Gegen Wände rennen

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Der Film GO BASH erzählt von einer Jugendbewegung, die es (noch) nicht gibt. Junge Menschen laufen gegen Wände – der Aufprall soll so hart und schmerzhaft wie möglich sein. Aus der Subkultur wird schnell ein Medienhype. Einer der Macher des Films, Stefan Eckel, setzt sich in unserer Umfrage zum Thema BILDUNG damit auseinader, wie Jugendkulturen immer schneller “verbrannt” werden.

Unsere Grundschule lag unten im Tal. Am tiefsten Punkt. Keiner von uns ging gern dorthin. Nicht nur, weil der Weg, zumal im Winter, recht gefährlich sein konnte. Es war ein Winkel, in den die Studentenpuste auch tief in den 70ern noch nicht hineingereicht hatte, um den Muff unter den Talaren hinauszublasen.

Das Ritual von Herrn Lindner

Dort gab bei es Lehrer Lindner in der dritten Klasse dieses Ritual im Tuschunterricht: Wir alle mussten uns am Pult aufstellen, an dem er mit seinem roten Lehrer-Kalender stand. Dann hatte man wortlos Zeichenblock, Tuschkasten und Hausaufgabe vorzuzeigen. Wer etwas nicht dabeihatte, bekam einen Eintrag und eine Ohrfeige.

Das Warten in dieser Schlange – im plötzlich heiß aufsteigenden Bewusstsein, etwas vergessen zu haben und gleich ins Gesicht geschlagen zu werden – zählt zu den wahren Suspense-Momenten in meinem Leben. Natürlich befleißigte sich jeder, immer alles dabeizuhaben. Das System funktionierte.

Eines Morgens rückte ich sehr entspannt vor, denn ich hatte alles mit und war in Sicherheit. Die Hausaufgabe war ein Blumen-Stillleben aus Transparentpapier gewesen. Ich hatte einen Strauß in einer Vase auf einem Tisch geklebt. Was dann folgte, war ein vehementes Votum für den Realismus in der Kunst: “Es gibt keine grünen Tulpenblüten.“ Watsch. Und weil mir die Brille von der Nase flog, noch ein hinterhergebelltes “Pass gefälligst auf!“ Habe ich daraus etwas gelernt? Sehen Sie selbst auf YouTube.

Es wurde klar: Man muss den Bildungsprozess selbst in die Hand nehmen. Mit welchem Medium ist dabei völlig egal. Entscheidend ist allein, das Wahrgenommene zu reflektieren und das Glück zu haben anderen Menschen zu begegnen, die einem Ideen für neue Fragen in die Gehirnfurchen säen.

Lernen im Widerspruch

Der Film GO BASH, den ich zusammen mit Stefan Prehn gemacht habe, ist eine Meditation über den Kreis „Jugend – Medien – Erwachsensein“. Denn der Prozess des Lernens steht in einem ewigen Widerspruch von einerseits: jugendlicher Neugier und (in der Ahnungslosigkeit vom Tod) absurdem Mut, der es erlaubt, Grenzen zu über-sehen und gerade dadurch mentales Neuland zu entdecken; und andererseits: erstarrtem Erwachsensein, das auf der Oberfläche der kleingebackenen Brötchen meist nur noch nach unten blickt und allein die Krater der Wunden aus der Vergangenheit abschreitet.

Dabei nährt sich der Kulturprozess der Menschheit genau von dem, was das geronnene Bewusstsein als Un-sinn betrachtet. Für uns sammeln sich all diese Gedanken in einem Sinnbild: das Laufen gegen eine Wand. Die Basher in unserem Film nehmen das wörtlich. Against all odds laufen sie gegen Wände. Und wer das am härtesten bringt, den meisten Schmerz aushält und die buntesten Wunden davonträgt – ist der oder die Coolste.

