Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #78

Die Diskussion um Globalisierung hat mehrere Schieflagen. Zum einen wird oft so getan, als wenn es sich zuvorderst um einen oekonomischen Prozess handle. Staat und das internationale politische System sind aus dieser Perspektive dafuer zustaendig, die von der oekonomischen Globalisierung verursachten Probleme und Krisen zu bearbeiten. Das zeigt sich derzeit deutlich in den Diagnosen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Staat soll’s richten. Dass die Staaten und internationalen Institutionen wie die Weltbank oder ab 1995 die Welthandelsorganisation selbst Instanzen der neoliberalen und imperialen Globalisierung sind, wird damit ausgeblendet.

Die Rede von einer entstehenden oder bereits existierenden Global Village ist hochgradig ideologisch, denn damit sollen die brutalen Formen der Durchsetzung kapitalistischer Globalisierung verniedlicht werden. Als wenn alles uebersichtlicher wird und wir alle mehr oder weniger Teil einer [welt-] Gemeinschaft waeren. Das ist eher das Selbstbild einer konsum- und reisefaehigen globalen Mittelklasse mit gesichertem Einkommen und sogar Vermoegen. Die Brutalitaet, die Ausgrenzungen und Erniedrigungen vieler Menschen und Regionen, die negativ in die internationale Arbeitsteilung integriert sind, werden uebergangen.

