Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #59

Wohl keine andere Region der Welt uebt eine vergleichbare, ueber Jahrhunderte immer wieder auflebende Faszination auf die Bewohner Europas aus wie die Suedsee. Als die europaeischen Seefahrer im ausgehenden 18. Jahrhundert die polynesische Inselwelt entdeckten, glaubten sie, das geheimnisvolle Terra Australis gefunden zu haben, einen neuen Kontinent, den man sich als Gegengewicht zur europaeischen Landmasse vorstellte.

Damit ist zum einen ein tatsaechliches, physisches Gegengewicht zur Landmasse der noerdlichen Erdhalbkugel gemeint. Zum andern aber, und das ist viel wesentlicher, stellte man sich Terra Australis als ein Land vor, das einen klaren Gegensatz zur als gewalttaetigen und korrumpiert empfunden europaeischen Zivilisation bildet.

Die Annahme, ein Irdisches Paradies entdeckt zu haben, praegte die Wahrnehmung der fremden Kultur ganz wesentlich. Die Inselbewohner wurden zu Paradiesbewohnern stilisiert, negative Aspekte ausgeblendet. Ein weiterer Aspekt: Die Seefahrer nahmen die Inseln im Namen ihrer jeweiligen Krone schnell in Besitz, und auch der deutsche Wunsch nach einem >Platz an der Sonne< waehrend der Kolonialzeit, ist vor dem Hintergrund zu sehen, sich den Zugriff auf das irdische Paradies sichern zu wollen. Heute sind kolonialistische Gedanken zwar verpoent, doch Geschichten ueber Aussteiger, die in der Suedsee versuchen, den Traum vom zivilisationsfreien Leben im Paradies wahr werden zu lassen, fazinieren uns noch immer. Unser Interesse dabei: den Mythos an der Wirklichkeit zu messen. Einen >typisch deutschen Blick< auf die Suedsee gibt es nicht, wohl aber einen Blick, der von europaeischen Motiven und Symbolen gepraegt ist. Das Motiv des Edlen Wilden, das bislang uebrigens in nicht-europaeischen Kulturen noch nicht aufgefunden werden konnte, findet sich beispielsweise bei der Beschreibung der >Eingeborenen< in der Suedsee sowohl bei englischsprachigen, franzoesischen wie auch deutschsprachigen Autoren. Mitte des 18. Jahrhunderts, zur Zeit der Entdeckungsfahrten in die Suedsee, praegte der Gedanke einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen die Berichte der Expeditionsteilnehmer. Das Motiv vom Edlen Wilden, das bislang mit den antiken Griechen und Roemern verknuepft war, wurde nun auf die Suedsee-Bewohner uebertragen. Damit wurde auch die Bewunderung fuer die fremde Kultur uebertragen. Allmaehlich erodiert diese Bewunderung fuer den Edlen Wilden jedoch, Hintergrund ist die zunehmende Bedeutung, die Rassetheorien um ca 1850 bekommen. Waehrend der Kolonialzeit ist die Haltung der europaeischen Romanhelden gegenueber der indigenen Bevoelkerung ambivalent: Einerseits wollen sie die nicht-europaeischen Voelker >verbessern< und auf der >Skala der Zivilisation< einige Stufen nach oben bringen will. Andererseits stellen sie sich immer wieder auch die Frage, ob die Bevoelkerung ueberhaupt zur Entwicklung faehig sei. Ab den 1980er Jahren und bis heute, in einer postkolonialen Phase, verlieren derartige Ueberlegungen an Bedeutung. Es scheint, als sei bereits alles ueber die fremden Kulturen in der Suedsee gesagt. Im Zentrum des erzaehlerischen Interesses steht nun fast ausschliesslich das Verhalten der Europaeer im >Suedsee-Paradies< – was letztlich auch eine eurozentrische Perspektive ist. [Anm.d.Red.: Die Verfasserin dieses Beitrags ist Autorin des Buches >Paradies auf Erden? Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung: Der Suedsee-Mythos in Schluesselphantasien der deutschen Literatur< [Koenigshausen & Neumann]]

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