Intellektuellendaemmerung

Zeit fuer einen Gottesdienst. Doch wir befinden uns nicht in der Kirche, sondern im Haus der Berliner Festspiele. Mario Vargas Llosa ist an diesem Sonntag Mittag hier und der Moderator hat nur acht Minuten, um den in Peru geborenen Autor vorzustellen.

Natuerlich viel zu wenig, denn Llosa sei nicht nur der groesste lebende Schriftsteller der >hispanischen Welt<, sondern auch eine unglaublich facettenreiche Persoenlichkeit. So ist das, denke ich: Der Intellektuelle von heute muss das Ziel haben, der Groesste zu werden [nicht ein Meister, sondern der Meister] und eine >facettenreiche Persoenlichkeit<, die an allen Fronten des oeffentlichen Lebens mitmischt. Dialogpartner fuer andere Lichtgestalten der Gegenwart, Augenzeuge und Chronist von Katastrophen, wenn nicht Politiker, so doch politisch Engagierter, der Welt wichtigster Gesinnungspolizist [>die Menschen konsultieren Mario mit allen erdenklichen Fragen<] und natuerlich Schoepfer des Erhabenen. Kurz: Eine Art Uebermensch, auf den die Scheinwerfer der globalen Kulturindustrie gerichtet sind, um einen Heiligenschein entstehen zu lassen. Sie lesen diese Zeilen und fragen sich: Sind die Residuen des Mittelalters in unserer Kultur wirklich so praesent? Ich jedoch frage mich: Wer aus den Reihen der juengeren Generationen kann sich mit einem solchen Vorbild identifizieren? Das ist eine rhetorische Frage. Denn ich weiss: Die wenigsten wuerden sich heutzutage als >Intellektueller< bezeichnen. Das liegt zum einen an dem verstaubten Bild des Intellektuellen. Zum anderen daran, dass der Kulturbetrieb >uns< nicht dazu ermutigt. Ermutigt wurde man auch gestern nicht, man musste schon wollen, und das um jeden Preis. Heute wird man jedoch geradezu entmutigt durch eine Ordnung, die einerseits zusehends pyramidischer und kultischer wird, andererseits das omni-praesente Flacher, Schneller, Billiger auch im Feld der geistigen Produktion einfordert. Im Grunde war das Klima fuer Intellektuelle nie guenstiger, sprich: draengender als heute.

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