Hände hoch!

Die deutsche Sprache gehoerte immer zu unseren Familienwerten. Mein Grossvater las Werke von Heine und Goethe im Original; meine Mutter arbeitete ein paar Jahre lang als Deutschlehrerin. Meine ersten Worte auf Deutsch waren leider – wie bei Tausenden russischer Kinder meiner Generation – >Haende hoch!< Wir spielten sehr haeufig Krieg, der Zweite Weltkrieg war unser >Spielthema<.

Meine Grossmutter hat mir mal gesagt, dass man immer zwischen Faschisten und Deutschen unterscheiden muss. Als Kind konnte ich das nicht kapieren, spaeter schon. Die Frage >Wer sind die Deutschen?< hat sich fuer mich bis heute nicht voellig geklaert. Es bleibt ein Raetsel, das mich noch immer fasziniert. Ich ging in Kasan, Hauptstadt der Republik Tatarstan in Russland, in eine Schule mit erweitertem Deutschunterricht. Das wollte meine Mutter, das wollte meine Grossmutter, das war auch fuer mich sehr intressant. Bereits bei der ersten Deutschstunde habe ich verstanden, dass das Erlernen einer Fremdsprache eine sehr komplizierte und anstrengende Arbeit ist. >Deutsch ist sehr schwer und nicht zu beherrschen!< Das war mein erster Eindruck, seitdem hat sich fast nichts daran geaendert. Da ich waehrend der Schul- und Studienzeit sehr aktiv Sport getrieben habe, konnte und wollte ich meine Deutschstudien nicht vertiefen. Waehrend der Zeit des >Eisernen Vorhanges< ergab es keinen Sinn, so viel Zeit, einer Fremdsprache zu widmen. 1988 bin ich ganz zufaellig als Tourist in die DDR gereist und voellig enttaeuscht zurueckgekommen. Enttaeuscht war ich ausschliesslich wegen meiner Sprachkenntnisse: Es stellte sich heraus, dass ich fast alles vergessen hatte. Ich habe mir drauafhin selbst den Fehdehandschuh vor die Fuesse geworfen und mir gesagt: >Ich muss mein Wissen reaktivieren<. Dieses Duell laeuft bis heute. Heute ist Deutsch die Sprache des Landes, in dem ich seit vielen Jahren arbeite und wohne; Russisch ist meine Muttersprache geblieben. In meinem Buero bei der Deutschen Welle ist Deutsch die Amtsprache. Bei meiner Arbeit greife ich meistens auf deutschsprachige Informationsquellen zurueck, zumal Themen aus Deutschland im Vordergrund stehen. Innerhalb der einzelnen fremdsprachigen Redaktionen sprechen wir natuerlich in unseren Muttersprachen, schliesslich machen wir in unseren Sprachen die Berichterstattung. Aber die deutsche Sprache ist dauernd praesent. Ich strenge mich an, schnell zwischen den beiden Sprachen hin- und herzuschalten. Das klappt leider nicht immer so gut, wie ich moechte. Komische Situationen wegen der interkulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Russen passieren immer. Die nicht besonders komischen Dinge geschehen auch. Wir unterscheiden uns sehr: in erster Linie sprachlich. Auf Deutsch zu schreiben, faellt mir sehr schwer. Aber ich mache dabei schon seit langem keine Uebersetzungen, also bemuehe ich mich direkt auf Deutsch zu schreiben. Direkte Uebersetzungen von russischen Wortverbindungen scheinen aus meiner Sicht mal sehr lustig, mal sehr unverstaendlich und mal sehr nett auszusehen. Normalerweise schreibe ich so, wie ich denke. Wenn ich mich waehrend des Schreibens an rein deutsche Wortverbindungen und Phrasen erinnere, dann nutze ich diese, wenn nicht, dann nehme ich eine Lehnuebersetzung. Ich schreibe auf Deutsch aber sehr selten, und wenn ich schreibe, bin ich sicher, dass meine Texte von einem Muttersprachler redigiert werden. Die deutsche Sprache ist sehr >stark<. Sie beeinflusst das Russische deutlich und dringt in unsere Alltagssprache tief ein: besonders haeufig benutzen die Russen, die in Deutschland wohnen, die Woerter >Bahnhof<, >Termin<, >Praxis< statt uebliche russische Woerter. Einige deutsche Verben werden in russischer Form verwendet: putzen = putzat, speichern=speicherit usw. Zu diesem >Neu-Russisch< gehoeren auch die uebertrieben haeufige Verwendung von Konjunktiven beim Schreiben. Auch die Interpunktion leidet: die deutsche Zeichensetzung ist einfacher, deshalb wird die Russische vereinfacht. Auch die Reihenfolge von Woertern in Saetzen aendert sich manchmal auf komische Weise. Das sieht man an der Alltagssprache der so genannten Aussiedler und Kontingentfuechtlinge: so genannte Russlanddeutsche und Juden. Fuer die Russen, die zu diesen beiden Kategorien nicht gehoeren, gibt es so gut wie keine Chance, legal nach Deutschland erinzuwandern. Sie praegen ein neues >Russisch<; auch die Betonung ihres Sprechens aendert sich. In englisch- oder franzoesischsprachigen Raeumen passiert so was nicht. [Texte in russischen Medien, die in Frankreich, Belgien, England und den USA erscheinen, sind >russischer<]. Deutschland ist in Wirklichkeit wie die Frau, die einem nur dann nahe kommt und treu ist, wenn man sie nicht nur bei mondhellen Naechten als eine frische und junge Schoenheit mag, sondern wenn man sie auch als eine todmuede, kranke und manchmal sogar aergerliche Alte liebt. In diesem Sinne reicht es nicht, eine Sprache mit ihr zu sprechen. Man muss sie verstehen koennen, man muss ihr verzeihen, ihr helfen.

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