Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #83

Der britische Premierminister Gordon Brown hat unlaengst den Begriff der >Deglobalisierung< ins Spiel gebracht, um vor einem drohenden merkantilen Protektionismus zu warnen, der vom Schwinden grenzuebergreifender Wirtschaftsaktivitaeten angefacht werde. Die beschwoererische Kraft des von ihm gewaehlten Ausdrucks liegt, aehnlich wie bei seiner Referenz - der Globalisierung, darin, dass er als Schirmbegriff eine Unzahl an Phaenomenen gleichzeitig anspricht. Die begriffliche Unschaerfe ist ein wichtiger Teil seiner Wertoekonomie, aus der unterschiedliche Seiten politisches Kapital gewinnen. Ich denke bei Globalisierung vor allem an eine zunehmende Mobilisierung von Bevoelkerungen, Waren und Ideen infolge weltweiter Deregulierung.

Das umfasst erzwungene und erlittene Mobilitaeten ebenso wie die daraus entstandene Teilnahme an weltweiten Zirkulationen. Hinter der Vielgestalt der Globalisierung steckt ein Doppelspiel von neuen Herausforderungen, die ein neues Verstaendnis der Beziehung von Zusammenhalt und Autonomie verlangen. Die gute Nachricht: Diese Mobilisierungen ermoeglichen auch, Beziehungen zwischen oertlich verstreuten und unterschiedliche Gruppen betreffenden Entwicklungen herzustellen und das Denken verschiedener Disziplinen zusammenzufuehren. Unter diesen Vorzeichen entwickelt sich ein verstaerktes Interesse in der Kunst, die Frage nach den >Lebensformen< in diesen Stroemen zu stellen: Wie koennen in einer in Bewegung geratenen Welt bewohnbare Orte geschaffen werden? Mit welchen Mitteln koennen eigenmaechtige und selbstdefinierte Lebensraeume eingerichtet und Aufrecht erhalten werden? Die Frage ist also eine nach dem Zugriff zur Ordnung und Gestaltung dieser neuen Raeume, die unmittelbar aus den Stroemen der Globalisierung hervorgehen. Die Einwirkung der globalen Prozesse muss dabei wiederholt und vervielfacht lokal verhandelt werden - eine Situation, die eine neue Art von Kreativitaet verlangt, um eine Vielzahl an Unbekannten aufzunehmen und zu einer Form zu finden, die diese Unbekannten in provisorische Stabilitaeten verwandeln kann. Das erfordert neue Faehigkeiten, sowohl in Bezug auf Fragen der sozialen Organisation und der Beschaffung von materiellen und kognitiven Ressourcen als auch in Bezug auf ein revidiertes Verstaendnis von Territorium und Besitz. Eine der zentralen Figuren, die in diesen kuenstlerischen Praktiken hervortritt ist jene des Netzwerks - als kollektive Struktur des Organisierens von Lebens- und Arbeitsraeumen. Diese Figur setzt zuallererst auf zwei Dinge: Informalitaet und kulturelle Ressourcen. Sie markiert damit etwas, das Peter Moertenboeck und ich in unseren aktuellen Arbeiten als >Networked Cultures< bezeichnen: eine Bandbreite an Zirkulationen zwischen unterschiedlichen Praktiken, deren Bezugspunkt nicht eine zentrale Autoritaet – eine feste Institution, eine bestimmte Disziplin, eine gemeinsame Geschichte oder eine klar umrissene Geografie – ist, sondern die Art und Weise, wie sie eine kulturell gegruendete Verbindung miteinander herstellen, um etwas Dringendes anzusprechen und Plattformen der Teilnahme und des Austauschs zu schaffen.