Mein Interesse an Globalisierung gruendet sich biographisch darin, dass ich als junger Student Anfang der 1990er Jahren in Buenos Aires mitbekam, was fuer ein soziales und oekonomisches Desaster neoliberale Politik verursachte. Gleichzeitig traute ich meinen Augen nicht, dass ein Grossteil der Medien und internationale Studien Argentinien als Musterschueler feierten. Durch meine Beschaeftigung mit dem Aufstand der mexikanischen Zapatistas kam ich Mitte der 1990er Jahren zu politischen und theoretischen Einsichten, die heute als >globalisierungskritisch< bezeichnet werden. Ein anderer Aspekt der Globalisierung, der mich als mit der oekologischen Krise sozialisierter Jugendlicher interessierte und spaeter als studentischer Teilnehmer auf der Rio-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung faszinierte, war die politische Naivitaet und Kritiklosigkeit, wie ab 1992 das Leitbild der >nachhaltigen Entwicklung< propagiert wurde. Kein Verweis auf die kriegerische Neue Weltordnung, die von George Bush senior im Januar 1991 deklariert wurde, keine Reflexion auf die neoliberalen Politiken und die Verherrlichung der angeblich omnipotenten Loesungsfaehigkeit des Marktes. [Von Globalisierung sprach damals noch niemand.] Schon damals war klar: Die umweltpolitisch besorgten Gesten der PolitikerInnen dienten der Absicherung einer kapitalistischen Weltordnung. Dazu veroeffentlichte ich auch meine ersten Artikel. Als Forschender auf dem Gebiet der Internationalen Beziehungen bzw. der Internationalen Politischen Oekonomie sehe ich es als eine Aufgabe, Globalisierung nicht als ein ueber den Koepfen der Menschen stattfindenden Prozess darzustellen. Sie hat viel mit Alltag zu tun, mit den Lebensweisen der Menschen. Das Globale ist aufs Engste mit dem Lokalen verknuepft. Ein Beispiel aus meiner Forschung sind die Konflikte um die Aneignung genetischer Ressourcen. Die international taetigen Pharma- und Saatgutunternehmen, aber auch Forschungsinstitute, wollen sich das Saatgut und die bereits erkannten oder potenziellen Heilwirkungen von Pflanzen oder Teilen davon aneignen, die vor allem in jenen Regionen vorkommen, in denen [noch] eine grosse biologische Vielfalt herrscht. Die konkreten lokalen Bedingungen werden damit zur Grundlage eines Paradigmas, das auf der Inwertsetzung der Natur basiert und unter Bedingungen globaler kapitalistischer Konkurrenz durchgesetzt wird. Die Regierungen im Norden, aber auch viele im Sueden tragen dazu bei, dass diese Inwertsetzungsstrategien rechtlich abgesichert werden, etwa ueber die Sicherung geistiger Eigentumsrechte. Mit meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit moechte ich einen Beitrag zur Analyse und Kritik der neoliberalen und imperialen Globalisierung leisten. Kritik bedeutet zunaechst, Begriffe zu dekonstruieren, mit denen Realitaet gedacht wird: Globalisierung als >Sachzwang< zu verstehen und Standortwettbewerb als alternativlos wirkt auf die meisten Menschen entmaechtigend, der Markt wird im wissenschaftlichen und oeffentlichen Diskurs zum scheinbar neutralen Ort der Ressourcenallokation, der Staat zum vermeintlichen Repraesentanten gesellschaftlicher Allgemeininteressen. Eine kritische Interpretation begreift Markt und Staat aber auch als zentrale Instanzen von Herrschaft, zu Instanzen, mit denen Interessen verfolgt und durchgesetzt werden. Die meisten politikwissenschaftlichen Ansaetze nehmen soziale Verhaeltnisse und Problemursachen als gegeben an und wollen die Bedingungen und Moeglichkeiten effektiverer Problembearbeitung analysieren. Kritische Ansaetze hingegen nehmen die Gewordenheit der Verhaeltnisse sowie ihre Umkaempftheit staerker in den Blick. Denn sonst obsiegen die a-historischen Sachzwaenge, die sich nicht mehr begruenden muessen, sondern die es einfach gibt. Die verschiedenen, sich aktuell abzeichnenden Entwicklungsoptionen versuche ich zusammen mit KollegInnen unter dem Begriff des >Post-Neoliberalismus< diskutierbar zu machen. Eine zentrale Einsicht einer kritischen Theorie der Globalisierung lautet: Diese Form der Vernunft - die Max Horkheimer eine >instrumentelle Vernunft< nannte - und die dominanten Muster der Vergesellschaftung, ihr kapitalistischer, patriarchaler, Natur ausbeutender, Menschen ausgrenzender Charakter, entwickelt die Produktivkraefte und fuehrt zu materiellem Wohlstand fuer einen Teil der Weltbevoelkerung – ohne dass dies unbedingt mehr Wohlbefinden bedeutet. Die Ausgrenzungen und Zumutungen, die verhinderten Lebenschancen von Milliarden Menschen, die oekologischen Zerstoerungen muessen aber ebenso und vor allem Thema sein. Insofern ist eine kritisch-theoretisch angeleitete Wissenschaft problemorientiert. Eine kritische Globalisierungsperspektive bedeutet auch, alternative Deutungsangebote zu machen. Mit meinen kritisch-staatstheoretisch und hegemonietheoretisch angeleiteten Analysen moechte ich aufzeigen, dass die herrschende Form der Globalisierung mit Macht, Interessen und Strategien verbunden ist, dass es historisch und aktuell Alternativen gibt, das politikwissenschaftliche Analyse nicht, wie meistens, unbedingt eine Ordnungswissenschaft ist, sondern Befreiungswissenschaft sein kann. Aber auch bei der Diskussion um Alternativen sollten wir es uns nicht zu einfach machen. In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, um ein Beispiel zu nennen, dominieren Alternativvorschlaege, die vom Staat eine Reregulierung der Finanzmaerkte erwarten. Dabei droht jedoch auch in den kritischen Beitraegen ausgeblendet zu werden, dass zum einen der Staat keine neutrale Regulierungsinstanz ist, sondern selbst neoliberal transformiert wurde. Zum anderen wurden den herrschenden Kraeften immer Grenzen gesetzt, wenn es kraeftige gesellschaftliche Gegenbewegungen gab. Eine Analyse der gesellschaftlichen Kraefteverhaeltnisse fehlt heute weitgehend, es wird sehr auf die Einsichtsfaehigkeit der politischen und oekonomischen Eliten vertraut. Und schliesslich geht es nicht nur um ein >Wiederanspringen des Wachstumsmotors<, sondern in Zeiten der oekologischen Krise, der zunehmenden globalen Spaltung and anderen Problemen um einen grundlegenden Umbau der globalen Produktions- und Konsumweisen. Welche Rolle spielt die praktische Globalisierungskritik wie Proteste gegen die G8-Gipfel fuer meine Arbeit? Die Gipfel sind ein Reibungspunkt fuer meine Arbeit, da sich dort wie in einem Brennglas die herrschenden, oft folgenlosen oder eher schaedlichen politischen Strategien und die Alternativen zeigen. Und wie unvereinbar sie sich gegenueber stehen. Wichtig ist fuer meine Arbeit die Teilnahme an den Weltsozialforen, denn dort werden nicht nur auf zugespitzte Weise Alternativen gegen die herrschenden Politiken formuliert, sondern auch die Widersprueche und Spannungen diskutiert, mit denen alternative Strategien konfrontiert sind. Hier wird das enorme Potential sichtbar, das in den vielen konkreten Kaempfen fuer eine andere Welt liegt. Das ist eine unglaubliche Motivation fuer herrschaftskritische Analysen und um sich nicht von den ganzen akademischen Eitelkeiten und Schaumschlaegereien, die gerade im Bereich der Internationalen Beziehungen offenbar besonders ausgepraegt sind, vereinnahmen zu lassen. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Professor fuer Internationale Politik an der Universitaet Wien, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland und bei der Bundeskoordination Internationalismus.]

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