Im Strom der Migration

Viele meiner Graduierten-Kurse an der Universitaet von Texas werden entweder komplett oder wenigstens teilweise auf Deutsch unterrichtet, und auch die zu lesenden Artikel und Buecher sind auf Deutsch. Zusaetzlich nehme ich am Texas-Deutsch-Dialekt-Projekt teil, fuer das ich Interviews mit Leuten in Zentral-Texas fuehre, die teils in der vierten, fuenften oder sogar schon sechsten Generation Sprecher des Texas-Deutschen sind.

Die Intention hinter dem Projekt ist, so viel Texas-Deutsch wie moeglich zu dokumentieren, damit Linguisten, Anthropologen und die Nachfahren der Texas-Deutschen auch in der Zukunft hoeren koennen, wie dieser Dialekt einst geklungen hat und welche Geschichten uns die Sprecher am Anfang des 21. Jahrhunderts zu erzaehlen hatten. Wie man sieht, handelt es sich bei dem Projekt nicht ausschliesslich um ein linguistisches; auch die soziolinguistischen und kulturellen Dimensionen und Bedeutungen sind nicht zu unterschaetzen. Meine Aufgabe – mal abgesehen vom Finden und Interviewen der Texas-Deutschen – beinhaltet das Digitalisieren, Transkribieren und Uebersetzen der Interviews sowie diese im Internet oeffentlich verfuegbar zu machen.

