Im Dschungel

>Einen wunderschoenen Tag. Ich bin Rainer Rensch und verkaufe die Motz.< Ich senke den Blick. Meine Uhr sagt, dass es jetzt zwei ist. >Seit fuenf Jahren lebe ich auf der Strasse und wuerde mich freuen, wenn der ein oder andere mir vielleicht ein Exemplar abkaufen wuerde.<

Interessiert lese ich unbeirrt die Boersenberichte im FAZ – Probeabo des Studenten neben mir. >Das Exemplar kostet ein Euro, wobei die eine Haelfte an den Verkaeufer und die andere an wohltaetige Einrichtungen wie Suppenkuechen, Schlafstuben und Aufwaermcafes geht.< Eine Oma nestelt an ihrer Nachkriegsjacke. >Auch fuer eine Spende von ein paar Cent oder Naturalien waere ich sehr dankbar.< Beflissen verdraenge ich den Gedanken an mein Ruccola-Parmesan Tramezini aus dem Einstein, das ich in meiner Tasche habe. Von Ostkreuz bis Zoo kommen neben Rainer mit der Motz auch noch Seppel und Mirco mit Stuetze und Strassenfeger durch die S-Bahn geschlurft. Alle wollen sie mein Geld. Am Bahnhof Zoo haelt mir Ivana aus Bosnien ihr schlafendes, dreckiges Baby und Abdul aus Kabul seinen Beinstumpf entgegen und streckt fordernd die Hand aus. Ich schaue ihnen nicht in die Augen und gehe kopfschuettelnd weiter. Sechs Stunden spaeter sitze ich in einem Cafe, schluerfe meinen dritten Martini und rauche Lucky filterlos. Das habe ich mir nach diesem anstrengenden Tag verdient. Es ist 22 Uhr. Die Tuer geht auf, und ein Mann kommt herein. Er geht von Tisch zu Tisch und laesst ueberall Kaertchen mit kitschigen Ansteckern liegen. >Ich bin Jali aus Bali, taubstumm und obdachlos. Bitte helfen Sie mir mit die Kauf eines Ansteckers [zwei Euro]. Haben sie eine Gute Tag.< Als er mit leidender Miene und forderndem Kinn erneut zu mir kommt, wende ich angewidert den Kopf zur Seite. Schon wieder will einer mein Geld. Kurz darauf betritt eine Gruppe mexikanischer Strohhuete das Cafe und beginnt ohrenbetaeubend mit ihren Gitarren zu laermen. Mir reicht’s. Ich rufe die Kellnerin und frage nach der Rechnung. >Das macht dann 40 Euro bitte<, sagt sie. Ich zuecke mein Portemonnaie und lege meine AMEX auf den Tisch. >Tut mir leid, wir nehmen keine Kreditkarten.<, meint die Bedienung und zuckt mit den Schultern: >Tut mir echt leid.< Entnervt suche ich nach ein paar Scheinen. Ich lege ihr zwei Zwanziger hin. Sie wartet. Sie wartet penetrant. Sie will Trinkgeld. Doch da kann sie jetzt lange warten. Von mir kriegt sie nichts. >Sorry, hab kein Kleingeld.< Ich stehe auf, nehme mein Jacket und lasse sie stehen. Ich bin muede und ueberlege, ob ich mir ein Taxi nehmen soll. Da kommt ploetzlich ein Mann im dunklen Anzug aus der Nebenstrasse gehetzt. Er erinnert mich an meinen Freund Hary aus Muenchen. Hektisch fummelt er an seinem Handy herum und flucht >Shit!< Er reisst seine Brieftasche heraus und schuettelt den Muenzinhalt in seine Hand. Verzweifelt blickt er auf und kommt auf mich zu: >Entschuldigen sie, haben sie vielleicht etwas Kleingeld fuer mich? Ich muss dringend telefonieren. Ein wichtiges Geschaeftsgespraech…. Mein Akku ist leer und ich habe kein deutsches Geld im Portmonee. Bin gerade aus den Staaten zurueck<, setzt er hinzu. Der arme Teufel tut mir leid. >Das ist mir wirklich unangenehm so zu betteln<, murmelt er beschaemt. >Ach, so was kann doch jedem mal passieren<, sage ich grosszuegig, oeffne mein Portmonee und gebe ihm ein Zwei-Euro-Stueck. Reicht das? >Ja, natuerlich. Haben sie vielen Dank<, erwidert er und eilt zum naechsten Telefon. Ich atme tief durch und nehme mit dem Gefuehl, ein guter Mensch zu sein ein Taxi nach Hause.

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