich neu erfindenden Journalismus zusammenfinden und gemeinsam Journalismus machen, d.h. wir wollen, dass Social Networker und Blogger anfangen zu denken wie Journalisten (also die Verantwortung in puncto Information, Öffentlichkeit, etc. derselben übernehmen) und dass Journalisten so anfangen zu denken wie Social Networker und Blogger (also die Nähe zu aktuellen kommunikativen Prozessen und technologisch codierten Interaktionen finden).

    Was denkt ihr?

  18. Grenzen überwinden, auch nationale Grenzen gehören dazu, in den USA bekommt man nicht so viel mit von der Außenwelt (The lack of availability in the United States of international news outlets is a cause for concern*) – können soziale Netzwerke dazu beitragen, dass sich diese Situation ändert?

    *http://www.wired.com/beyond_the_beyond/2011/04/i-want-my-al-jazeera/

  19. Energieverbrauch um ein Drittel gesenkt, Kosten um ein Viertel: Das Social Network Facebook hat ein Vorzeige-Rechenzentrum mit besonders effizienten Servern entwickelt. Jetzt hat der Konzern seine Technik veröffentlicht – und als Open-Source-Projekt zum Nachbauen bereitgestellt: Open Compute Project

    http://opencompute.org/

  20. @Krystian#21: also die unterschiedlichen Player lernen voneinander und machen sich gegenseitig stark, das klingt gut. Was aber können die Journalisten noch von den Bloggern und so lernen?

    Markus Beckedahl sagt im stern etwas, ich glaube, man kann das auf diese Diskussion ziemlich gut beziehen:

    “Die sozialen Medien – Facebook, Twitter – haben sich in den letzten Jahren sehr stark weiterentwickelt, was ihre Nutzerfreundlichkeit betrifft, aber auch was die Möglichkeiten der Nutzer anbelangt, Informationen mit anderen zu teilen”, so Markus Beckedahl, Netzaktivist und Betreiber des Blogs Netzpolitik.org. “Gleichzeitig hat sich eine Kulturpraxis der Offenheit entwickelt: Für viele Internetnutzer ist es selbstverständlich, offen zusammenzuarbeiten. Neue politische Player entstehen so und bilden Netzwerke um sich herum.”

    http://www.stern.de/politik/deutschland/guttenberg-ruecktritt-und-das-netz-in-den-faengen-der-digitalen-buerger-1659438.html

  21. @Krystian#21: Verändern kann man Dinge am besten, indem man zusammenarbeitet, das sehe ich auch so und das trifft bestimmt auch auf die neueren Entwicklungen im Journalismus zu.

    Du fragst nun, wie man die “Social Journalists” (so nenn ich das jetzt mal) und die “classical Journalists” zusammenbringen kann.

    Die Idee, dass man es über das Denken macht (die einen sollten so anfangen zu denken wie die anderen und umgekehrt) find ich gut, ist aber vielleicht etwas abstrakt.

    Im Konkreten könnte diese Zusammenarbeit/dieses Zusammenfinden so aussehen, dass die klassischen Medien sich mehr öffnen und die Social Journalists konkret in ihre Arbeit einbeziehen. So wie es bspw. die Berliner Gazette getan hat:

    ( http://berlinergazette.de/7-thesen-zum-erdbeben-in-japan-live-internet-crowdsourcing-und-der-disaster-capitalism-complex/ )

    Ich denke, so eine Öffnung fällt den klassischen Medien sehr schwer, denn die Angst “Land zu verlieren”, ist enorm, auch wenn es das Internet nun schon mehr als 20 Jahre gibt. Das Befremden sitzt sehr tief, wie man neulich auch beim Umgang der HauptstadtjournalistInnen mit Twitter sehen konnte:

    ( http://carta.info/39484/das-unbehagen-der-hauptstadtjournalisten-mit-dem-twitternden-regierungssprecher-das-video/ )

    — hier darf man nicht in ein Bashing der JournalistInnen verfallen, sondern muss für Aufklärung und Information sorgen. Will sagen: auch JournalistInnen brauchen guten Journalismus, der ihnen solche Themen nahe bringt.

    So viel erstmal dazu, es muss für dieses Zusammenfinden aber eigentlich noch mehr Beispiele geben!

  22. hier ist doch mal von katastrophenbusiness im bereich der sozialen medien gesprochen worden, na ja vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden aber ich las neulich etwas zu einem solchen themenschlagwort im guardian:

    Japan disaster to send sales of smartphones falling by up to 5%. Phone companies are likely to struggle to obtain components after quake and tsunami closes vital factories

    http://www.guardian.co.uk/business/2011/apr/11/japan-disaster-hits-smartphone-sales

  23. @Joy vielen Dank für den Link, der ist wirklich interessant.

    @Krystian, in deiner letzten Aussage ist ein kleiner Fehler versteckt, weil ich glaube, dass man anfangen kann wie ein Journalist zu denken, wenn man nicht mehr seine Position oder Medium in den Mittelpunkt stellt, sondern das Thema. Viele Abgrenzungen gehen über “Wo arbeitet er” und als “was”, aber ich glaube nicht mehr dass das wichtig ist – Überprüfbar muss der Inhalt und nicht mehr die Person werden. Wenn ein Insider von Tepco nun bloggen würde, was da wirklich abgeht, dann ist er ein Journalist. Wenn man diese Abgrenzung aufbricht, dann kann man sich an dem Thema abarbeiten.

