Griechenland zwischen Idylle, Krise und Fußball

Europameisterschaft und Euro-Krise – in Griechenland ist derzeit alles politisch. Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska zeichnet ein Bild des Landes zwischen Idylle, Krise und Fußball.

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Juni 2012, Athen: wir nehmen die U-Bahn bis Omonia und laufen zum Exarchia Platz. Der Preis für ein Hotelzimmer ist um 30 Prozent gesunken im Vergleich zum letzten Jahr. Es scheint, als wolle niemand mehr in Exarchia übernachten, seitdem es zu einem gefährlichen Bezirk wurde.

Wir lassen unsere Sachen da und gehen wieder raus, in die Hitze. Viele Cafés zeigen das EM Fußballspiel Griechenland gegen Tschechien, doch es gibt nur wenige Zuschauer und deren Begeisterung hält sich in Grenzen.

Später am Abend erzählt ein befreundeter Neurologe, der im Krankenhaus arbeitet, dass er für seine 32-Stunden Arbeitsschichten seit März nicht bezahlt wird. Er überlegt, ob er kündigt, doch alle sagen, jetzt in Griechenland eine feste Stelle zu kündigen, käme einem Selbstmord gleich. Doch von irgendetwas müsse er ja leben.

Wir sitzen in einer größeren Gruppe von Künstlern und Intellektuellen, es wird fast nur über Politik gesprochen, die Wahlen stehen vor der Tür und es scheint unklar zu sein, was ihr Ergebnis ändern sollte. In dieser Runde herrscht mäßiger Skeptizismus. Michalis, der als Schauspieler und Stand-Up Comedian arbeitet erzählt, dass viele Griechen gerade ganz viel Geld abheben und es unter ihren Betten verstecken; das wird dann wiederum von anderen geklaut, „Dschungel“ quittiert er.

Hierarchien im Paradies 

Am nächsten Morgen fahren wir mit einer Fähre nach Amorgos, eine kykladische Insel mit ca. 2000 Einwohnern, die verteilt in wenigen kleinen Orten zwischen den hohen Bergen leben. Die Insel ist eine Welt für sich, hier leben Griechen, Albaner, Polinnen, Pakistaner und seit den 1970ern auch deutsche und französische Aussteiger–Hippies, die ihre Suche nach dem Paradies hier abgeschlossen haben. Doch nichts ist falscher, als zu denken, dass alle, die hier leben, vor Glück über dem Boden schweben.

Was in diesem Mikrokosmos für Regeln herrschen, was es hier für Hierarchien gibt, ist einerseits charakteristisch für die ganze Gesellschaft und andererseits oft so kondensiert, dass unübersetzbar ins große Ganze. Der soziale Status und Glaubwürdigkeit eines Individuums sind mit der Länge des Aufenthalts auf der Insel verbunden. Recht hat der, der oder dessen Familie länger auf der Insel lebt.

Im Sommer gibt es hier einen starken Konkurrenzkampf um die Touristen, denn oft muss das Geld für das ganze Jahr in den Sommermonaten verdient werden. Vor allem jetzt, wo es im Winter wirklich keine Arbeit auf der Insel gibt. Das führt zu einer Verzweiflung, die die Leute dazu treibt, sich gegenseitig auszubeuten und für sehr wenig Geld schwarz zu arbeiten.

“Wo geht das ganze Geld hin?”

Auf Amorgos wissen die Leute sehr viel voneinander. Hier lässt sich nicht viel geheim halten, und man muss sehr aufpassen, denn Reputation ist das wichtigste: Von wem schlecht gesprochen wird, der hat an allen Fronten verloren.

Die Amorgianer können sehr stolz sein auf ihre Dörfer, auf Landwirtschaft und Tourismus. Es ist erstaunlich, dass die Menschen es geschafft haben, auf den steilen Küsten überhaupt Häuser zu bauen. Genau das, was die Insel für die westlichen Touristen paradiesisch macht, die Abgeschiedenheit, die Ruhe, die Nähe der hohen Berge zum Meer, das wechselhafte Klima macht den Alltag hier sehr schwer. So gesehen ist die Insel mit ihren nackten Felsen, aggressiven Pflanzen und trockenem Boden nicht wirklich menschenfreundlich.

