Hacking Women: Ein Blick über den Tellerrand der männlich dominierten Computerszene

Die Anzahl der programmierenden und hackenden Frauen ist extrem gering. Aber die so genannten Computerfrauen waren nicht immer eine Minderheit auf diesem Gebiet. Warum ist das Hacken heutzutage eine so unattraktive Tätigkeit für Frauen geworden? Die Journalistin Fee-Rose Strohschehn hat sich in der Szene der Hacking Women umgeschaut.

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Im Februar 2019 wurden Mobbing und Hetzkampagnen gegen weibliche Jugendliche, Journalistinnen und Moderatorinnen durch meist junge männliche Journalisten, Blogger und Werbetreibende der Facebook-Gruppe „Ligue du LOL“ öffentlich gemacht. Dennoch sind Gewaltandrohungen und Hass gegen Frauen im Internet längst keine Seltenheit: Laut einer Studie von Amnesty International sind etwa sieben Prozent der Tweets, die Frauen auf Twitter erhalten, beleidigend oder problematisch. Insbesondere Women of Color sind dabei ein häufiges Ziel für online Hate Speech.

Darüber hinaus wächst laut einer Studie der Europäischen Kommission die Kluft zwischen Männern und Frauen im gesamten digitalen Sektor in den Bereichen Bildung, Karriere und Unternehmertum. Nach Ansicht der Kommission liegt der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung in den unbewusst fortbestehenden Vorurteilen über Geschlecht und Technologieeinsatz. Ein anhaltendes Vorurteil zeigt sich deutlich, wenn Frauen Fehler bei der Verwendung von Computern oder anderen technischen Geräten machen. In solchen Situationen ist es immer noch sehr verbreitet, dass sich Menschen über „Frauen und Technik“ lustig machen. Was unvorstellbar scheint, ist, dass das Geschlechterverhältnis in der Informatik einst deutlich ausgeglichener war; in einigen Technologieunternehmen gab es zur Zeit des Zweiten Weltkriegs sogar eine größere Anzahl von Programmiererinnen als von Programmierern.

Damals und heute: die Frau in der Informatik

Tatsächlich wurden die Frauen, die die ersten Computer programmierten, selbst als „Computer“ (vom englischen Wort to compute für (be)rechnen) bezeichnet. Sie berechneten manuell die Flugbahnen von Raketen. Die Informatik galt damals als ein Gebiet der Mathematik. Und im Vergleich zu beispielsweise der Elektrotechnik waren Frauen in der Mathematik stark vertreten. In den damaligen Computerlaboren fanden sie ein attraktives Betätigungsfeld und ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz waren aufgrund des Krieges, als es an männlichen Arbeitskräften mangelte, gut. Interessanterweise ist die Zahl der Frauen in der Informatik in den USA bis in die 1980er Jahre gestiegen. Aber vom Höchststand um 1985 mit 37 Prozent der Frauen sank er bis 2015 um 20 Prozent.

Heute, im Jahr 2020, ist der Frauenanteil in der Informatik immer noch sehr gering: „Das gesamte Technologiefeld ist nach wie vor sehr unausgewogen, sowohl was das Geschlecht als auch andere Aspekte betrifft“, sagt die Netzkünstlerin und Forscherin Cornelia Sollfrank. Bekannt wurde sie durch „Female Extension“, einen Hack, in dem sie versuchte, einen Kunstwettbewerb zu stören, indem sie Hunderte von fiktiven Teilnehmerinnen erfand. In ihrem neuesten Buch „Die schönen Kriegerinnen“ untersuchen verschiedene Autor*innen das Verhältnis von Technik und Geschlecht.

Sollfrank kritisiert, dass technische Kompetenz meist männlich konnotiert ist: „Frauen, die über technische Kompetenz verfügen, gelten nicht als weiblich“. Vor etwa 20 Jahren machte sie sich auf die Suche nach „der seltenen Art der weiblichen Hackerinnen“. Sollfrank gibt zu: „Ich hatte auf einen Haufen wirklich cooler weiblicher Hackerinnen gehofft.“ In ihrer Forschung wurde sie mit Vorurteilen über Frauen konfrontiert, die angeblich kein Interesse am Hacken hatten, weil es nicht in ihrer weiblichen Natur lag. Leider hat Sollfrank in ihrer Recherche 1999 keine einzige Hackerin gefunden und sich daher entschlossen, selber welche zu erfinden, indem sie Interviews mit fiktiven Charakteren führte.