Die von Ursula Biemann initiierten Kollaborationen – wie etwa jene rund um ihre Arbeit >Maghreb Connection< - sind ein treffendes Beispiel fuer diese neue Form von kuenstlerischer Praxis, in der die vorliegende Vielgestalt der Thematik [hier die der raeumlichen Auspraegung von Migrationsoekonomien im noerdlichen Afrika] zu einer ebenso vielgestaltigen Arbeitsweise fuehrt: zum wechselseitigen Austausch von Ressourcen, zu Querverweisen von Arbeiten, zum Einnehmen von Mehrfachrollen als produzierende Kuenstlerin, Kuratorin, Organisatorin oder Herausgeberin. In anderen Faellen werden Kuenstler zu aktiv Mitstreitenden und Mitgestaltenden, zu Komplizen einer sich nach und nach entfaltenden raeumlichen Realitaet. Kennzeichnend fuer diese neue Form von globalisierter, kuenstlerischer Forschung wird so die Erkenntnis, dass es keine Position ausserhalb der Betroffenheit gibt, auch wenn gerade in diesem Moment Massnahmen in Gang gesetzt werden, die kollabierende Dualitaet des Innerhalb und Ausserhalb aufrechtzuerhalten. Das Terrain dieser Auseinandersetzung bildet die Anpassung nationalstaatlicher Ordnungen gegenueber global agierenden Oekonomien. Im Spalt, der sich darin auftut, finden sich sowohl das spontan koordinierte Bemuehen um Lebensraeume von Millionen mobilisierter Subjekte als auch die politischen Versuche, das Verhaeltnis von politischer Oekonomie und menschlichem Handeln zu regulieren. Gordon Browns Absage der >Deglobalisierung< ist als Beitrag zur flexiblen Akkumulation von Macht und Kapital im Zeitalter der Globalisierung zu werten, die zu neuen Buendnissen abseits von die zwischenstaatlichen Einverstaendnissen fuehrt. Eine von unzaehligen zusammenwirkenden Aeusserungen in der Aktualisierung einer globalen Oekonomie, deren relationaler Charakter im Abseits der Finanzstroeme aber auch eine ganze Bandbreite an kulturellen Besonderheiten hervorbringt. Globalisierung ist somit gepraegt von uneindeutigen und widerspruechlichen Phaenomenen, in denen Handeln nicht auf disziplinierte Instrumente zurueckgreifen kann, sondern nach einem parallelen Prozess der Inanspruchnahme und Kritik verlangt. Als wir mit der Forschungsplattform >Networked Cultures< zu arbeiten begonnen haben, fuehrte das Anliegen, Austausch ueber diese Dinge global zu betreiben, rasch zu erweiterten Formen der Beteiligung und Wissensproduktion im kuenstlerischen Umfeld. Der Ausgangspunkt dieser Serie an Diskussionsrunden, Ausstellungen und Filmpraesentationen - >The Networked Cultures Dialogues< - war zunaechst die Frage, wie sich ein globaler Diskurs an den lokal vorhandenen Knoten unterschiedlich aeussert. Wie organisiert sich kuenstlerische Produktion in einem post-sozialistischen Markt wie in Moskau, wie in einer durch Foerdermittel gesteuerten Auftragslage wie in Grossbritannien und wie in einer von beschleunigter Unterschiedlichkeit angetriebenen Megacity wie Istanbul? Dabei hat sich gezeigt, dass die fruchtbarsten Momente solcher Gespraeche nicht unbedingt in der Klaerung lokaler Differenzen bestehen, sondern darin, wie lokale Akteure zugleich auch in einem anderen, >globalen< Rahmen wirken und diese Formen von Beteiligung eine neue Ebene der Verstaendigung schaffen, jenseits der territorialen, historischen, ideologischen oder disziplinaeren Grenzen ihres Engagements. Diese Form von Arbeit in einem erweiterten kuenstlerischen Feld trifft somit auf einen Kollaps von Regelwerken, der durch den Erfindungsgeist menschlicher Praktiken aufgefangen wird. Was mich zur Zeit besonders beschaeftigt, ist die Frage, welche raeumlichen Phaenomene aus dieser Transformation von Regierungsmacht entstehen, insbesondere was die Fragen von Legalitaet, Verbindlichkeit und Zugehoerigkeit betrifft. Wenn die Entwicklung nodalisierter, territorial und gesellschaftlich entbetteter Staedte die Antriebskraft der Globalisierung darstellt, wird als logische Konsequenz zu betrachten sein, wie migratorische Kulturen auch selbst nicht [wie etwa im alten Modell der Integration] in lokalen Territorien aufgehen, sondern eine netzwerkartige, translokale Verortungspolitik ergreifen, die das kulturelle Bild Europas der Zukunft praegen wird. Denn aehnlich wie die globalisierte Stadt dort entsteht, wo es Knotenpunkte formeller Marktbeziehungen gibt, entsteht ein immer dichter werdendes Netzwerk nodalisierter Informalitaet, wo unterschiedliche Kulturen im Lokalen aufeinander treffen und hybride, widerspruechliche und umkaempfte Raeume ausbilden. Informelle Maerkte bilden solche Schauplaetze einer „Globalisierung von unten“, die sich auf eine Deterritorialisierung von Kulturen stuetzt. Sie entstehen an unterschiedlichsten Knotenpunkten, wachsen unreguliert und grossflaechig und binden verschiedenste Kulturen temporaer an einen physischen Ort. Die wichtigste Frage, die sich damit stellt, ist jene der Souveraenitaetsbildung in diesen temporaeren Raeumen. Ein veraenderter Bezug zwischen Territorium, Ordnung und Bewohnerschaft, der sich in der Errichtung von Sperrgelaenden wie um die G8-Gipfel genauso ausdrueckt wie in den Camps der Containermaerkte, wo neue Formen von ausserstaatlicher Souveraenitaet entstehen, die im Kleinen eigene Zonen von Zugehoerigkeit und Zulaessigkeit zu formulieren beginnen. Die Ausbreitung dieser temporaeren Grenzen ist Sinnbild einer Flexibilisierung von Grenzregimen, die jenseits staatlicher Apparate operieren. Sie herauszufordern, heisst im Bewohnen dieser mobilisierten Grenzen eine Form von translokal verorteter Zivilgesellschaft zu entwickeln – die Teilnahme eines vernetzten Souveraens vis-a-vis einer globalisierten politischen Oekonomie. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Herausgeber des Buches >Networked Cultures: Parallel Architectures and the Politics of Space<.]

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