In einer anderen Welt

Seid lebendig, sagt der Strassenrand und fragt: Was ist Euch wichtig? Keinen Plan. Aus dem Autoradio knistert Musik. Aus einer anderen Zeit. Mit ganz anderen Wuenschen. Er sieht die Welt durch’s Autofenster, vom Ruecksitz aus, eingequetscht zwischen den Gedanken seiner Nachbarn: Polizisten in ihren Polizisten-Posen, Doener essend, lachend. Die Hitze im Wagen raubt ihm den Verstand: Dreh doch mal die Neubauten auf! Er schunkelt sich in Protestlaune. Die Welt verbessern? Er will seine Haut retten!

Eine andere Welt ist moeglich! Bild: Nova Porta

Warum eigentlich? Sie, die ihn vom Aussen abtrennt, klebt an ihm fest. Wie soll er denn spueren, wenn diese Haut an ihm haftet? Wie soll er hoeren, wenn seine Ohren verklebt sind? Wie soll er handeln, gefangen in sich? Hier ist er, da ist die Welt. Da ist die Welt, hier ist er. Heiner Mueller sagt, er wolle auf der richtigen Seite gestanden haben, wenn mal die grosse Abrechnung komme. Das Richtige machen, nicht das Falsche. Am richtigen Ort sein, zur richtigen Zeit. Am Zaun ruetteln, bis er wach wird. Bei jedem Protest, bei jedem Marsch -­ Sternenmarsch, was fuer ein schoenes Wort.

Er will da sein, wo er seine Stimme hoeren kann. Er will nicht abgestorben sein! Er will lebendig sein! Und da, wo er hin will, will er nur aus einem Grund willkommen sein: Weil er Mensch ist. Und er will mit Menschen sein. Sein Brot teilen und seine Sorgen. Er will kein Konsument sein, kein Bilderfresser. Er moechte anderen in die Augen sehen koennen und Nachts moechte er schlafen koennen. Er will sich die Haut vom Koerper reissen und das Leben reinlassen. Tanzen, singen, Blumen pfluecken am Strassenrand.

4 Kommentare zu “In einer anderen Welt

  1. Ein literarischer Text, wie schön! Vor allem sprachlich äußerst gelungen. Glückwünsche!

  2. War das zu Heiner Müllers Zeiten echt noch so einfach bzw. überhaupt zu eruieren, wo die richtig Seite ist? Ich finde das echt erstaunlich, wie kann man sowas mal eben so sagen, wie lange muss das her sein? Jahrhunderte?

    Den Zaun rütteln und schütteln und aufwecken klingt gut, aber was man dann mit/von dem wachen Zaun wollte, dazu wäre schon wieder viel zu viel zu berücksichtigen. Deshalb bin ich ein Du-mich-auch-Generationist. Und das ist auch gut so:)

  3. Hi Susanne, ich hab nicht mehr ganz genau parat, in welchen Zusammenhang Heiner Müller das gesagt hat. Aber ich habe es glaube ich mal in einem Fernsehinterview mit ihm gehört. Sein Standpunkt ist halt der, dass er es wenigstens versucht hat, gegen den Kapitalismus zu sein… ich finde auch, dass es heute keine Seiten mehr gibt (und vermutlich hat er auch nicht das Worten “Seite” benutzt). Ich denke aber, dass man wenigsten das Gefühl haben sollte, für und zu etwas gestanden zu haben, falls man an der Himmelspforte einen Fragebogen ausfüllen muss. Ich weiß, ich bin wahrscheinlich total naiv und vielleicht einfach nicht “brainwashed” genug, für Du-Mich-Auch Generation… Ich entbrenne mich ja auch nicht an den ganzen Zeitgeist-Themen. Aber wach sein will ich schon, zumindest so wach, um die Glotze noch abschalten zu können!

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.