Der langsame Wandel der Szene

In den letzten Jahren hat sie aber eine Veränderung bemerkt: „Heutzutage gibt es definitiv mehr Frauen und queere Menschen auf Konferenzen wie der Jahrestagung des Chaos Computer Clubs“, wo sich viele Hacker*innen und Programmierer*innen treffen. Der CCC ist der größte deutsche Verband von Hacker*innen mit mehr als 5.000 Mitgliedern. Sollfrank relativiert: „Aber ich bin sicher, dass nicht alle diese Menschen eine feministische Agenda haben. Manchmal ist der einzige Weg, im Feld zu überleben, die Anpassung an seine Werte, anstatt das System zu hinterfragen.“

Im Bereich des Hackens gibt es nicht nur ein Ungleichgewicht von Männern und Frauen, sondern auch einen Mangel an People of Color sowie Menschen unterschiedlicher Gender und sexueller Orientierung. Vor etwa drei Jahren besuchte Sollfrank nach langer Abwesenheit eine Hacker*innenkonferenz. Es war das erste Mal, dass ein „Queer Feminist Geeks Village“ daran teilnahm. „Und es gab eine ganze Reihe von Leuten, die sich dort zusammen geschlossen haben und auch heute noch in Kontakt stehen.“ Sollfrank stellt fest, dass es vor 20 Jahren unvorstellbar war, dass Frauen und insbesondere Frauen mit ihren Kindern, Women of Color oder queere Personen an einer solchen Konferenz teilnehmen würden.

Auch wenn die Zahl der nicht-weißen und nicht-männlichen Teilnehmer*innen in der Tech-Szene wächst, befinden diese sich immer noch in einer klaren Minderheit. Aber welche Erklärung gibt es für die Tatsache, dass es so wenige Frauen, People of Color oder queere Personen in der Szene der Hacker*innen und Programmierer*innen gibt? Laut Sollfrank liegt es nicht daran, dass „männliche Hacker Frauen hassen oder sie absichtlich ausschließen wollen. Die Männer sagen tatsächlich oft: ‚Frauen sind willkommen. Jeder ist willkommen‘. Das Problem ist, dass sie nicht in der Lage und/oder nicht bereit sind, über dieses Ungleichgewicht nachzudenken, sich selbst zu reflektieren. Und der Sexismus ist sehr oft nicht offen, sondern eher in den Kommunikationswegen in diesem Bereich lokalisiert. Es liegt etwas Abschreckendes darin, wie Menschen in Bezug auf Technologie miteinander umgehen.“

Ist Meritokratie das Problem?

Sollfrank geht davon aus, dass dies mit der in der Szene vorherrschenden Meritokratie zu tun hat. Meritokratie in ihrer ursprünglichen Bedeutung beschreibt ein politisches System, in dem Menschen durch ihr Talent und ihre Bemühungen Macht und Einfluss erlangen, anstatt durch gute Beziehungen oder Geld. Laut Sollfrank ist es beispielsweise in den Hackspaces „eine Art ‚objektives‘ Kriterium, Menschen nach ihren persönlichen Leistungen zu beurteilen. Dies lässt jedoch den eingeschränkten Zugriff auf das Feld von vornherein unberücksichtigt. „Zu beweisen, dass du mehr weißt als jemand anderes, ist ein einfacher Weg, andere zu entwerten und dein eigenes Selbstwertgefühl zu steigern.“