Trotz des mikrokosmischen Charakters und der scheinbar sehr weiten Entfernung zur „großen Welt da draußen“, wird auch hier sehr viel über Politik gesprochen. Die Leute sind genervt, fühlen sich nicht ernst genommen, sind erschöpft von der ökonomischen Lage, und verstehen die Idee des Rettungsschirmes nicht. Denn „wo geht das ganze Geld hin?“ fragt mich Dimitri, der einen Lebensmittelladen in Aegiali im Norden der Insel hat. „Hat das schon jemand gesehen? Hat sich was verändert? Das geht alles an die großen Banken, nicht an die Griechen, die es brauchen!“  Er, wie viele andere auf der Insel, akzeptiert vorsichtshalber keine Kreditkarten mehr. „Die sollen uns nicht retten, sondern in Ruhe lassen“ sagt Marco, der in einer Taverna nebenan kellnert. „Und außerdem hat Deutschland auch Schulden!“

Angela Merkel: Die Quintessenz des Bösen

Vor dem Fußballspiel Griechenland gegen Deutschland muss ich an Monty Pythons „Philosophen Fußball“ denken, doch niemand findet an dem Abend irgendwas witzig. Es geht um Fußball, es geht um Politik. Wir gucken das Spiel auf dem Dorfplatz. Es wird  laut geschrien und geflucht jedes Mal wenn Angela Merkel gezeigt wird. Scheinbar ist die Kanzlerin zur Quintessenz des Bösen geworden.

Die ersten Reihen vor dem Fernseher sind von den Bewohnern der Insel besetzt, hinten sitzen Touristen, unter anderem eine Gruppe von Erasmus-Studenten aus Athen und ein paar Deutsche, die nicht genau wissen, ob sie sich über die Tore ihrer Mannschaft laut freuen dürfen. Die Stimmung kippt, als das 4 zu 1 für Deutschland fällt. Auf dem Platz wird es plötzlich sehr ruhig. „Auch das noch“, sagt jemand vorne. Und „Grüße an Angela!“.

Eine Lösung für die wirtschaftlichen Probleme scheint niemand auf der Insel zu haben. „Irgendwie wird sich das schon beruhigen“, versichert mir Georgis, der in der Apotheke arbeitet. Die Mikrowelt von Amorgos dreht sich weiter: Die Frau eines Pensionbesitzers hatte eine Affäre mit dem Busfahrer, die jüngere Schwester der einen schönen Polin, die in dem Strandcafé kellnert, ist offenbar lesbisch.

Der Sohn von Dorfladenbesitzer Jorgos war ein halbes Jahr in Indien, kam zurück, macht Yoga und hängt seitdem nur noch mit Touristen rum. Ein Paar aus Athen ist ins Dorf gezogen, niemand mag sie, niemand hilft ihnen und wenn man über sie redet, sagt man „die Großstädter“. Jemand hat dem guten Vasili vier Ziegen geklaut. Und so weiter. Nur deutsche Touristen gibt es nicht so viele dieses Jahr. Vielleicht sind sie sich unsicher, wie sie hier empfangen werden?

Anm. d. Red.: Alle Namen und Berufe wurden von der Autorin geändert. Das Foto oben stammt von See Wah und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

3 Kommentare zu “Griechenland zwischen Idylle, Krise und Fußball

  1. Ich frage mich: Sollte man nun nach Griechenland in den Urlaub fahren, um das Land zu unterstützen – oder kriegen sie eh schon genug Unterstützung?

  2. @ Ferdinand
    Na warum denn nicht? Das ist doch eigentlich das, was Karolina schreibt, dass sich die Menschen nicht ernst genommen fühlen, dass sie erschöpft sind, von der ökonomischen Lage. Eine unmittelbare, spürbare Unterstützung, die ihnen hilft weiterzumachen, bekommen sie meiner Meinung nach nur so.

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