Betrunken im Schatten: Der Fall Helmut Roewers und die Mechanismen des Staatsapparats in Deutschland

Seit der Entdeckung der NSU-Terrorzelle ist Rechtsextremismus in Deutschland wieder im öffentlichen Bewusstsein. Dabei wird die Transparenz des politischen Systems in Frage gestellt. Eine zentrale Projektionsfläche für diese Diskussion ist Helmut Roewer, langjähriger Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Journalistin Fanny Steyer kommentiert. Update: 2.5.

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In einer Woche wird in München der NSU-Prozess anfangen. Beate Zschäpe muss sich dort wegen Mittäterschaft bei den zehn Morden der rechtsextremistischen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verantworten. Für den Prozess konnte lange Zeit kein Vertreter türkischer Medien eine feste Akkreditierung erhalten. Seitdem steht das Oberlandesgericht München in der Kritik, die selbst nach Inklusion besagter Medienvertreter nicht abreißt – jüngst befeuert durch das Verlosungsverfahren der Presseplätze. Nebenbei wird noch die Frage des NPD-Verbots debattiert; die FDP lehnt es ab. Gleichzeitig bereitet das Land Thüringen erstmals das Verbot eines rechtsextremistischen Vereins vor.

Die Zivilgesellschaft thematisiert Rechtsextremismus sobald es einen Anlass dafür gibt. Im Rahmen der NSU-Affäre wurde über Helmut Roewer, Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz von 1994 bis 2000, besonders viel berichtet.

Ende 2010 hat er die Autobiografie Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutzchef im Osten Deutschlands veröffentlicht. Ende Februar wurde er vom NSU-Untersuchungsausschuss befragt. Dort lehnte er den Vorwurf ab, er habe das Jenaer Trio nicht rechtzeitig entdeckt. Jetzt ist das öffentliche Interesse an seiner Person deutlich gesunken. Aber er sollte nicht in Vergessenheit geraten.

„Ich war außerdem betrunken“

Helmut Roewer hat eine Ausbildung zum Offizier der Panzertruppe der Bundeswehr gemacht. Danach hat er Jura studiert und promoviert. Er war Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesministeriums des Innern in Bonn und Berlin. Später wurde er Präsident vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz.

In seiner Autobiografie beschreibt er die merkwürdige Weise, auf die er ernannt wurde: „Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte mir eine unbekannte Person eine Ernennungsurkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.“

Seine Persönlichkeit ist, wie vieles an Helmut Roewer, widersprüchlich. In seinem Buch stellt er sich als Retter des Amtes dar, als einer, der dieses komplett neu aufgebaut hatte: „Es waren 50 Leute im Landesamt für Verfassungsschutz, von den 50 hatte keiner eine richtige Ausbildung. Meine Vorgesetzten waren der Meinung, ich sollte das machen. Sie haben mich exzellent beurteilt.“

In den Zeugnissen seiner Kollegen erscheint er aber als weniger seriös. Karl Friedrich Schrader, einst Referatsleiter in der Abteilung für Rechtsextremismus, erzählt zum Beispiel: „Einmal kam ich in Roewers Dienstzimmer, da standen drei Tische aneinander, mit Kerzen, Käse, Wein und sechs bis sieben Damen drumherum. Man wusste gar nicht, mit welcher er zuerst zu Gange ist. Ich sollte ihm in deren Anwesenheit geheime Dinge erzählen.“

„Ich habe den Rechtsextremismus mit voller Kraft bekämpft“

Nicht nur sein Verhalten im Amt ist bedenklich. Ebenso ist seine politische Orientierung unklar und voller Widersprüche, was natürlich Konsequenzen für die Ausübung des Amtes hatte. Er sieht sich als links, veröffentlicht aber Bücher bei dem ARES Verlag.

Dieser Verlag gilt als rechtsextrem, und hat unter anderem Werke herausgegeben von Alain de Benoist (Philosoph, Vordenker der „Neuen Rechten“), Martin Graf (Abgeordneter der rechtspopulistischen FPÖ), Rudolf von Ribbentrop (Sohn des NSDAP-Reichsministers Joachim von Ribbentrop und ehemaliger Offizier der Waffen-SS) und von John Philippe Rushton (Psychologe, bekannt für Untersuchungen von Zusammenhängen zwischen Eigenschaften wie Intelligenz und Rassen).

Während Roewers Amtszeit wurde im Jahre 2000 ein Film für den Schulunterricht Jugendlicher Extremismus in der Mitte Deutschlands von der Behörde produziert. Darin werden linke Autonome als gewaltbereit charakterisiert, während Aufmärsche rechter Kameradschaften ohne entsprechende Kommentare im Film gezeigt werden. Darüber hinaus ließ er ohne triftigen Grund ein umfangreiches Dossier über Bodo Ramelow, den linken Oppositionsführer, anlegen.

