Ära des Klicks: Global Player in neuen Netzen

Wir leben im Zeitalter des “Alles-ist-nur-einen-Mausklick-entfernt”. Floskeln wie “es ging rund um den Globus” sind nicht mehr treffsicher, findet die weltweite Vernetzung doch mittlerweile in Netzwerken statt, die sich nach einer freien Logik konstituieren. Kulturwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Stefan Heidenreich zeigt, was es bedeutet, Schluss zu machen mit dem Kugel-Denken im Zeichen des “Globus”.

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Für etwas Neues hat man am Anfang immer nur die alten Begriffe. Globus ist ein solches Wort, und mit ihm auch Globalisierung. Sie benennen eine alte, fast noch koloniale Kategorie, deren Wirkung verschwindet, weil man noch nicht weiß, wie das Kommende heißen könnte.

Daher führen auch die Bewegungen und Forderungen, die sich mit dem Wort verbinden, die für oder gegen die Globalisierung argumentieren, in die Irre. Niemand hat etwas dagegen einzuwenden, dass sich Kommunikation ohne Umstände über den ganzen Erdball erstreckt, dass räumliche Entfernungen leichter überwunden werden können – jedenfalls für Güter und leider nur für den wohlhabenderen Teil der Menschheit, dass kurz gesagt der Globus als Hindernis verschwindet.

Die Gegner der Globalisierung greifen eigentlich etwas anderes an, wobei ihr Leitbegriff eben nur eine Reihe von Symptomen umfasst.

Freiheit für Kommunikation und Reisen

Und selbst gegen die meisten unmittelbaren Effekte hat kaum jemand etwas einzuwenden, im Gegenteil, die freie Kommunikation sollte um die Freiheit des Reisens erweitert werden. Höchstens neoliberale Ideologen, die ansonsten wo immer möglich freien Marktzugang für alle fordern, betrachten Arbeit dagegen als einen immobilen Standortfaktor, und haben nichts dagegen einzuwenden, diese Immobilität mit staatlicher Gewalt durchzusetzen. Wer einmal in der Falle eines Billiglohnlandes sitzt, soll seinen modernen Sklaventreibern nicht entkommen.

Noch in einer anderen Hinsicht führt der Begriff auf die falsche Spur. Er verdeckt, von wo die Entwicklungen angestoßen werden.

Netzwerke, die sich über den Globus erstrecken

Die Netzwerke der Information haben hier das Fundament gelegt, über das nicht nur Information ihren Weg überall hin finden, sondern nachfolgend auch Organisationen aller Art, Unternehmen, Banken, Geldströme, aber auch “Kontakte, Freundschaften, Hilfeleistungen” (Rossiter). In diesen Netzwerken werden die Machtspiele der Gegenwart ausgefochten. Dass das den ganzen Globus betrifft, lässt sich kaum vermeiden, weil die Netzwerke sich überallhin ausdehnen. Ob eine Mail nach Peking oder zu meinem Bruder auf der anderen Seite des Schreibtisch geht, macht keinen Unterschied mehr.

Aber selbst bei der Beschreibung der Netzwerke zeichnet der Begriff des Globus ein falsches Bild. Natürlich umspannen die Netze den Globus. Manche Landkarten bilden das ab. Aber in seinem technischen Kern ist das Netzwerk nicht global, sondern in einer Hierarchie von Protokollen angeordnet. Woher und wohin die Daten kommen, ist unerheblich, aber sie müssen codiert, gebündelt, formatiert und wieder codiert werden.

Große Netzwerke locken Mitglieder

Die Netzwerke legen das Fundament, auf dem die neuen Machtspiele ausgetragen werden. Sie entwerten die Kategorie des Raumes. Statt dessen spielt die schiere Größe eine bestimmende Rolle. Je größer ein Netzwerk schon ist, desto attraktiver wird es für neue Mitglieder. Daher haben wir es auf dem Markt der Daten mit einer Reihe von Funktionsmonopolen zu tun, die jeweils eine Funktion zu maximaler Größe ausdehnen, wie etwa Google, Facebook oder Twitter. Nur Sprachengrenzen können dieser Konzentration Einhalt gebieten, wie etwa in China, zu jeder Funktion parallele Plattformen existieren.

Das von Marshall McLuhan erträumte globale Dorf hat sich so nicht verwirklicht, statt dessen haben wir es mit einer Menge vereinzelter Siedlungen zu tun.

Global Player in neuen Netzen?

