Immer auf Achse – Japan #4

Der Wintermorgen in Tokio ist sonnig, die Luft verspricht eher Herbst oder Fruehling. Ich schlendere durch die Strassen von Hiroo in Tokio, noch bevor das Tagesgewusel anfaengt, ploetzlich bleibe ich stehen. Ein Hinweis auf dem Buergersteig: No Smoking. Die Buchstaben sind in die Laenge gezogen, wie sonst Tempolimits, damit man sie im Vorbeigehen besser lesen kann. Ein paar Meter weiter erinnert ein Schild nochmals daran, dass man auf der Strasse nicht rauchen darf – unter Androhung einer Geldstrafe. Rauchen ist in Cafes und Restaurants kein Problem. In der Oeffentlichkeit muessen sich Raucher jedoch in die >Smoking Areas< zurueckziehen.

Rauchen, eigentlich ein entspannter und entspannender Vorgang, wird in Tokio zu einer hastigen Angelegenheit. Spaeter am Tag, in der Omotesando, einer Allee, die in den Touristenfuehrern als Champs-Elysees Tokios bezeichnet wird, sehe ich einen jungen Japaner, der sich um das Verbot nicht schert. Laessig zuendet er sich auf einer Bank sitzend eine Kippe an, seine blau gefaerbten Haare haengen ihm dabei ins Gesicht. Er geniesst seine Zigarette – ganz in Ruhe. Ueber ihn gemahnt eine grosse Werbeanzeige jedoch zur Mobilitaet: Ein Outdoor-Ausstatter wirbt mit einer androgynen Figur fuer den Aufbruch in die Wildnis.

Japaner erklaeren mir das Rauchverbot mit der Sorge um Verschmutzung durch Zigarettenkippen. Aber vielleicht gibt es ja noch einen anderen Grund: In Tokio ist der Grundzustand Bewegung. Alle 500 Meter gibt es Getraenkeautomaten [mit warmen und kalten Getraenken] und Convience Stores. Niemand muss tatsaechlich irgendwo einkehren, um sich mit Essen und Getraenken zu versorgen. Einen stetigen Bewegungsfluss wuerden entspannte Raucher, die sich am Strassenrand eine Zigarette genehmigen, vermutlich stoeren. In Tokio verkehren sich die Vorzeichen von Bewegung und Mobilitaet.

Neben Automaten und Supermaerkten sorgen die Stadtmoebel dafuer, dass man staendig in Bewegung bleibt. Oeffentliche Baenke und Sitzgelegenheiten sind rar. Es gibt grosse Eisenringe, die Baeume umschliessen und in einer Zweitfunktion von Fussgaengern als Sitzbaenke genutzt werden. Findet man eine richtige Bank, muss man sich ueber ihre Bauart wundern: Das Holzbrett ist in mehrere Sitzeinheiten unterteilt. So kommt niemand auf die Idee, sich hinzulegen.

Obdachlose fallen in Tokio ganz besonders auf, denn sie bewegen sich einfach nicht. Sie sitzen, stehen oder liegen. In einem Park in Shinjuku gibt es eine kleine Zeltstadt von Obdachlosen. Einige Hemden haengen ordentlich aufgereiht mitten im Park, die Schuhe bleiben vor den Zelteingaengen stehen, ohne Hast bereiten sich zwei Maenner eine Mahlzeit zu.

Den Reisetagebuchschreibenden stellt die staendige Bewegung vor eine besondere Herausforderung: Wann soll man sich eigentlich hinsetzen und etwas aufschreiben? Nicht nur durch den permanenten Bewegungsfluss der Stadt hat man kaum Zeit zum Verweilen, auch durch die Planung der Reise mit Hilfe des Internets bleibt man immer auf Achse. Genaue Karten werden im Vorfeld mit Googlemaps angelegt, Infos zu bestimmten Orten ruft man im Vorbeigehen auf dem iPhone ab. Und wer setzt sich schon noch hin und schreibt Postkarten, wo doch das Updaten des Reiseblogs so viel schneller geht?

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