Trotzdem beharrt Helmut Roewer heute darauf, er habe den Rechtsextremismus mit voller Kraft bekämpft. Während seiner Amtszeit wurden diverse V-Männer in der rechtsradikalen Szene Thüringens angeworben. Dazu gehörte Tino Brandt, damals Anführer des Thüringer Heimatschutzes und im Landesvorstand der NPD, der zwischen 1994 und 2001 etwa 200.000 DM für seine Arbeit bekam, über die Brandt sagt, dass er damit den Aufbau des Thüringer Heimatschutzes finanziert hat. Ob diese Summe für die von Brandt gelieferten Informationen gerechtfertigt war, sei dahin gestellt.

Als man im Verfassungsschutz registrierte, dass Tino Brandt eigene Wege ging, habe man die Zusammenarbeit beendet – so Helmut Roewer: „Der Brandt ist abgeschaltet worden durch mich, während meiner Dienstzeit. Rigoros und konsequent.“ Nach Angaben Tino Brandts bestand der Kontakt jedoch länger. Drei Angehörige der Szene, die Brandt sorgfältig aufgebaut hatte, tauchten 1998 in den Untergrund ab: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Die anderen sind schuld

Hier liegt auch der Kern des Problems, das während Roewers Amtszeit entstand: die Nazi-Terrorzelle. Roewer verstrickt sich bei seinen leichtsinnigen Rechtfertigungen in viele Widersprüche – frei nach dem Motto: Die anderen sind schuld. Er lehnt den Vorwurf ab, dafür mitverantwortlich zu sein, dass die Nazi-Terrorzelle aus Jena/Zwickau überhaupt entstehen und später morden konnte. Er habe 1997 der Polizei den Hinweis aus der rechtsextremen Szene, dass das Trio aktiv war, weitergeleitet.

Folglich sei er aber „mit anderen Problemen völlig zugeschüttet“ gewesen, und habe sich nicht mehr darum gekümmert, bis er Anfang 1998 erfuhr, dass der Polizeieingriff gescheitert war. Eigentlich sei das „Einfangen dieser jungen Leute eine Polizeiroutine“, schreibt Roewer. Er habe überlegt, ob bei der Polizei „alles mit rechten Dingen abgelaufen ist, ob nicht nur Dummheit, sondern auch Absicht im Spiel war“. Er habe aber nichts getan, denn er sei ja kein „Hellseher, der ahnt dass aus dieser Polizeipanne eine Art polizeilicher Totalschaden werden wird.“

Für Roewer ist nicht nur die Polizei schuld, sondern auch die ehemalige Thüringer CDU-Landesregierung: „Die christliche Landesregierung hat den Rechtsstaat außer Kraft gesetzt“, schreibt er. Eine andere Option wäre, die mangelnde Zusammenarbeit der Behörde mit dem Landeskriminalamt zu anzuerkennen. Jedoch weist er auch diese Vorwürfe von sich, während der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sicher ist, man habe nicht zusammengearbeitet, ja sogar gegen einander „gemauert“.

Die vielen Widersprüche, in die Roewer sich verstrickt, machen es schwer, ihn ernst zu nehmen. Es ist keine leichte Aufgabe, vor der der NSU-Untersuchungsausschuss steht. Denn es geht darum, den Staatsapparat im Hinblick auf Transparenz und Demokratie zu durchleuchten, und sicherzustellen, dass die Polizei, die Behörden und die Landeskriminalämter ernsthaft zusammenarbeiten um Rechtsextremismus konsequent zu bekämpfen.

Die manchmal zu engen Verhältnisse des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz zu den V-Leuten müssen auch unbedingt geklärt werden. All das darf nicht in Vergessenheit geraten. Im Gegenteil: Im Vorfeld der großen Wahlen, da sich die aktuelle Regierung einmal mehr zu legitimieren versucht, muss es auf die öffentliche Agenda.

Anm.d.Red.: Mehr Informationen zum Thema in den Dossiers Terror von rechts und Staat aus Glas. Das Foto stammt von simaje und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

7 Kommentare zu “Betrunken im Schatten: Der Fall Helmut Roewers und die Mechanismen des Staatsapparats in Deutschland

  1. das neuste: die plätze wurden neu verlost (wobei wenigstens 5 für türkische medien vorgesehen worden sind) und am ende sollen faz und der stern nicht dabei sein. die überlegen jetzt ob sie klagen.

  2. Vielen Dank für die Kommentare. Ich habe diesen Artikel Ende März verfasst und er wurde nicht aktualisiert. Damals waren die Plätze für den NSU-Prozess noch nicht neu verlost worden.

  3. @FS: na ja, das problem mit der verlosung ist erst seit / nach dem erscheinen dieses artikels überhaupt erst aufgetreten, deshalb teilen die leute hier wahrscheinlich auch diese links… nur eine vermutung…

  4. @benjamin: Das ist korrekt: der Artikel erschien zu einem Zeitpunkt, da die Debatte um die Vergabe der Presseplätze gerade wieder ein wenig abgeklungen war und just an diesem Tag neu entfachte: wer ist nicht dabei? warum nicht? ach, zu spät akkreditiert? das kann es ja nicht sein. Dann kam das Losverfahren und die neuerlichen Probleme: Großmedien wie Stern hatten keinen Platz bekommen. Klagewelle.

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