“Telekommunismus ist machbar”: Facebook, Thomas de Maizière und das Recht auf Internetzugang

Der Aktivist und Forscher Geert Lovink setzt sich seit mehr als 20 Jahren kritisch mit den Entwicklungen des Internets auseinander. Im nachfolgenden Interview bezieht er Stellung zu Facebook, der Netzpolitik von Innenminister Thomas de Maizière und zu der Frage, ob es ein Recht auf Internetzugang geben sollte.

Als Medienaktivist hast du auf die soziale Dimension des Netzes aufmerksam gemacht. Von einer Netzavantgarde ist nicht mehr viel zu sehen. Beim globalen Quit Facebook Day bist du mit ca. 35.000 anderen bei Facebook ausgetreten. Beinahe täglich tauchen partikulare Interessenskonflikte auf, aber die einende Frage „Wem gehört das Netz?“ wird nicht mehr gestellt. Sind wir Nutzer über die Ausfifferenzierung des Netzes zu gemütlich geworden?

Die Definition von Avantgarde ist, dass man eben das macht, was der Rest erst viel später in Betracht ziehen wird. Ich glaube immer noch nicht, dass es mal eine Netzavantgarde gegeben hat. Neue Medienkunst war damals und ist noch immer isoliert. Das gleiche gilt für Aktivismus. Tolerierte Subkulturen. Es ist natürlich die Frage wie wir so eine traurige Lage ändern könnten.

Es geht also nicht um das gemütlich werden anderer, sondern wie und wer aktiv wird. Die Piratenpartei, die Chaos Computer Tage, die Kampagne zur Verteidigung der Netzneutralität? Bestimmt kommen viele zur bundesweiten Demonstration “Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!” in Berlin. Ich möchte hier nur an die Demo von 2009 erinnern, wo viele Zehntausende kamen. Das war ein inspirierendes Beispiel für ganz Europa. Aber klar gibt es manchmal Themen, die technisch und juristisch kompliziert sind und die nicht so einfach zu kommunizieren sind.

Technopolitik ist nun mal komplex, weil die Materie eben so ist. Wir müssen also aufpassen, worüber wir genau reden. Es wäre zu einfach zu sagen, wir müssen alle das Expertentum bekämpfen. Facebook ist da eher ein Symptom. Das, was du erwähnst ist eher mediale Symbolpolitik, auch von meiner Seite. Die Implosion von Facebook wird von selber passieren. Es dauert nur ein wenig.

Worauf führst du deine Hoffnung zurück, dass Facebook implodieren wird? Facebook erkennt wie jeder ökonomische Akteur, dass es sich im Netz nicht in einem rechtsfreien Raum bewegt und reagiert auf Kritik. Freilich nicht aus moralischen Überlegungen heraus, sondern vielmehr aus Imagegründen. Welche Instrumente der Internetpolitik brauchen wir in Bezug auf Datenschutz, jenseits vom symbolträchtigen “naming and shaming”?

Dass Facebook implodieren wird, kann ich nicht beweisen. Dass es derzeit groß ist, weiß jeder. Ich würde mal sagen, dass die persönliche Investition von der großen Mehrzahl der User eher gering ist. Wir sollten solche massenhaften Verhaltensweisen nicht überschätzen und dabei sowieso nicht von der Berichterstattung in den „alten“ Medien ausgehen.

Facebook selbst sagt dazu auch nichts. Es gibt keine Daten, auf die wir uns wirklich verlassen können. Es gibt aber die menschlichen und allzu menschlichen Eigenschaften und Tugenden, die dazu führen, dass wir das ganze Getue in diesem sozialen Netzwerk wieder vergessen. Und nicht mehr reinkommen, weil irgendein Passwort nicht funktioniert, draussen die Sonne scheint, jemand anruft oder es sonst viel attraktivere Websites gibt. Dass Facebook nicht besonders cool ist, sieht man ja schon von weitem.

Innenminister Thomas de Maizière scheint die Bedeutung der Netzpolitik erkannt zu haben und legte vor kurzem seine „14 Thesen zur Netzpolitik“ vor. Auf der Seite e-konsultation wird eingeladen Kritik und Zustimmung zu den Vorschlägen zu äußern. Ist dieser Versuch staatlicher Lenkung von netzpolitischen Entwicklungen mit partizipativen Elementen ein Modell für die Zukunft?

Ich muss zunächst gestehen, wie sehr es mir gefällt, dass Minister überhaupt Thesen schreiben. Zweitens, wiederum aus einer anthropologischen Perspektive betrachtet, sollte ein Minister des Inneren eigentlich nichts mit Netzpolitik zu tun haben. Die Debatte über bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen sollten nicht zu sehr durch ein Ministerium geprägt werden, deren primäre Maxime die der Sicherheit ist. Das war doch früher eher ein Schreckensszenario, wenn der oberste Hüter der inneren Sicherheit Thesen zu verschiedensten Themen, wie Zukunft der Bildung, die Gesundheitsreform oder das Fernsehen formuliert, oder?