Sie schlussfolgert, dass diese männlichen Hacker Privilegien haben, von denen sie nichts wissen. „Sie haben Zugang und Zeit, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen. Und das ist es, was ich kritisiere – das Nicht-Verstehen ihrer eigenen Privilegien.“ Es gibt jedoch eine wachsende Zahl von Programmierer*innen, die Frauen-Hackspaces oder Angebote wie Programmierworkshops gegründet und etabliert haben und so die klassischen Räume des Hackens erweitern. Einige von ihnen wie die Heart of Code in Berlin, die RailsBridge aus San Francisco oder die Rails Girls aus Finnland gelten als Vorreiter*innen für Diversität in der Technologie und sind teilweise zu weltweiten Organisationen herangewachsen. Aber auch Studiengänge der Informatik, die sich nur an Frauen richten, erweitern im Bildungssektor das Angebot und bieten Alternativen zu den üblichen Konzepten.

Kunst und Performance als Gegenbewegung

Als Künstlerin thematisiert Sollfrank Probleme im Zusammenhang mit Geschlecht und Technik durch ihre Kunst. Im Dezember 2018 hielt sie auf dem Chaos Communication Congress einen Performance-Vortrag über Wikileaks und die damit verbundenen Gender-Aspekte. Julian Assange, der Gründer von Wikileaks, wurde 2010 in Schweden wegen Vergewaltigung und sexueller Gewalt an zwei Frauen angeklagt. Er wies die Vorwürfe zurück und suchte politisches Asyl in der Botschaft von Ecuador in London, um die rechtlichen Schritte und eine mögliche Auslieferung an die Vereinigten Staaten aufgrund seiner Arbeit mit WikiLeaks zu vermeiden. Im Zentrum von Sollfranks Performance stand ein Foto, das eines der wichtigsten Beweismittel des Falles darstellte. Sollfrank fühlte sich, als hätte sie den Hacker*innen auf dieser Konferenz etwas direkt zu sagen: „Ich wollte klarstellen, dass in dieser Szene ein solches Verhalten normal ist.“

Abschließend ist festzuhalten, dass der niedrige Anteil an weiblichen Programmiererinnen nicht immer bestanden hat. Die in weiten Teilen der Gesellschaft gängige Meinung, dass ein geringes Technikinteresse seitens der Frauen die Ursache für den Mangel an Frauen in der IT ist, lässt sich nicht bestätigen. Viel mehr spielen gesellschaftlich-bestehende Vorurteile, Privilegien der männlichen Hacker und insbesondere das Vorherrschen der Meritokratie eine tragende Rolle warum FLINT*-Personen und Personen anderer Herkunft dort kaum zu finden sind. Cornelia Sollfrank trägt mit ihrer Kunst und Forschung dazu bei auf die Situation von diesen Personen aufmerksam zu machen.

Anm.d.Red.: Der Beitrag basiert auf dem Projekt Hacking Women on the Rise. Alles Fotos stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

Ein Kommentar zu “Hacking Women: Ein Blick über den Tellerrand der männlich dominierten Computerszene

  1. Hi,

    Ich finde wirklich, dass in diesem Artikel viel Unwahrheit steht. In der Informatik, vor allem im Studium erhalten Frauen sogar eher positives Feedback von ihren Kollegen. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Mann eine weibliche Entwicklerin anders behandelt hätte als andere Entwickler. Auch zwischen Mann und Mann kommt es mal zu Belehrungen oder es kann passieren, dass sich der eine etwas „besserwisserisch“ verhält. Vor allem in Deutschland gibt es keine sozialen Hürden für irgendjemand was mit Informatik zu machen außer das reine Interesse. Jemand der sich was anderes einredet hat anscheinend entweder nicht die Motivation oder einfach keine Lust darauf. In anderen Ländern kann das durchaus anders aussehen, aber darum geht es hier nicht. Zusatzangebote helfen dabei auch nicht, diese Schaden teilweise dem Ruf der Frauen sogar mehr als sie helfen. Wenn jemand das machen will, dann sollte er den gleichen Weg gehen wir jeder andere und keine Sonderbehandlung erwarten, denn nur das führt zu Unruhen. Insgesamt gibt es in der Informatik (als Entwickler) nicht mehr oder weniger Vorurteile gegen Frauen als in anderen Bereichen.

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