Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #74

Globalisierung ist ein inflationaer gebrauchter Begriff, und nicht immer wird ganz klar, was damit gemeint ist. Wenn er in meinem Buch >Ungleiche Voraussetzungen. Zur Globalisierung der Kuenste< schon im Titel auftaucht, so deshalb, weil er meiner Ansicht nach genau das beschreibt, was in der Kunst seit mehr als einem Jahrhundert passiert: Unter dem Eindruck alternativer Modelle treten Kuenstler aus dem Schatten der eigenen Tradition heraus - japanische Holzschnitte, afrikanische Masken und Statuen praegen die europaeische Moderne eben so sehr, wie umgekehrt europaeische Vorlagen die japanische und die afrikanische moderne Kunst.

Die Moderne ist also nicht, wie haeufig behauptet, eine rein westliche, sondern von Anfang an eine globale Erscheinung. Dies fuehrt allerdings nicht zu einer Nivellierung: Niemand kann von seinen lokalen Voraussetzungen absehen, auch nicht die Europaeer. Wenn Westeuropa zum Beispiel nach dem letzten Krieg die zuvor verfolgte Moderne favorisiert, heisst das nicht, dass moderne Kunst auch in Nigeria oder Indonesien abstrakt sein muss. Das meine ich mit ungleiche Voraussetzungen. Aber eine Doppelbedeutung ist schon gewollt. Natuerlich gibt es nach wie vor ein enormes wirtschaftliches, militaerisches und informationspolitisches Gefaelle.

Sven Giegold, der Sprecher von Attac, hat meinen titelgebenden Vortrag gehoert und dazu einige Anmerkungen gemacht. Ich unterstuetze die globalisierungskritische Bewegung, wichtige Informationen entnehme ich immer wieder der Monde Diplomatique. Meine Funktion sehe ich darin, der Diskussion Tiefe zu geben. >Die Globalisierung hat vor 500 Jahren begonnen<, habe ich einmal einen Zeitungsartikel betitelt, der es dann bis in ein Schulbuch gebracht hat. Die Kolonialgeschichte wird haeufig ausgeblendet, bleibt aber unvermindert wirksam: Das ist eine der Paradoxien, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Kuenstler aus ganz verschiedenen Laendern arbeiten an der Udberwindung des kolonialen Traumas, indem sie versuchen, die Darstellung ihrer Realitaet selbst in die Hand zu nehmen. Problemen Sichtbarkeit verleihen, die sonst unbeachtet bleiben: Das ist ein Anliegen, das viele Kuenstler vereint, egal woher sie kommen. Auch bei einem G8-Gipfel geht es um Sichtbarkeit: ein Medienspektakel, bei dem sich die kritische Gegenoeffentlichkeit bemueht, ebenfalls sichtbar zu werden. Ich persoenlich versuche nur, meine Kraefte und Faehigkeiten moeglichst effektiv einzusetzen. Auf Grossveranstaltungen verschwinde ich in der Menge. Wenn ich Initiativen wie die Kindertheater Espace Masolo in Kinshasa oder das Freedom Theatre in Jenin, die versuchen, die traumatischen Erlebnisse ihrer Schuetzlinge in kreative Energie zu verwandeln, einer breiteren Oeffentllichkeit vorstelle, kann ich als Multiplikator wirken.

[Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Autor des Buches >Ungleiche Voraussetzungen. Zur Globalisierung der Kuenste<.]

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