Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #58

Kaum ein Wortbild hat unser Leben in den letzten Jahrzehnten staerker beeinflusst als das der Globalisierung. Ob als Schreckensvision entsolidarisierter Gesellschaften – es gibt heute nichts: von der Arbeitslosigkeit ueber den Sozialabbau bis zum Hundedreck auf unseren Strassen, das nicht in irgend einer obskuren Weise mit >Globalisierung< in Verbindung gebacht wird - oder als Versprechen auf eine paradiesische Zukunft: immer geht es um die dramatischen Folgen einer neuen sozialraeumlichen Ordnung, die sich als >Weltgesellschaft<, oder >global village<, Geltung verschafft.

In dieser merkwuerdigen Gemengelage, in der >Globalisierung< gleichermassen fuer Ursache und Wirkung, fuer Neoliberalismus und neue Weltordnung steht, gilt mein besonderes Interesse der Frage nach den Raeumen der Globalisierung. Welche neuen Raeume werden durch die Transnationalisierung der Waren-, Finanz-, und Kulturmaerkte geschaffen und was bedeutet diese Revolution der raeumlichen Formen fuer die kleinen Lebenswelten, mit denen wir vertraut sind? Glauben wir wirklich an die Vision einer voellig entgrenzten, ortlosen Welt? Ich jedenfalls finde das ebenso wirkungsmaechtige wie wirklichkeitsblinde Bild des Globalen als eines freien, ungebundenen Raumes, in dem alles locker fliesst, ebenso wenig ueberzeugend wie die damit einhergehende Grossthese vom Ende des Lokalen. Wie erklaert sich zum Beispiel die Beobachtung, dass >Conan der Barbar<, diese zweitklassige Hollywood-Ikone, in den rechtsradikalen Jugendszenen Ostdeutschlands als heroischer SS-Offizier, in den hispanischen Jugendgangs der Chicagoer Westside dagegen als mexikanischer Freiheitsheld interpretiert und in Szene gesetzt wird? Die globalen Stroeme kultureller Produkte sind eines, ihre lokalspezifische Verortung aber ist etwas ganz anderes, etwas das auf den ortsspezifischen Kontext, auf die Macht der lokalen Wissensbestaende verweist. Niemand lebt in der Welt im Allgemeinen, Ortsbewusstsein und Orientierungssinn, kurz: >Senses of place< gehoeren zur conditio humana. Die fuer die Globalisierungsdebatte typische Banalisierung oder gar Verneinung des Ortes unterfuettert jene ideologische Spaltung, in der die Grossen, Schoenen und Maechtigen den >space of flows<, die Armen und Hilflosen, die Frauen und Kinder, kurz alle Unbedeutenden aber den >space of places< bevoelkern. Der Un-Sinn, das Globale und das Lokale als Gegensaetze zu betrachten, wird sofort deutlich, wenn man einmal fragt, wie der globale Finanzmarkt ohne solche Orte wie London ueberhaupt funktionieren koennte. Allerdings ist mit der Hervorhebung des Ortes nicht die Rueckkehr zu nostalgischen Heimattheorien gemeint. Denn eine globalisierungskritische Theorie des Ortes muss sich der Herausforderung stellen, jedes soziale Phaenomen, also auch den Ort, auf allen sozialraeumlichen Masseinheiten: vom Lokalen , Regionalen, Nationalen bis zum Globalen zu analysieren. Scale matters. Ein Dorf in den Alpen zum Beispiel, in dem 10 Monate im Jahr 600 Einheimische mit tausend Touristen zusammenleben, ein Dorf, in dem gleichsam die >ganze Welt< anwesend ist, laesst sich unanhaengig von den geographischen Reichweiten, gar nicht mehr als Ort beschreiben. Darum aber geht es: die Konstruktion des Lokalen unter globalen Bedingungen zu erfassen. [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Professor fuer Soziologie an der TU Darmstadt.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.