Der sogenannte Sicherheitsaspekt des Internets ist doch nur einer von vielen Aspekten. Netzpolitik sollten wir aus dem Gesichtspunkt der Bildung und Infrastruktur verhandeln. Was hier diskutiert wird, geht von der falschen 90er-Jahre-Annahme aus, dass das Internet etwas besonderes sei, das sich außerhalb des Rechtsstaats befinde und quasi als Alien jenseits der Gesellschaft funktioniere. Das stimmt damals wie heute nicht.

Dass der Gutmensch de Maizière große Pläne hat, um Deutschlands IT-Souveränität zu garantieren, ist zwar aus EU-Sicht begrüßenswert. Aber es ist nicht die Polizei, die für mehr Startups sorgen wird. Oder man versteht dies als einen verschlüsselten Vorschlag, wie jenen, in Israel eine richtige Technologieindustrie aufzubauen, die sich letztendlich nur mit Überwachung und Sicherheit befasst.

In besagten Thesen heißt es unter anderem, dass eine „schrankenlose Anonymität“ im Internet nicht geben kann. Eine Forderung, die gerade aus netzaktivistischer Perspektive problematisch ist.

Anonymität im absoluten Sinne hat es im Internet nie gegeben und heute schon gar nicht. Jeder ist anpeilbar. Als Netzaktivisten müssen wir uns dessen bewusst sein. Die Netzidentität ist in letzter Instanz nicht anonym. Das Ganze ist gewissermaßen ein Spiel. Man denke nur an die Diskussionen um das Vermummungsverbot. Wie viele andere auch, glaube ich, dass wir ein Recht darauf haben, anonym zu demonstrieren. Das heißt aber noch nicht, dass man eine Existenz gänzlich ohne Ausweis führt oder ihn grundsätzlich nicht bei sich trägt.

In Berlin gibt es wiederholt den Vorschlag kostenlosen, drahtlosen Internetzugang zu ermöglichen. Gibt es ein Recht auf öffentlich zugängliches Internet?

Ich sehe drahtlosen Internetzugang nicht als Grundrecht, eher als Service oder als Geschenk. Toll, aber nicht notwendig. Ob Zugang zu den Mobilfunknetzen und ADSL Grundrechte sind, ist eine andere Frage. Das wird bestimmt bald so sein. Die Frage ist nur, wie viele sich drahtlosen Internetzugang teilen möchten. Irgendwann ist die Infrastruktur doch abgeschrieben und wir können das kostenfrei miteinander teilen.

Die Idee, der Staat werde das seinen Bürgern umsonst zur Verfügung stellen, ist zu Zeiten eines krisenhaften und neoliberalen Kapitalismus schwer vorstellbar. Da brauchen wir aber die Expertise von Telekommunisten, wie dem Berliner Dmytri Kleiner. Leider bringen da die pauschalen philosophischennn Überlegungen der jüngsten kommunistischen Großväter Negri, Badiou und Zizek wenig. Telekommunismus ist machbar. Wie genau das machbar ist, das müssen wir in der Selbstorganisation herausfinden.

7 Kommentare zu ““Telekommunismus ist machbar”: Facebook, Thomas de Maizière und das Recht auf Internetzugang

  1. Wir sollten nicht zu viel darauf geben, dass Millionen von Menschen facebook nutzen, das klingt arrogant, und wirkt elitär, aber dann der Grund: weil die Menschen nicht so viel Zeit und Energie darauf verwenden. Das ist ein interessanter Punkt.

    Aber gerade die Beiläufigkeit der Nutzung, die fast schon unbewusste Art und Weise, sollte uns zu denken geben. Was wir nebenbei und mit unhinterfragter Selbstverständlichkeit machen, quasi aus Routine und Gewohnheit, das ist häufig die entscheidende Grundlagde für das soziale Miteinander und natürlich: für sozialen Veränderungen!

  2. Sie haben Recht: ein Innenminister sollte nicht mit Internetpoitik betraut sein!

  3. Welcher Minister sollte denn zuständig sein? Bislang war es ja, meines Wissens, dem Wirtschaftsministerium unterstellt. Und auch hier wurden Stimmen laut: das geht nicht, das passt nicht. Zurecht.

  4. Nationalisten nutzen Facebook:

    Im sozialen Netzwerk Facebook gibt es unter den Nutzern aus den mitteleuropäischen Staaten weit mehr Nationalisten als Föderalisten, schreibt Martin Ehl in der Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny: “Wie im wirklichen Leben überwiegt die nationale Identität auch im virtuellen Leben. Die Seite ‘Ich bin Slowake und stolz darauf’ hat 138.942 Anhänger. Die Seite des Internationalen Visegrád-Fonds mit Sitz in Bratislava, der mit einer durchaus interessanten Geldsumme unterschiedliche Projekte in den vier Visegrád-Staaten [Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen] finanziert, hat dagegen nur 110 Sympathisanten. Ich würde aber mal tippen, dass mehr als 138.942 stolze Slowaken bislang von Geldern des Fonds profitiert haben. … Aber auch die deutschen Facebook-Nutzer haben kein Interesse an Mitteleuropa. Auf Deutsch existiert nur eine Seite mit dem Namen ‘Mitteleuropa’. Gegründet hat sie eine italienische Historiker-Gesellschaft aus Venedig. Auch sie hat lediglich 274 Fans.”

    http://www.eurotopics.net/de/archiv/article/ARTICLE73833-Nationalisten-nutzen-Facebook

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