Im globalen Sprachkarussel

Wir sind vor zwei Jahren nach Manila gezogen, weil meine Frau eine DAAD-Lektorenstelle an der University of the Philippines bekommen hatte. Inzwischen bin ich selbst Prof fuer Medienwissenschaften an der dortigen Uni. Deutsch benutzte ich in diesem Job eigentlich gar nicht, ich spreche es nur zuhause in der Familie. Wenn ich gelegentlich fuer deutsche Zeitungen und Zeitschriften etwas verfasse, funktioniert das deshalb noch ohne sprachliche Probleme.

Es gibt in Manila sehr wenige deutsche Expats und Touristen. In Staedten wie Shanghai oder Bangkok ist das ganz anders, da gibt es unter anderem sogar eigene deutschsprachige Zeitschriften. Touristen, die aus Deutschland nach Suedostasien wollen, fahren wohl eher nach Thailand. Hierher kommen ueberwiegend Australier und Koreaner, aber die halten sich nicht lange im Moloch Manila auf, sondern fahren an den Strand. Die deutschen Firmen, die hier frueher Niederlassungen hatten, haben inzwischen aus Kostengruenden auf lokales Personal umgestellt. Dass ich mal zufaellig auf der Strasse Deutsch gehoert habe, ist mir, glaube ich, noch nie passiert.

An der Uni ist das anders. Da treffe ich ab und zu jemanden, der Deutsch als Fremdsprache gelernt hat. Die Intellektuellen und Kuenstler sind sehr weltlaeufig und wenn sie noch nicht in Deutschland waren, kennen sie sich trotzdem meist ganz gut beispielsweise mit deutscher Kunst aus. Aber die Mehrheit der Filipinos denkt bei Deutschland wahrscheinlich an den Holocaust, Mercedes, Michael Schumacher und an die letzte Fussball-Weltmeisterschaft – so wie der Rest der Welt.

Deutsch als Sprache interessiert die meisten Filipinos nur in dem Mass, in dem es ihnen erlaubt, ins Ausland zu gehen oder hierzulande eine gutbezahlte Stelle zu bekommen. Die Studenten von meiner Frau haben alle gute Jobs bekommen – zum Teil in Call Centern, wo sie jetzt Stellen haben, die vorher Deutsche hatten. Eine ehemalige Studentin macht zum Beispiel die Reisekostenabrechnung fuer IBM. Ihre Vorgaenger haben sie in Berlin noch eingearbeitet, bevor sie entlassen wurden…

Deutsche Neologismen gibt es hier eigentlich nicht, weil hier wie gesagt einfach zu wenig Deutsche sind, als das sich sowas entwickeln koennte. Eher schleichen sich Ausdruecke aus der philippinischen Lingua Franca Tagalog in unser Deutsch ein, zum Beispiel >kuja< [aelterer Bruder] und >ate< [aeltere Schwester], weil diese Worte als Anrede eine wichtige Rolle spielen. Wie in anderen asiatischen Laendern auch werden solche Begriffe aus der Familie gerne im weiteren sozialen Umfeld verwendet. Bei uns im Department spreche ich zum Beispiel die Sekretaerin mit >ate< an. In meinem Beruf ist meine Muttersprache allerdings zweitrangig; an der Uni muss ich auf Englisch unterrichten und schreiben. Wie die meisten Leute in Deutschland habe ich Englisch und spaeter auch Latein im Gymnasium gelernt. Latein habe ich als laestige Pflicht betrachtet, Englisch hatte den Vorteil, dass man mit der Sprache etwas anfangen konnte, zum Beispiel die Texte der Lieblingsmusik verstehen. Mit etwa 14 habe ich angefangen, englische Musikzeitschriften zu lesen und den Radio-DJ John Peel auf BFBS zu hoeren. Dadurch habe ich recht frueh recht gut Englisch gelernt, ohne dass das allerdings grossen Einfluss auf meine Muttersprache gehabt haette. Erst als ich ein Jahr in den USA studiert habe und dort fast gar keinen Kontakt mehr mit anderen Deutschen hatte, habe ich das erste Mal die Erfahrung gemacht, dass mir die eigene Sprache entgleitet. Als ich zurueck nach Deutschland kam, hatte ich in den ersten Wochen wirklich sprachliche Probleme, weil mir manche Worte nicht mehr eingefallen sind. Und fuer einige der idiomatischen Ausdruecke aus dem Englischen gab es kein deutsches Aequivalent, beispielsweise fuer >guilty pleasures<. Heute ist der groesste Teil der Fachliteratur, die ich lese, auf Englisch und seit wir auf den Philippinen wohnen, ist auch der groesste Teil meiner Alltagskommunikation auf Englisch. Darum schleichen sich immer wieder englische Ausdruecke in mein Deutsch ein. Inzwischen ist allerdings auch die deutsche Sprache mit englischen Termini und - was ich interessanter finde - auch mit englischen idiomatischen Ausdruecken und grammatischen Strukturen durchsetzt. Zumindest die duemmsten von ihnen versuche ich zu vermeiden, wie etwa >der Punkt ist< oder >das macht keinen Sinn<. In Manila wird eine Variante von Tagalog gesprochen, die so heftig mit englischen Lehnwoertern durchsetzt ist, dass man sie als >Taglish< bezeichnet. Das traditionelle Tagalog hat viele Begriffe aus dem Spanisch uebernommen und dank dieser Mischung verstehe ich aufgrund meiner Lateinkenntnisse meistens irgendwie, wovon gerade die Rede ist. Insgesamt gibt es auf den Philippinen etwa 70 verschiedene Sprachen und Dialekte und alle werden von irgendjemandem in Manila gesprochen. Ausserdem gibt es relativ viele chinesische Immigranten - in Chinatown verstehen viele Leute wirklich nur die chinesischen Sprachen Fukien oder Hokkien. Ansonsten kommt man mit Englisch immer irgendwie durch. Was die Kunsthistorikerin Nina Moentmann meint, wenn sie schreibt, dass >im Lernprozess das Monopol der eigenen Muttersprache in einer Vielsprachigkeit aufgeweicht wird<, trifft wohl zu, wenn man in sehr jungen Jahren mit Vielsprachigkeit konfrontiert ist, wie zum Beispiel die Kinder hier auf den Philippinen, die mit mindestens zwei, oft sogar mit drei Sprachen aufwachsen, die mehr oder weniger gleichberechtigt gesprochen werden. Oder wie unsere dreijaehrige Tochter, die hier fast nur Englisch spricht. In unserem Sommerurlaub in Deutschland ist sie waehrend der sechs Wochen total auf Deutsch umgeschwenkt und muss nun die desorientierende Erfahrung machen, dass die Kinder hier nicht mehr mit ihr spielen wollen, weil sie sie nicht verstehen. Ob sie diese Art von Aufgehen in der Vielsprachigkeit als >bereichernd< empfindet, weiss ich nicht; mir kommt sie eher etwas verwirrt vor.

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