Größere Netzwerke lösen kleinere ab. Die territorialen Organisationen der Vergangenheit geraten in eine defensive Lage. Die Netze der Banken und der internationalen Finanz dehnen sich weit über die Reichweite eines Staates aus. Das fördert regulatorische Arbitrage, bei der die Geschäfte dorthin verlegt werden, wo die günstigsten rechtlichen und ökonomischen Bedingungen herrschen.

Das größere Netzwerk schlägt die kleineren, geographischen Einheiten der Staaten. Es lässt sich absehen, dass auch die Konfliktlinien bald entlang der Netzwerke-Konflikte aufbrechen werden und nicht mehr entlang staatlicher Grenzen. Eine Front im klassischen Sinn haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Statt dessen aber die gezielte Bombardierung von Individuen. Oder von Mobilfunksignalen geleitete Drohnen, die gezielt einzelne Netzknoten ausschalten.

Der Staat als Wirtschaftsagentur

Die Globalisierung der Gegenwart gehorcht ganz dem Regime des Ökonomischen. Der Staat wird zu einer Wirtschaftsagentur, zwischen Handels- und Staatsvertretern lässt sich kaum mehr ein Unterschied ausmachen.

Politische Verhandlungen werden in der Regel den ökonomischen Interessen untergeordnet. Staatsgründungen folgen der ökonomischen Raison. Die Konfliktgebiete decken sich in der Regel mit den Lagerstätten der Rohstoffe, rund um die ethnische oder religiöse Unterschiede für kriegerische Auseinandersetzungen mobilisiert werden. Der Staat kommt als Rechtsform zum Einsatz, wo er gebraucht wird.

Drei Effekte der Globalisierung

In ökonomischer Hinsicht hat die sogenannte Globalisierung im wesentlichen drei Effekte:

Der erste liegt im Zugriff auf große Massen vergleichsweise gut ausgebildeter und zu strenger Disziplin erzogener Arbeitskräfte, vor allem in Wang Hui, China. Das führt dazu, dass die Preise für eine ganze Reihe von Produkten nicht mehr steigen oder sogar fallen. Das mildert ein wenig die Effekte sinkender Löhne in den vormaligen Industriestaaten.

Zweitens benötigt Produktion auch in Billiglohnländern Produktionsmittel, wovon etwa der deutsche Maschinenbau massiv profitiert. Zudem liebt die Elite der neuen Industrieländer den Konsum westlicher Qualitätsprodukte. Zusammen erzwingt dies eine Umorientierung der im Westen verbliebenen Industrien auf den globalen Markt.

Der dritte Aspekt dieser Globalisierung liegt in dem, was man heute Rechtssicherheit nennt. Seit sich kein Land und auch keine Befreiungsbewegung mehr auf die Seite einer konkurrierenden Supermacht stellen kann, entfällt das politische Risiko. Lokale Machthaber können sich kaum mehr leisten, Investitionen zu behindern. Stattdessen stehen sie im Wettbewerb, Investoren möglichst attraktive Bedingungen anzubieten, Steuer- und Gewerkschaftsfreiheit, niedrige Löhne und wenig Bürokratie.

Neue Einblicke durch globalisierte Daten 

Aber die Globalisierung der Daten sorgt auch dafür, dass sich Trennungen zwischen den verschiedenen Kulturen nicht ohne weiteres aufrecht erhalten lassen. Jeder kann einen Einblick in das Leben der anderen gewinnen.

Rückständige Regime oder Kleptokratien geraten in Schwierigkeiten, weil sie der eigenen Bevölkerung Armut immer schwerer als etwas Naturgegebenes darstellen können. Auch die Protestbewegungen haben das Potenzial, sich rasch über große Netzwerke auszudehnen. Die geläufigen Binnenstrukturen politischer Macht lassen sich nicht ohne weiteres aufrecht erhalten.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema gibt es in unserem Dossier Globalisierungskritik, wie weiter? Der Text entstand zusammen mit Ralph Heidenreich und ist ein Auszug aus dem bald erscheinenden Buch Forderungen (Merve Verlag). Das Foto oben zeigt einen Ausschnitt des bekannten Earthrise-Motivs (1969), das die NASA frei zur Verfügung stellt.

Ein Kommentar zu “Ära des Klicks: Global Player in neuen Netzen

  1. Globalisierungsgegner – das ist doch ein kampfbegriff der Springer-Presse. Wenn hier von Gegnern gesprochen werden kann, dann doch von Leuten, die gegen neoliberale Globalisierung sind, also die neoloberal gewendete Globalisierung.

    Ansonsten müssen wir von den Leuten anders sprechen: Globalisierungskritiker. Das ist passender!

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