Hat’s keiner gesehen, ist es nicht passiert

Zu allen Zeiten war es die Aufgabe der Outcasts, die Kultur voranzutreiben. Im 20. Jahrhundert hat sich dieses Phänomen in der Jugend institutionalisiert. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts aber entwickelte sich ein medialer Kreislauf, der zu einer immer schneller drehenden Spirale aus sich abwechselnden Jugendkultur-Moden führte und führt.

GO BASH handelt davon, wie dieser mediale Kurzschluss – der zum Verbrennen sprich Kommerzialisieren jeder Jugendkultur führt – nun bereits in den Händen ihrer Erfinder liegt. Denn die Basher selbst sind es, die sich filmen und diese Videos ins Netz stellen. Weil – wie jeder Skater, Parkour-Läufer oder sonstige Streetsportler bestätigen wird –: Hat’s keiner gesehen, ist es auch nie passiert.

Wir müssen nicht jeden Zuschauer einzeln ohrfeigen

Was also bleibt den jungen Leuten noch, wenn sie von der selbstangestellten Medienmaschine durchgekaut und ausgespuckt in der Ecke liegen? Spannenderweise kommt dieser Gedanke in den Köpfen junger Zuschauer durchaus auf, ansonsten aber erleben wir bisher ein äußerst gespaltenes Publikum auf Seiten der Erwachsenen.

Viele Erwachsene sind sich auch nicht sicher, ob GO BASH nicht doch eine Doku ist. Es kommen also Fragen auf. Damit ist unsere Absicht als Filmemacher erreicht. Wir halten das für fruchtbarer, als durch die Reihen im Kinosaal zu gehen und jeden Zuschauer einzeln zu ohrfeigen.

Wie mir in der Grundschule beigebracht worden war – in erster Linie zur allgemeinen Konzentration, aber auch als Starthilfe, den Prozess der Selbstbefragung in Gang zu setzen, um immer wieder neu das Verhältnis der eigenen Person zu den Paradigmen der Umgebung zu bestimmen und zu justieren.

11 Kommentare zu “Gegen Wände rennen

  1. Wow, schaut man sich den Trailer an, weiß man im ersten Moment wirklich nicht, ob das jetzt wieder was “neues” ist oder nicht. Sehr spannend.

  2. Eine Frage: Wie könnte man das Ausbrennen von Jugendsubkulturen verhindern?

  3. Hallo! Ich habe auch eine Frage! Wie fanden denn die Jugendlichen, die in dem Film mitspielen, diese neue Bewegung?

  4. neulich im kino den neuen film “bis aufs blut” gesehen. drastik, gewalt, jugend — das scheinen die neuen zutaten für kreatives schaffen im kino zu sein

  5. radikal! radikal gut. ich bin sprachlos. und total überrascht. von den socken. oder wie man das sagt :)

    wir sollten alle anfangen wände zu fotografieren :)

  6. der Film als Érsatz für eine Ohrfeige? das ist eine schöne Provokation, speziell in Zeiten der hochgelobten Effizienz: wieviel Mitarbeiter würde man sonst brauchen, wenn man all die Leute, die ein solcher Film erreicht zur selben Zeit kollektiv ohrfeigen würde?

    Da ist ein solcher Schlag ins Gesicht deutlich effizienter :)

  7. Interessanter Film, Jugendliche finden immer wieder neue Wege um anders zu sein, um Grenzen zu überschreiten,
    auch wenn sie so gefährlich sind oder gerade deshalb!

  8. Danke für das Feedback erstmal!
    Zu den Fragen:
    – das ist was “neues” …
    – Jugendkultur ist vor allem eins: ein leidenschaftlicher Brand. Da kann man das Verbrennen leider per se nicht verhindern. Trotzdem ist auch da die große Frage, nicht ob, sondern wie man stirbt.
    – die Leute in Go Bash (meistenteils aus der Parkour-Szene) fanden das extrem spannend und herausfordernd und ist in ihre Moves zumindest als Idee oder Negativbild eingeflossen
    ES

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