  24. “Heutzutage fällt es ja auch schwer zu definieren, was ein Blogger eigentlich ist”, sagt der Gründer und Mitorganisator der re:publica. Schließlich gebe es im Internet weitaus mehr Möglichkeiten zu publizieren als Blogs, also Online-Tagebücher mit chronologisch sortieren Einträgen. Und die würden genutzt. “Letztlich haben wir alle die verschiedensten sozialen Präsenzen im Internet.”

    http://www.augsburger-allgemeine.de/digital/re-publica-11-Schwer-zu-sagen-was-heute-ein-Blogger-ist-id14293981.html

  25. @Andi#30: Ich muss dir widersprechen – das THEMA ist auf jeden Fall wichtig, aber keine Informationsverarbeitung, -Aufbereitung, -Vermittlung ist ohne die AKTEURE möglich.

    Eine kritische Auseinandersetzung über neue Formen des Journalismus muss auf der Akteursebene ansetzen (d.h. ja nicht, dass man einen Personenkult betreiben soll), um die neuen Tätigkeitsfelder und Kooperationsmöglichkeiten überhaupt erst beschreibbar zu machen.

    Wenn wir bei den THEMEN ansetzen, sind wir doch ganz schnell bei der Qualitätsdebatte und dann geht es schwupps auch wieder um Grenzen (Journalisten vs. Blogger …) und eben nicht um Grenzüberschreitung.

    Wie siehst du das? (und natürlich die anderen!)

  26. @Magdi, mit dem Vorschlag sich am THEMA abzuarbeiten war ich wohl ein bisschen ungenau – denn ich meinte damit nur, dass die Akteursebene nicht über die Funktion (Journalist, Blogger etc.) bestimmt werden sollte, sondern über den Code: Nachricht / Nicht-Nachricht oder Wahrheit / Nicht-Wahrheit.
    Mit so einer radikalen Loslösung von der Akteursebene würde man sich auch von einer Hierarchie in seiner Informationsaufnahme verabschieden. Denn machen wir uns nichts vor: wir nehmen weiterhin viel lieber die gefilterten Nachrichten von SpiegelOnline auf, als von Cryptome.org.
    Die Akteursebene bringt in das Thema eine Meinungsführerschaft, die leider weiterhin von Journalisten bestimmt wird und manche sich dessen sehr gut bewusst sind und jeden Abend im Fernsehen sehen wir um 20 Uhr, dass in der Welt wieder nur genau so viel passiert ist, wie in 15 Minuten passt.
    Ich finde dass die Betrachtung der Akteursebene mit einer Funktionszuschreibung nichts bringt, weil man damit weiterhin eine klassische Nachrichtenstruktur nur mit neuen Akteuren anerkennt.

    Es wäre doch mal ein krasses Experiment, wenn man eine Information ohne Uhrheber verbreiten würde und dann schauen könnte wie und wo sie aufgenommen wird und dann die Frage stellt, ob die Information oder der Akteur entscheidend war?

  27. @.andi#34: jetzt verstehe ich besser, finde aber, du gehst von einer idealvorstellung von journalismus aus. die ist in der theorie brauchbar, aber in der Realität muss sie angepasst werden.

    Es geht in dem Text (unter anderem) um “social media” — die schließen per Definition die Akteure ein. Von mir aus müssen wir auch nicht von Akteuren sprechen, sondern von “Handlungen”. Aber das sind nur theoretische Gedankengerüste. Ich glaube, wir wollen doch beide dasselbe, nur aus verschiedenen Richtungen.

    Ah, ich würd jetzt gern mehr schreiben, aber die Zeit drängt, muss noch den Luhmann-Text zu Ende lesen :)

  28. @all: wir sprechen von Akteuren und manchmal entsteht dabei der Eindruck, dass es Einzelpersonen sind, die Journalismus betreiben, vielleicht ist das in Zeiten des Internet selbstverständlicher geworden, Zeiten, in denen Figuren wie Julian Assange auftauchen und die Rede von Super Empowered Individual die Runde macht, aber wir vergessen dabei, dass alles immer im Dialog entsteht und das meiste in Zusammenarbeit. Journalismus ist in fast allen eben das: Ein Produkt der Zusammenarbeit. In Zeiten des so genannten Medienwandels wird diese Zusammenarbeit neu definiert. Es geht dabei um Werkzeuge, Anliegen, Prozesse, Hierarchien und somit immer auch um die Akteursebene.

    Wir müssen 1) verstehen, dass hier Veränderungen passieren und 2) versuchen, diese Veränderungen so zu modellieren, dass der Journalismus in Gegenwart und Zukunft seine wichtige Aufgabe erfüllen kann.

    Letzteres ist nicht selbstverständlich. Heute schon sehen wir 1) dass der Journalismus in vielerlei Hinsicht überfordert ist und 2) die Herausforderungen (und hier sprechen wir von Themen, Problemen, etc.) immer größer werden. Und wie soll das bitte sehr bewältigt werden, wenn nicht über neue Formen der Kollaboration?

    Daher: Unsere Debatte beginnt und endet mit der Frage nach der Zusammenarbeit.

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