Im Niemandsland

Zur Zeit bereite ich eine Reise nach Tschetschenien vor, in ein Land, in dem seit Jahren ein Voelkermord stattfindet, und die Weltoeffentlichkeit schaut weg. Meine eigene Stiftung >Zusammen-Leben< in Duisburg ist zum Selbstlaeufer geworden. Wir erproben dort im Kleinen Modellprojekte, die das Zusammenleben von Immigranten und Deutschen foerdern. Ausserdem werden Asylbewerber beraten und betreut.

Bei meinen Recherchen stosse ich mit meinen Methoden immer wieder an Grenzen. Ich richte mich nicht in vorherrschende Normen ein, orientiere mich vielmehr an einer anzustrebenden, aber zum Glueck niemals zu erreichenden gesellschaftlichen Utopie. Deswegen mag ich manchen, die sich zu allen Zeiten in allen Gesellschaften mit den jeweiligen Maechten opportunistisch arrangieren, suspekt erscheinen. Folglich sitze ich haeufig zwischen allen Stuehlen. Eine Position, die manchmal unbequem ist, da man nicht gestuetzt wird und sich nicht anlehnen kann, aber sie soll gut fuer das Rueckgrat sein.

Viele Spielraeume in der Gesellschaft sind erweitert worden, zum Beispiel was die Geschlechterrollen betrifft. Was heute akzeptiert wird, wurde langeZeit verfolgt und veraechtlich gemacht. Auch bei den Rechten von Kindern hat sich einiges getan. Es gibt in vielem aber immer noch eine repressive, soft-autoritaere Grundhaltung zu bemerken, die nur vordergruendig durch die Spass- und Entertainment-Gesellschaft uebertuencht wird. Dadurch, dass ich in den letzten zwei Jahren in 65 Schulen Veranstaltungen machte, bekomme ich mit, dass es wieder einen Trend gibt, bei dem eine Sensibilitaet fuer soziale Themen zu spueren ist, denn es gibt in grossem Ausmass neue Verhaertungen, neues soziales Unrecht.

Ein Beispiel ist ein erschreckendes Ausmass an Mobbing in unserer eskalierenden Ellenbogengesellschaft, in der man sich verbiegen muss, um seinen Arbeitsplatz zu behalten. Soziale Grenzen entstehen heute auch vermehrt durch Ausgrenzung, aufgrund von Herkunft: das >nicht dazugehoeren< und das >anders aussehen<. Man wird sofort in bestimmte Klischees gesteckt, was ja bereits bei Kindern in den Schulen zu beobachten ist. Obwohl ich als Kriegsdienstverweigerer und Antimilitarist Uniformen an sich ablehne, faende ich es ueberlegenswert, eine einheitliche Schulkleidung einzufuehren, meinetwegen von einem unkonventionellen franzoesischen oder italienischen Modeschoepfer entworfen. Es gibt immer mehr Geheim- und Sonderwelten, geschlossene Gesellschaften und elitaere Insidergruppen, die unter sich bleiben, wo eine offene und oeffentliche Gesellschaft keinen Einfluss mehr hat. Und Oeffentlichkeit ist ja bekanntlich der Sauerstoff der Demokratie. Mir selbst sind in dieser Hinsicht ein wenig die Haende gebunden. In den vergangenen Jahren war ich dem Rollstuhl nahe, aufgrund einer Knochenerkrankung, die auf meine Ali-Rollen in den 1980er Jahren zurueckzufuehren ist. Jetzt geht es mir nach einer erfolgreichen OP wieder besser und ich hatte auch schon zweimal den Versuch gestartet, mich in Berlin auf Grossbaustellen als illegaler Arbeiter zu bewerben, um die an Sklavenarbeit erinnernden Zustaende zu erforschen. Ich bin jedoch an meinem Alter gescheitert. Selbst mein Maskenbildner, der mich 10 Jahre juenger hinkriegt, hatte nichts genuetzt. Deutschland ist immer noch ein gefuehlskaltes und ungastliches Land und kinderfeindlich dazu. Wir leben in einem Einwanderungsland. Nur muessen wir uns das bewusst machen und auch Anreize schaffen fuer die Immigranten. Die ganze Debatte zur Einwanderungspolitik, die zur Zeit ablaeuft, ist defensiv und erbaermlich. Speziell, was jetzt politisch auch auf den Ruecken von Immigranten diskutiert wird, von konservativen Kraeften einer Gesellschaft, die zum Aussterben verurteilt ist. Das ist ein EU-Problem und da muessen gemeinsame Konzepte her. Ich bin viel in anderen Laendern unterwegs, und mir ist aufgefallen, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen Kulturen keine Lebensart haben. Sie verstehen nicht zu feiern, sind in vielem verschlossener, wenig hilfsbereit, oft verhaltensgestoert. Man sieht es besonders an den Gesichtern, es gibt nur noch sehr wenig aufgeschlossene, offene und von Freundlichkeit gepraegte. Dafuer herrscht in anderen Laendern grosse Armut, doch sieht man dort auf den Gesichtern viel haeufiger Zuwendung, Kommunikationsfaehigkeit und auch Lebensfreude. Bei uns ist das abhanden gekommen. An die Stelle ist etwas Verkrampftes getreten. Da koennen wir von anderen Kulturen lernen.

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