Im Sandkasten der Demokratie: Die tragenden Stützen eines Systems mit Zukunft

Weltweiter politischer Massenprotest. Eine Krise unter Regierungsvertretern. Und Piratenparteien, die politische Systeme aufmischen. Im Sandkasten der Demokratie tut sich etwas. Im dritten und letzten Teil seines Essays umkreist der Philosoph und Medienaktivist Tomislav Medak die tragenden Stützen einer echten Demokratie und bewertet die neuen Bewegungen.

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Welche Möglichkeiten haben wir, um die Demokratie zu erreichen und zurückzusetzen? Die jüngste Welle von Protesten hat eine Reihe von neuen Formen politischer Organisation hervorgebracht, die in sich selbst einen konstitutiven demokratischen Anspruch haben. Sie sind nicht nur ein Protest oder eine Forderung nach einer anderen Demokratie, denn genau das sind sie bereits von allein.

Diese Proteste haben auch eine gemeinsame Form des Lebens und beschäftigen sich mit unserem zukünftigen Zusammenleben. Zwar können sie in vielen Fällen ihre Forderungen nicht artikulieren oder sie variieren in ihrem normativen Anspruch. Doch in ihren besten Momenten waren und sind die Proteste ein autonomer politischer Prozess, der effektiv ist. Obwohl er vielleicht nur vorübergehend eine Wandlung der bestehenden politischen Verhältnisse bewirkt.

Die Protestler polarisieren die größeren politischen Sphären und demonstrieren sogar in ihren eigenen Reihen, welche politischen Optionen brauchbar und welche nicht brauchbar sind, um die Blockade zu durchbrechen. Sie bieten Lösungen für das Problem der Entkopplung des Wirtschaftlichen vom Politischen und des Politischen vom Sozialen.

Generalversammlungen, die Besetzung öffentlichen Raums, Kämpfe um Gemeingüter und Praktiken gegenseitiger Unterstützung bei Essen, Unterkunft, Kultur und Wissen unter den Bürgern – all diese Aktionen stehen den Erscheinungen des aktuellen politischen Systems sehr kritisch gegenüber und zeigen außerdem in ihren normativen Statements, wie die tragenden Stützen der Demokratie aussehen werden.

Die drei Stützen der Demokratie

Wenn ich die tragenden Stützen herunterbrechen müsste, würde ich sie in drei Kategorien einordnen:

I. Dekommodifizierung und Resozialisierung der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts, unabhängig vom Kapital:
– Rekommunalisierung öffentlicher Dienstleistungen
– Kollektivierung der Pflege in den Städten
– Autonome Peer-to-Peer-Infrastrukturen
– Bürgerbeteiligungshaushalt

II. Wirtschaftsdemokratie:
– Teilhabe der Arbeiter an der Kontrolle der Produktion
– Reform der Steuerpolitik und Umverteilung des Reichtums
– Entproletarisierung durch garantierte Einkommen
– Resozialisierung der Produktion durch groß angelegte, öffentliche Planung und öffentliche Projekte

III. Redemokratisierung der Repräsentation:
– Wiedereinbindung von kompetenten und partizipativen Beratungsprozessen
– Desintegration der internationalen Verbände oder die demokratische Wiedereingliederung von Verbänden

Die aktuelle Periode von Protesten fällt eindeutig in die Zeit der schweren ökonomischen Rezession der meisten hochentwickelten Ökonomien auf der Welt. Und es ist diese ökonomische Krise, die die Krise der politischen Vertreter ausgelöst hat. Diese doppelte Krise zeigt sich in zweierlei Symptomen: in den Straßenprotesten überall auf der Welt und in den Wahlerfolgen der basisdemokratischen politischen Initiativen wie der Piratenparteien.

Ein „Nein“ zu den politischen Vertretungen oder die Öffnung der bestehenden Repräsentanten gegenüber den unprofessionellen, unsicheren und unkundigen Mitgliedern der Gesellschaft, die einer Partei angehören, die nichts als eine politische Basis und dementsprechend keine professionelle Struktur hat – das sind nur zwei Absagen an das bestehende politische System. Das ist auch ein „Nein“ zu den politischen Vertretungen, die sich auf Parteien im Parlament und die ausschließliche Teilnahme an Wahlen gründet.

Versammlungen, Zeltlager mit ihrer eigenen Organisation des Alltags und der sozialen Betreuung, chaotische Versammlungen von Internetanhängern in der Piratenpartei, Hacktivisten und Aktivisten der alten Schule – das alles sind Versuche der Neudefinition von politischer Repräsentationen und ihrer Verwurzelung in den sozialen Prozessen. Ob sie in der Lage sind, weiterzumachen oder ob sie nur ein vorübergehendes Phänomen sind – letztlich sollten sie einfach als soziale Experimente und zaghafte Versuche der Schaffung von Bausteinen für eine neue Demokratie verstanden werden.

Anm.d.Red.: Der Beitrag, dessen erster Teil hier erschien und dessen zweiter Teil hier erschien, entstand im Rahmen der Berliner Gazette-Konferenz Digital Backyards. Die Fotos stammen von Henry Lydecker und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

2 Kommentare zu “Im Sandkasten der Demokratie: Die tragenden Stützen eines Systems mit Zukunft

  1. New democracies signs are present throughout Europe the problem is change is a pleasure to find that by the time I found I agree with the analysis in Italy trà little will evaluate the ability of the people to vote and to take an interest in politics the real problem is the political disinterest ……

  2. Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Legitimationskette, Volkssouveränität und die Wasserkopfbildung durch Machtbesitz
    Beim Aufbau unserer Gesellschaftsordnung wurden offenbar das Hörigkeits- und Unterjochungsverhalten, vgl. z.B. http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/experiment/experiment_beispiel.html sowie die Gruppenaggressivität (vgl. z.B. http://users.auth.gr/gtsiakal/AcrobatArxeia/Tsiakalos_Xenophobie.pdf ) übersehen.
    Das Ergebnis ist z.B. die Richterwillkür (vgl. z.B. http://www.gustl-for-help.de/ sowie http://unschuldige.homepage.t-online.de/ ).
    Die alte Philosophie des John Locke ( http://de.wikipedia.org/wiki/John_Locke , http://www.gewaltenteilung.de/haeuser2.htm ) wurde mit der Legitimationskette teilweise berücksichtigt.
    Unsere Regierungen übersehen dabei, dass sie nach Locke die Naturrechte Leben, Freiheit und Eigentum zu beschützen haben und ein Widerstandsrecht der Untertanen besteht, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind.

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