Im 19. Jahrhundert und bis zum 1. Weltkrieg ist Deutsch eine ziemlich wichtige Sprache in Austin gewesen – besonders im Hinblick auf den Handel, denn die Region im Sueden und Westen Austins wurde damals fast ausschliesslich von Deutschen bewohnt. Es gab mehrere in Austin ansaessige Verlage, die Jahrbuecher und Zeitungen auf Deutsch veroeffentlichten, was sie allerdings nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr taten. Obwohl Austin in Texas im so genannten >German Belt< liegt, wurde es in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt als >deutsche< Stadt angesehen. Austin, das anfaenglich Waterloo hiess, wurde von englischen Haendlern besiedelt. Nachdem es in den 1830er Jahren zu Texas’ Hauptstadt erklaert worden war, wurde es zu Ehren von Stephen F. Austin, dem Vorreiter der angloamerikanischen Besiedelung Texas’, in Austin umbenannt. Deutsche waren eine sehr praegende Einwanderergruppe in den fruehen Tagen Austins; doch auch grosse Gruppen von Englaendern, Schotten, Iren und spaeter Libanesen, Daenen, Schweden, Tschechen und Polen trugen wesentlich zur Stadtentwicklung und zum Charakter der Landeshauptstadt bei. Aus diesem Grund wurde Austin nie wirklich als Teil des >German Belt< betrachtet, auch wenn es direkt auf der Grenze liegt. Heute wird Texas-Deutsch von rund 8.000 bis 10.000 Sprechern fluessig beherrscht und von weiteren, ungefaehr 6.000 Menschen semi-fluessig gesprochen; all diese Sprecher verteilen sich auf 31 laendliche Gegenden in Zentral-Texas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch weit ueber 100.000 aktive Sprecher und in den 1970er Jahren immerhin noch 70.000. Seit dem 2. Weltkrieg wurde Texas-Deutsch nicht mehr an die juengeren Generationen weitergegeben. Viele der verbleibenden Sprecher sind ueber 60 Jahre alt, weswegen der Dialekt voraussichtlich innerhalb der naechsten 30 Jahre aussterben wird. Aktiv wird Texas-Deutsch derzeit noch von aelteren Menschen und Verwandten in Tanzvereinen, Kirchengemeinden und bei bestimmten >deutschen< Veranstaltungen wie dem Wurstfest in New Braunfels gesprochen. Waehrend des 1. Weltkrieges wurden Gesetze erlassen, die als einzige Sprache in der Schule Englisch zuliessen und so verhinderten, dass dort Deutsch gelehrt wurde. Ausserdem sahen es die Menschen hier als unpassend an, Deutsch auf der Strasse zu sprechen. Zudem zogen in dieser Zeit viele englischsprachige Migranten in die Gegend, die ehemals vorrangig von Deutschen bewohnt worden waren, wodurch die englische Sprache das Deutsche als Handelssprache sehr schnell abloeste. Meinen ersten Kontakt mit Deutsch hatte ich durch meinen Vater, der, obwohl er selbst nie fliessend Deutsch sprach, wiederum von seinem Vater auf Deutsch angesprochen wurde bis er 12 Jahre alt war. Die Familie meines Grossvaters kam in den 1870er und 1880er Jahren aus Bonnfeld in der Nähe von Heilbronn, Baden-Wuerttemberg, nach Texas. Grossmutters Familie bestand aus einer gemischten Ehe, wobei der Vater aus Brandenburg und die Mutter wahrscheinlich aus Polen stammte. Sie liessen sich in New Berlin, einer polnischen Gemeinde in Texas nieder. Waehrend des 1. Weltkrieges hoerte Opa ganz auf Deutsch zu reden und begann Polnisch zu lernen, wodurch meine Grossmutter ausschliesslich in Polnisch grossgezogen wurde. Daraus resultierend war Englisch die Sprache, in der mein Vater und seine Geschwister heranwuchsen. Weil er aber der Juengste war und meinen Grossvater des oefteren zur Farm und in die Kneipe begleitete, sprachen mein Grossvater und seine Freunde auch Deutsch mit meinem Vater. Von meinem Vater lernte ich so einfache Sachen wie >Finger vont!<, was so viel wie >Finger weg davon!< bedeutet. Ausserdem brachte er mir ein paar Lieder und Redewendungen sowie einige texas-deutsche Begriffe fuer Pflanzen und Voegel bei. Auf der High-School in New Braunfels - urspruenglich die deutscheste unter allen deutschen Gemeinden in Texas - begann ich Deutsch zu lernen und war erstaunt zu erfahren, dass Woerter wie >schmauchen< fuer >rauchen< als falsch und schlechtes Deutsch angesehen wurden. So richtig lernte ich die deutsche Sprache aber erst mit 17 und 18 Jahren als ich Austauschschueler in Wien war. Der Kontakt mit dem Wienerischen liess mich verstehen, dass Dialekte nicht >falsch< sondern einfach anders sind. Zudem kann man die Einstellungen von bestimmten Leuten gegenueber der Korrektheit des Texas-Deutschen oder des Oesterreichischen aus linguistischer Sicht als absurd bezeichnen. Und eigentlich nicht nur aus linguistischer Perspektive. Viele der Leute, die ich interviewte, haben oft die Situation der Mexikaner in Texas und deren Abneigung und die Unfaehigkeit, Englisch zu sprechen, erwaehnt - anfangs oft mit einem sehr negativen Unterton. Die Texas-Deutschen finden den Widerstand der Mexikaner, Englisch zu reden, befremdlich und scheinen dabei auch ein bisschen neidisch zu sein, dass sich den Mexikanern die Moeglichkeit bietet, Widerstand zu leisten. [Die groessere Debatte wurde kuerzlich von den amerikanischen Medien auf die Spitze getrieben, was aber eine andere Geschichte ist]. Waehrend die Texas-Deutschen noch immer Groll ueber den Umstand hegen, dass sie ihre Sprache aufgeben mussten, obwohl eine andere Gruppe die ihrige behalten konnte, kommen doch alle zu einem Schluss: Es sei eine wunderbare Sache, dass den Mexikanern ermoeglicht werde, ihre Muttersprache beizubehalten und dass die Gesellschaft sowie das Schulsystem nun willentlich seien, dies zu unterstuetzen. Dennoch: Zu ihrem eigenen Wohl sollten sie doch auch Englisch lernen, so die meisten Texas-Deutschen ueber die Mexikaner. Heutzutage existieren mehr als 3.000 Sprachen und Dialekte [auch Texas-Deutsch zaehlt dazu], die ernsthaft davon bedroht sind, im 21. Jahrhundert ausgeloescht oder einfach verschluckt zu werden. Deutsch aber gehoert nicht dazu, wenn man die enorme Zahl der Sprecher [~ 100 Millionen] und den Zugang zu Informationen und Bildung in deutschsprachigen Laendern betrachtet. Und auch wenn es nicht mehr ganz so viele sind wie frueher, so wollen doch noch immer jede Menge Amerikaner, Osteuropaeer und Suedamerikaner Deutsch lernen. Deshalb wuerde ich sagen, die Angst, das Englische koennte sich eines Tages das Deutsche einverleiben, scheint unberechtigt und wird nie Realitaet werden. Schon naechste Woche koennte Chinesisch oder irgendetwas anderes die dominante Sprache der Welt sein. Wer weiss das jetzt schon? So lange es Menschen gibt [leider meine ich damit nur Sprecher von grossen und maechtigen Sprachen in grossen und maechtigen Laendern], die sich um ihre Kultur- und Bildungseinrichtungen kuemmern und ihre Muttersprache an ihre Kinder weitergeben, muss man sich keine Sorgen machen.

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